Masern-Impfung:Ignoranz, ideologischer Eifer und Bequemlichkeit als Hintergrund

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Mindestens so schlimm ist aber die dickfellige Ignoranz gegenüber dem, was hilft, was lindern, heilen, die Krankheit verhindern kann oder sogar dazu beiträgt, ein Leiden auszurotten. Ebola hätte sich früh eindämmen lassen, viele Menschen könnten noch am Leben sein, wenn Westafrika vom Rest der Welt nicht vernachlässigt worden wäre. Hier muss genauer hingeschaut und gehandelt werden: was kann gegen welche Infektion getan werden; zum Schutz des Einzelnen wie zum Schutz der Gemeinschaft.

Beispiel Masern. Es zeugt von Arroganz, davon zu sprechen, dass es besser sei, die Krankheit "durchzumachen", statt dagegen geimpft zu werden. So können nur jene reden, die Masern heil überstanden haben und nicht an den Spätfolgen einer Hirn- oder Lungenentzündung leiden. Medizinisch wie statistisch ist das Lob der Krankheit ebenfalls Unsinn: Schwere Komplikationen sind während einer Erkrankung um den Faktor 1000 häufiger als nach einer Impfung.

Sich impfen zu lassen ist im Fall der Masern auch ein Gebot der Solidarität. In jüngster Zeit hat sich gezeigt, dass bei Säuglingen und Kleinkindern die Komplikationen häufiger auftreten und schwerer verlaufen. Die Impfung ist aber frühestens nach dem elften, zwölften Lebensmonat möglich. Bei den bestehenden Impflücken oder einem Masernausbruch wie derzeit in Berlin sind die Kleinsten daher besonders gefährdet. Sie haben keinen Schutz. Es ist geradezu tragisch, dass diese beileibe nicht harmlose Kinderkrankheit weiterhin Opfer fordert, obwohl sie längst hätte ausgerottet sein können. Ein kleiner Piks für einen Menschen, ein großer Sprung für die Menschheit. Irrationale Widerstände gegen die Vakzination verhindern jedoch den Sieg über die Masern.

Es ist Menschen fremd, sich bei bestem Wohlbefinden eine Spritze geben zu lassen - die meisten Leute suchen den Arzt ja nur auf, wenn es ihnen schlecht geht. Auch widerstrebt es der Selbstbestimmung und dem Freiheitsempfinden vieler, sich auf Anordnung impfen zu lassen. Sprechen, wie im Fall der Masern, die medizinischen Argumente aber so eindeutig dafür, sollte eine Impfung zur Pflicht werden. Nicht aus dem Gefühl des Zwangs heraus, sondern aus Verantwortung - für sich selbst, aber eben auch für andere.

Anders verhält es sich mit der Grippe, die derzeit die halbe Republik plagt und viele Betriebe lahmlegt. Die Influenza-Viren verändern sich zu schnell und zu vielseitig, als dass der Impfstoff richtig greifen könnte. Vor diesem Problem stehen die Impfstoffentwickler jedes Jahr, sodass die Vakzination oft nur mäßigen Schutz bietet und daher lediglich Risikogruppen empfohlen wird. Offenbar ist der Nutzen systematisch überschätzt worden. Was bleibt, sind leider nur banale Hygienemaßnahmen - zum Beispiel, sich vermehrt die Hände zu waschen.

Wie diese beiden derzeit aktuellen Beispiele zeigen, geht es nicht um die alten Frontlinien zwischen Impfgegnern und Impfbefürwortern, sondern um eine medizinisch begründete Abwägung, die bei jeder Krankheit zu einem anderen Ergebnis führen kann. Ignoranz, ideologischer Eifer und Bequemlichkeit sind keine guten Ratgeber, wenn es darum geht, weiteres Leiden zu verhindern.

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