Arbeitszeiterfassung:Hilfe, die Stechuhr kommt

Lesezeit: 4 min

Arbeitszeiterfassung: Ein "Klack" zum Dienstbeginn: Früher kannten das viele Mitarbeiter, hier ein Bild von 2002. Mittlerweile geht das per App - ohne Klack-Geräusche.

Ein "Klack" zum Dienstbeginn: Früher kannten das viele Mitarbeiter, hier ein Bild von 2002. Mittlerweile geht das per App - ohne Klack-Geräusche.

(Foto: Imago)

Die Pflicht zur umfänglichen Erfassung der Arbeitszeit bringt Chefs in Bedrängnis und verunsichert auch Arbeitnehmer. Der viel beklagte bürokratische Aufwand ist aber wohl ihr kleinstes Problem.

Von Larissa Holzki

Hilfe, die Stechuhr kommt. Ob in Form einer App oder als Automat: Seit der Europäische Gerichtshof geurteilt hat, dass Arbeitgeber die tatsächliche Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter umfänglich dokumentieren müssen, herrscht Unsicherheit. Was ist, wenn ich meine Arbeit nicht in der vereinbarten Zeit schaffe, fragen Arbeitnehmer. Wie sollen wir mit strikten Arbeitszeiten im globalen Wettbewerb mithalten, fragen Unternehmer. Ist das nicht viel zu viel Bürokratie, fragt Wirtschaftsminister Altmaier und will prüfen, ob es nicht doch noch einen Ausweg gibt.

Dabei soll nach dem Urteil nur belegt werden, was sowieso schon gilt. Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter sich nicht krankarbeiten. Nachbarländer haben ihre Unternehmen dazu längst verpflichtet. Und einige Arbeitgeber in Deutschland erfassen systematisch die Arbeitszeit gar freiwillig. Warum erscheint der Gedanke bloß so ungeheuer?

Im Arbeitsvertrag vereinbaren die Parteien, dass der Arbeitnehmer seine Zeit verkauft. "Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden", ist eine gängige Formulierung im Arbeitsvertrag, in der Regel steht sie noch vor der Vergütung. Die Aufregung zeigt: In der Praxis ist das oft nur noch eine Floskel. Für ihre Zeit wurden Büroarbeiter bezahlt, als sie in großen Unternehmen noch einen beamtenähnlichen Status hatten. Wer sich nichts zuschulden kommen ließ, der blieb sein Arbeitsleben lang bei einem Arbeitgeber, jeden Tag die vereinbarte Zeit. Das Abendessen musste nicht warten. Heute ist es in manchen Firmen verpönt, pünktlich Feierabend zu machen. Supermarktmitarbeiter, die kurz vor Ladenschluss keine Kunden mehr einlassen wollen, müssen genauso Spott ertragen wie Beamte, die ein Stundenkonto führen.

Die Arbeitszeit reicht nicht? Das ist das Problem des Angestellten

Etwa seit den Achtzigerjahren schließen Arbeitgeber mit Angestellten Zielvereinbarungen. Sie sollen Mitarbeiter motivieren und Unternehmen profitabler machen, sagt der Psychologe Dirk Lehr von der Leuphana-Universität Lüneburg. Seitdem gelte: Es reicht nicht, seine Zeit zur Verfügung zu stellen. Vertriebler sollen einen bestimmten Umsatz erzielen, Mitarbeiter im Kundenservice gute Bewertungen erhalten, Nachwuchswissenschaftler eine Mindestanzahl von Publikationen erreichen. Wie lange sie dafür brauchen, ist mehr oder weniger ihre Sache.

Aus Sicht der Arbeitgeber ist das nachvollziehbar. "Sie brauchen ein Mittel um sicherzustellen, dass Mitarbeiter am Arbeitsplatz nicht ständig Youtube-Videos schauen", sagt die Personalerin eines Autozulieferers. Ziele mit Boni zu verknüpfen, ersetzt jede Überwachung. Was bisher aber fehlt: eine Kontrolle, ob die vertragliche Arbeitszeit für die erwartete Leistung ausreicht.

Vielmehr gilt, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. In manchen Krankenhäusern und Unternehmen werden Mitarbeiter unter Druck gesetzt, über Überschreitungen der Höchstarbeitszeit zu schweigen. Die Verantwortung für deren Einhaltung wird ihnen einfach übertragen. Zudem müssen Arbeitnehmer im Zweifel beweisen, dass sie zur Mehrarbeit angewiesen waren, um Ansprüche durchzusetzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema