Das Wasser des großen, heiligen Flusses Ganges, so ist zu lesen, gleicht einer Brühe. Täglich fließen Millionen Kubikmeter ungeklärter Abwässer in den Strom und tragen Fäkalbakterien ein, deren Konzentration an manchen Stellen um das 2000-Fache über dem in Indien erlaubten Wert liegt. Neben Keimen belasten Chrom, Blei, Arsen, Brom und andere toxische Substanzen das Wasser. Sich etwa die Hände im Ganges zu waschen, erhöht das Risiko einer Infektionskrankheit, statt davor zu schützen, so viel ist gewiss. Trotzdem versammeln sich regelmäßig Millionen Hindus zum Kumbh Mela, dem größten religiösen Fest der Welt, um sich im Ganges zu waschen. Ein Bad im Wasser des Flusses lässt zwar keine physische Reinigung zu, aber hier geht es ja auch um etwas anderes.
"Sich in einem verschmutzten Fluss zu waschen, kann durch eine sozial konstruierte Interpretation des Vorgangs spirituell und moralisch reinigend wirken", schreiben Sozialpsychologen um Spike Lee im Fachjournal Psychological Bulletin. In ihrer Meta-Analyse, die auf den Daten von 42 793 Probanden beruht, widmen sich die Forscher den psychologischen Effekten des Waschens. Das Bedürfnis nach Reinigung kann sich schließlich auch aus einer anderen Quellen speisen als nur dem Umstand, verdreckt, verklebt und sonst wie physisch schmutzig zu sein. Und auch das Ergebnis kann mehr sein als nur ein frisch duftender Leib.
Einzelne Befunde legen zum Beispiel nahe, dass akut geweckte Erinnerungen an unmoralische Handlungen den Wunsch provozieren, sich in irgendeiner Form zu reinigen. Ein unerwünschter Kuss zieht offenbar den gleichen Effekt nach sich. Ähnlich wirken wohl auch Gedanken darüber, das Leben zu ändern und in neue Bahnen zu lenken. Aber wirkt es auch entsprechend, wenn sich Menschen dann tatsächlich die Hände waschen, sich duschen, die Zähne putzen, rasieren oder auf andere Weise reinigen?
Frisch geduscht im Bett zu liegen, zählt zu den größten Genüssen
Auch hier führen die Psychologen zahlreiche einzelne Effekte an. Offenbar könnte es Schuldgefühle lindern, sich nach unethischem Verhalten zu waschen. Ein anderer Befund legt nahe, dass sich auf diese Weise nach einem Rückschlag der daraus resultierende pessimistische Blick auf die Zukunft etwas aufhellen lässt. Auch Stress lässt sich vermutlich vom Gemüt spülen, zumindest ein wenig: Die in Studien gemessenen Effekte sind von kleiner bis mittlerer Stärke, es handelt sich also um Nuancen, kleine Faktoren, die auch einen Einfluss ausüben - nicht aber um so etwas wie metaphorische Lichtschalter, die einen eindeutigen Zustand ein- oder ausschalten.
Insgesamt ließe sich der Akt einer Reinigung aus psychologischer Perspektive als "mentale Distanzierung" begreifen, argumentieren die Psychologen um Lee. Wer sich wasche, grenze sein Selbst damit geistig von negativen Ereignissen ab. Und natürlich, das aber nur am Rande, kann sich eine Reinigung schlicht großartig anfühlen. Frisch geduscht im Bett zu liegen und unter der Decke zu versinken, zählt zu den größten Genüssen dieser Welt. Der unmittelbare psychologische Effekt dieser Tätigkeit: Zufriedenheit, Entspannung, seliger Schlaf.