Leihärzte:Selbständig oder scheinselbständig?

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Der Bundesverband der Honorarärzte schätzt, dass etwa 500 Mediziner in Deutschland als freie Mitarbeiter an deutschen Kliniken tätig sind. (Foto: dpa)
  • Das Bundessozialgericht in Kassel verhandelt darüber, ob Honorarärzte weiterhin als Selbständige an Kliniken arbeiten dürfen oder ob sie scheinselbständig sind.
  • Weil sie wie die Angestellten in die klinischen Hierarchien eingebunden sind, sind sie nach Ansicht der Deutschen Rentenversicherung sozialversicherungspflichtig.
  • Auch selbständige Pflegekräfte sind davon betroffen - ihre Klagen will das Gericht am Freitag verhandeln.

Von Larissa Holzki und Michaela Schwinn

Zur Einarbeitung brauchte Jörg Marks nur 20 Minuten. Ob in Kliniken im Ruhrpott, in Freiburg oder in Ostdeutschland, der Allgemeinmediziner arbeitete nur seine innere Checkliste ab: Wo geht es zur Intensivstation? Wie melde ich eine Computertomographie an? Wie funktioniert das Computersystem? Danach war er einsatzbereit. Manchmal arbeitete er nur für 24 Stunden in einer Klinik, manchmal für zwei Wochen und ausschließlich dort, wo er wollte.

In den meisten Krankenhäusern wissen die Mitarbeiter den Weg zum Operationssaal, sie kennen ihre Kollegen und die Patienten auf den Stationen. Aber es gibt auch Ärzte wie Marks, die nur ein paar Monate, Wochen oder Tage in einer Klinik arbeiten oder sogar nur für eine Behandlung kommen und dann wieder weiterziehen. Diese sogenannten Honorarärzte werden immer dann gerufen, wenn Not am Mann ist, wenn ein Arzt krank wird, Urlaubszeit ist oder wenn für eine freie Stelle kein Ersatz gefunden wird. Das klingt nach finanziellem Risiko und Unsicherheit und doch gibt es einige Mediziner, die sich ganz bewusst für die Selbständigkeit entscheiden. Denn sie bringt mehr Geld und Freiheit mit sich.

Über selbständige Pflegekräfte will das Bundessozialgericht am Freitag verhandeln

Das könnte sich bald ändern. Diesen Dienstag verhandelt das Bundessozialgericht in Kassel darüber, ob Honorarärzte weiterhin als Selbständige an Kliniken arbeiten dürfen oder ob sie scheinselbständig sind, weil sie wie die Angestellten in die klinischen Hierarchien eingebunden und deshalb sozialversicherungspflichtig sind. Das ist die Ansicht der Deutschen Rentenversicherung. Auch selbständige Pflegekräfte sind davon betroffen - ihre Klagen will das Gericht am Freitag verhandeln.

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Selbständig oder Scheinselbständig? Diese Frage ist nicht neu. Mehrere Sozialgerichte in Deutschland haben sich schon damit auseinandergesetzt - und in den einzelnen Fällen ganz unterschiedlich entschieden. Manchmal durften die Ärzte als Freiberufler weiterarbeiten, manchmal wurde ihnen dies untersagt und die Klinken mussten die Sozialbeiträge nachzahlen.

So erging es auch den Ärzten und Kliniken, die sich nun vor dem Bundessozialgericht gegen die Entscheidungen der Deutschen Rentenversicherung wehren. Wieder sind es viele Einzelfälle mit denen sich die Richter in Kassel auseinandersetzen müssen und doch könnte ihr Urteil Signalwirkung haben. "Es kann wohl ein Grundsatzurteil erwartet werden", sagt der Justiziar des Bundesverbands der Honorarärzte, Markus Keubke.

Wie viele Ärzte als Freelancer an deutschen Kliniken arbeiten ist nicht genau bekannt. Von etwa 5000 Medizinern geht der Bundesverband der Honorarärzte in Deutschland aus. Ihre Aufträge bekommen sie meist durch Agenturen wie "doctari" oder "Hire a Doctor", die sich darauf spezialisiert haben Mediziner und Krankenhäuser zusammenzubringen.

Wie viele Einrichtungen sich Hilfe von außen holen, lässt sich schwer beantworten. Denn nur die wenigsten gehen offen mit dem Thema um. Welcher Patient vertraut schon einer Klinik, in dem ein Teil des medizinischen Personals ständig wechselt?

Im deutschen Gesundheitssystem herrscht akuter Personalmangel. Nicht nur auf dem Land fehlen Ärzte, sondern auch in große Kliniken. Laut Bundesärztekammer können derzeit etwa 5000 Arztstellen nicht besetzt werden. Diese Lücken versuchen Kliniken mit Honorarärzten zu füllen, sie sind eine schnelle Lösung in der Not. Aber nicht nur, sagt der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem. "Manchmal gibt es temporale Spitzen, da kommen die Honorärzte ganz gelegen." Eine billige Lösung sind die Leihärzte aber nicht. Nach einer Umfrage des Verbandes der Honorarärzte verdienen sie durchschnittlich 90 Euro in der Stunde - fast das doppelte eines festangestellten Kollegen.

Das Geld ist aber nur ein Argument für die Selbständigkeit. "Als Honorarärztin muss ich nur die Hälfte der Arbeitszeit meiner festangestellten Kollegen arbeiten", sagt eine Internistin aus Berlin, die die Honorartätigkeit gerade zwischen zwei Festanstellungen ausprobiert. Vor allem kann sie ihre Zeit frei einteilen: Während Festangestellte ihr Leben nach dem Dienstplan richten müssen und zu unbezahlten Überstunden gedrängt werden, sucht sie sich die Wochenenden aus, an denen sie arbeitet. Eine befreundete Kardiologin könne nur als Honorarärztin Familie und Beruf vereinbaren. Denn Teilzeitbeschäftigungen sind in Kliniken immer noch selten.

Die unsichere rechtliche Lage macht vielen Kliniken inzwischen Angst

Was aber würde mit den Leihärzten passieren, wenn die Richter in Kassel genauso argumentieren wie die Deutsche Rentenversicherung und ihre Arbeit als scheinselbständig ansehen? "Dann würden sich andere Wege finden", sagt Lars Huning, Geschäftsführer der Vermittlungsagentur "Hire a Doctor". Schon jetzt bieten manche Agenturen Zeitverträge an. Für die Kliniken bedeutet dies mehr Sicherheit, da die Mediziner bei den Agenturen angestellt sind. Schon jetzt schrecken immer mehr Kliniken davor zurück, Honorarärzte anzustellen, sagt Huning. Die unsichere rechtliche Lage und drohende Nachzahlungen machten ihnen Angst.

Nicolai Schäfer vom Bundesverband der Honorarärzte sieht die Zeitarbeit kritisch: "Noch herrscht großer Mangel, deshalb bekommen Ärzte auch bei den Zeitverträgen gute Konditionen", sagt er, "aber das kann sich ändern und dann würden sie wieder verlieren, was ihnen am wichtigsten ist: die Freiheit." Er hofft, dass die Richter Kriterien festlegt, die für eine Scheinselbständigkeit sprechen und oder dagegen: Geht es um die Arbeitsdauer, um die Einbindung im Klinikalltag oder das Unternehmerrisiko? "Es gab Hunderte Verfahren", sagt Schäfer, "Nun wollen wir Klarheit."

© SZ vom 04.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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