Arbeitsrecht:"Jesus hat Sie lieb, vielen Dank für Ihren Einkauf"

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Missionierungsversuche am Telefon? Ein Callcenter kann verlangen, dass die Mitarbeiter weltanschaulich neutrale Grußformeln verwenden, hat ein Arbeitsgericht entschieden.

(Foto: imago/PhotoAlto)

Muss ein Callcenter-Mitarbeiter gehen, wenn er Kunden so grüßt? Arbeitsgerichte verhandeln oft kuriose Fälle. Und manche Entscheidung ist schwer nachvollziehbar.

Von Ina Reinsch

Weil er in der Kantine einen "Negerkuss" bei einer aus Kamerun stammenden Kollegin bestellte, kündigte der Reiseveranstalter Thomas Cook einem langjährigen Mitarbeiter fristlos. Der Mann habe die Kantinenkraft mehrmals in ähnlicher Weise provoziert, sagte der Arbeitgeber. Als multikulturelles Unternehmen könne man ein solches Verhalten nicht hinnehmen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hielt den Rauswurf für unverhältnismäßig und damit unwirksam (13.07.2016, Az. 15 Ca 1744/16). Der Mann aus dem mittleren Management habe mehr als zehn Jahre ohne Beanstandungen gearbeitet. Ohne vorherige Abmahnung sei daher weder eine fristlose noch eine ordentliche Kündigung wegen des Vorfalls gerechtfertigt.

Vor deutschen Arbeitsgerichten landen jedes Jahr weit über 330 000 Klagen. Auch Sozial- und Verwaltungsgerichte beschäftigen sich immer wieder mit Streitigkeiten aus dem Berufsleben, etwa bei Arbeitsunfällen. Bisweilen sind die aufgeworfenen Fragen ein Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen wie in Fällen von Diskriminierung. Doch auch viele Bagatellen und Kuriositäten werden verhandelt.

"Die Negerkuss-Entscheidung betrifft ein emotional aufgeladenes Thema", sagt Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin. "Das Gericht hat aber richtig entschieden. Denn der Arbeitgeber hatte die behaupteten Vorfälle in der Vergangenheit nicht abgemahnt. Das hätte er aber tun müssen, um dem Arbeitnehmer nun kündigen zu können." In solchen Fällen komme es oft auf Zwischentöne an, sagt Bredereck, etwa auf die Frage, ob der Mitarbeiter die Bestellung sachlich aufgebe, weil er sich des unzeitgemäßen Begriffs nicht bewusst sei, oder mit einem anzüglichen Grinsen. Das lasse sich aber häufig schwer beweisen.

Christ muss nicht abtreiben, Muslim kein Bier schleppen

Darf man vor diesem Hintergrund heute eigentlich noch ein Zigeunerschnitzel ordern? "Einem Sinti und Roma gegenüber halte ich das für rassistisch", sagt der Jurist. Allerdings mahnt er an, dass der Kündigungsschutz nicht ideal sei, solche gesellschaftlichen Fragen zu klären. Eine Zwangsläufigkeit für eine Kündigung gebe es jedenfalls nicht.

Auch ein anderer Fall führte vor einiger Zeit zu reichlich Wirbel und wurde unter der Überschrift "Muslim verweigert das Schleppen von Bierkästen" kolportiert. In dem besagten Fall hatte ein Mitarbeiter viele Jahre lang zunächst in einer Waschstraße, dann als Ladenhilfe in einem dazugehörigen Warenhaus gearbeitet und dort Regale eingeräumt. Bis sein Arbeitgeber ihn in die Getränkeabteilung versetzte.

Für den muslimischen Mann war das ein Problem, er wehrte sich gegen die Versetzung. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin fristlos, hilfsweise fristgemäß. Der Mitarbeiter klagte. Ihm seien als gläubigem Muslim jegliche Handlungen verboten, die der gewerblichen Verbreitung von Alkoholika dienten. Zudem habe er bei Abschluss des Vertrages nicht damit rechnen müssen, jemals beim Verkauf von Alkohol mitwirken zu müssen. Der Gewissenskonflikt sei für ihn unerträglich.

Das Bundesarbeitsgericht sprang dem Mitarbeiter bei und verwies den Fall an die Vorinstanz zurück (24.02.2011, Az. 2 AZR 636/09). Diese musste prüfen, ob der Chef den Mitarbeiter an einem anderen Arbeitsplatz, etwa in der Gemüseabteilung oder im Drogeriebereich einsetzen konnte. Nur wenn das nicht möglich sei, könne eine Kündigung gerechtfertigt sein. Zur Begründung führte das Gericht an, dass eine Weisung billigem Ermessen entsprechen muss. Dabei müsse der Arbeitgeber einen Glaubens- oder Gewissenskonflikt des Arbeitnehmers berücksichtigen.

Pornos am Arbeitsplatz sind nicht zwingend ein Kündigungsgrund

Auch dieser Fall zeigt, dass sich ein genauerer Blick auf die Umstände lohnt. Es geht eben nicht nur darum, dass ein Muslim sich weigert, Bierkästen zu schleppen. "Es geht um die Kollision der grundgesetzlich geschützten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit mit der unternehmerischen Betätigungsfreiheit, also um eine Güterabwägung", sagt Manfred Schmid, Fachanwalt für Arbeitsrecht in München.

"Der Arbeitnehmer, der im Übrigen einer anerkannten Religion angehörte, denn nur diese genießt verfassungsrechtlichen Schutz, konnte hier einen echten, nachvollziehbaren Gewissenskonflikt darlegen. In einem solchen Fall muss das Direktionsrecht des Arbeitgebers zurücktreten." Genauso könne sich auch ein Klinikarzt darauf berufen, aus Glaubensgründen nicht an einer Abtreibung mitwirken zu müssen, sagt Schmid. Zumindest dann, wenn er das bei Vertragsschluss nicht absehen konnte.

Nicht auf seine Glaubensfreiheit berufen konnte sich dagegen der Mitarbeiter eines Callcenters, der sich nach jedem Telefonat mit dem Satz verabschiedete "Jesus hat Sie lieb, vielen Dank für Ihren Einkauf." Den Arbeitgeber, den Versandhandel QVC, störte das erheblich. Er setzte den Callcenter-Agenten vor die Tür. Das Landesarbeitsgericht Hamm hielt die Kündigung für wirksam (20.04.2011, Az. 4 Sa 2230/10). Schmid: "Das Gericht konnte hier nicht erkennen, dass der Arbeitnehmer in einen unauflösbaren Gewissenskonflikt geraten würde, wenn er die Abschiedsformel weglässt. Der Missionierung am Arbeitsplatz erteilte das Gericht damit eine Absage. Der Arbeitgeber kann verlangen, dass Arbeitnehmer sich weltanschaulich neutral verhalten."

Weniger fromm ging es an einem anderen Arbeitsplatz zu: Hier besuchte der Prokurist einer Bausparkasse immer wieder pornografische Seiten im Internet, obwohl das private Surfen verboten war. Der Arbeitgeber warf den Mitarbeiter hinaus. Zu Unrecht, wie das Bundesarbeitsgericht fand (19.04.2012, Az. 2 AZR 186/11). Beruhe die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, sei grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch eine Abmahnung positiv beeinflusst werden könne. Zudem habe der Mitarbeiter viele Jahre beanstandungsfrei gearbeitet.

"Auch diese Entscheidung scheint auf den ersten Blick schwer nachvollziehbar", sagt Schmid. "In dem speziellen Fall kam dem Mitarbeiter aber zugute, dass er leitender Angestellter war und daher keinen festen Arbeitszeiten unterlag. Damit ist ein wichtiger juristischer Angriffspunkt in sich zusammengefallen, nämlich der Arbeitszeitbetrug", sagt der Anwalt. Der Mitarbeiter habe angegeben, die Zeit am Wochenende und nach Feierabend nachgearbeitet zu haben, der Arbeitgeber habe das nicht entkräften können. Daher blieb als kündigungsrelevanter Vorwurf nur der Verstoß gegen das ausdrückliche Verbot der privaten Internetnutzung. Für eine Kündigung ohne Abmahnung genügte das nicht.

Doch nicht nur Kündigungsgründe lassen einen zuweilen schmunzeln oder den Kopf schütteln. Auch die Sozial- und Verwaltungsgerichte müssen sich immer wieder mit skurrilen Begebenheiten aus dem Arbeitsleben beschäftigen. So verletzte sich eine Beamtin beim Gang auf das stille Örtchen derart am Kopf, dass sie eine Platzwunde davontrug. Der Dienstherr lehnte die Anerkennung als Dienstunfall ab, seiner Meinung nach handelte es sich um eine private Verrichtung.

Beamte sind beim Pippimachen besser geschützt

Das Bundesverwaltungsgericht sprang der Beamtin bei (17.11.2016, Az. 2 C 17.16). Der Unfall sei nach den maßgeblichen beamtenrechtlichen Vorschriften "in Ausübung des Dienstes" geschehen. Bei Unfällen innerhalb des räumlichen Dienstbereichs stehe der Beamte unter dem Schutz der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Bei der Dienstausübung könnten dienstliche und private Aspekte nicht streng voneinander getrennt werden. Der Beamte sei kein "Dienstausübungsautomat", sondern er bleibe auch im Dienst ein Mensch mit seinen persönlichen Bedürfnissen, hieß es in dem Urteil.

Anders urteilte dagegen das Sozialgericht Heilbronn. Hier war ein Mechaniker auf der Firmentoilette auf seifigem Boden ausgerutscht und mit dem Kopf so auf das Waschbecken geschlagen, dass er vier Tage im Krankenhaus verbrachte. Einen Arbeitsunfall erkannte das Gericht dennoch nicht an. Die Verrichtung der Notdurft diene einem privaten Interesse, so das Gericht (27.12.2017, Az. S 13 U 1826/17).

Warum wurden beide Fälle so unterschiedlich bewertet? "Das ist auf den ersten Blick tatsächlich schwer nachvollziehbar", sagt Ronald Richter, Rechtsanwalt und Professor für Sozialrecht in Hamburg. "Es entspricht aber der ständigen Rechtsprechung der Sozialgerichte, dass bei Arbeitnehmern zwar der Gang zur Toilette und zurück versichert ist, nicht aber der Aufenthalt auf der Toilette selbst." Beamte seien in dieser Frage privilegiert. Das liege daran, dass die beamtenrechtlichen Vorschriften anders formuliert seien, erklärt Richter. Was lernen wir daraus? Beamte sind bei einem dringenden Bedürfnis besser geschützt.

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