Grundsatzurteil zu Streiks:Arbeitskampf darf auf dem Firmenparkplatz stattfinden

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Mit dem Grundsatzurteil stärkte das höchste deutsche Arbeitsgericht das Streikrecht in Deutschland. Die Verhandlung führte Ingrid Schmidt, die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts. (Foto: dpa)
  • Arbeitgeber müssen auch auf dem firmeneigenen Gelände Streikmaßnahmen dulden.
  • Streikende Mitarbeiter dürfen dort am Streiktag Mitarbeiter ansprechen, die zur Arbeit erscheinen und sie auffordern, ihre Arbeit niederzulegen.
  • Das höchste deutsche Arbeitsgericht hat damit eine Grundsatzentscheidung getroffen.

Fahnen, Schirme, Infoflyer: Gewerkschaften dürfen auch auf dem Betriebsgelände für den Arbeitskampf werben. Das hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschieden. Die Richter messen damit dem verfassungsrechtlich geschützten Streikrecht einen höheren Wert bei als dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Hausrecht der Arbeitgeber.

Im konkreten Fall haben sich der Onlineversandhändler Amazon und Verdi gestritten, weil Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft auf einem Firmenparkplatz Flugblätter verteilten. Aus Sicht der Arbeitgeber muss das Unternehmen damit unfreiwillig den Streik unterstützen. Verdi argumentierte, dass nur dort alle Beschäftigten erreicht werden konnten.

Verdi-Anwalt Jens Schubert war nach dem Verfahren entsprechend guter Laune: "Wenn wir nicht auf diesen Parkplatz kommen, dann läuft unser Streikrecht komplett leer", sagte Schubert. "Dann können wir andere Mitarbeiter nicht ansprechen, um auf Solidarität zu hoffen - es gehört zum Verfassungsrecht dazu, dass ein Grundrecht auch effektiv ausgelebt werden kann."

Das Urteil der Richter in Erfurt hat grundsätzliche Bedeutung. Zwar ging es auch um die konkreten Umstände vor Ort, Schubert sieht aber viele Parallelen zu anderen Arbeitskampfsituationen: "Denken Sie mal an einen Großflughafen, an eine große Baustelle, an ein Einkaufszentrum: das Besitzrecht an so einem Parkplatz geht nicht verloren, wenn wir dort zwei Stunden stehen, aber das Streikrecht geht flöten, wenn sie über die Maßnahmen nicht richtig informieren können."

Vorinstanzen waren sich uneins

Vor der Verhandlung in Erfurt war der Ausgang allerdings völlig unklar und mit Spannung erwartet worden. Zwei Landesarbeitsgerichte kamen für unterschiedliche Standorte von Amazon nämlich zu verschiedenen Einschätzungen. Während das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die Gewerkschaftler im Recht sah, entschied das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz zugunsten des Arbeitgebers.

Seit Jahren streiten sich die beiden Parteien über einen möglichen Tarifvertrag. Verdi will erreichen, dass Amazon-Mitarbeiter nach den Tarifbedingungen des Einzel- und Versandhandels bezahlt werden. Der Konzern lehnt das ab und orientiert sich bei der Vergütung an der Logistik-Branche, in der schlechter gezahlt wird.

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