Was ist das nun? Späte Reue oder der Gipfel des Zynismus? Der amerikanische Milliardär Richard Sackler hat sich ein Arzneimittel patentieren lassen, das Menschen dabei helfen soll, ihre Abhängigkeit von Opioid-Schmerzmitteln besser zu kontrollieren. Das Medikament, eine neue Variante des Wirkstoffs Buprenorphin, wird in den USA wahrlich gebraucht, denn immer noch sterben im Zuge der Opioid-Epidemie weit mehr als 100 Menschen - jeden Tag. Das Problem ist nur: Auslöser der Epidemie, die halbe Dörfer, Straßenzüge und Sportteams dahinraffte, waren nicht mexikanische Drogendealer. Auslöser waren Richard Sackler, 73, und seine Familie.
Die Sacklers, deren Wurzeln in Polen liegen, hatten schon immer mit Medizin zu tun, sie waren Ärzte, Forscher, Verleger von Fachmagazinen und Marketingexperten. Vor allem aber waren sie nicht zimperlich. Richards Onkel Arthur etwa organisierte als PR-Spezialist in den Sechzigerjahren eine Werbekampagne, in der er den Tranquilizer Valium als eine Art Hausmittel zur Behandlung von Alltagsängsten verharmloste. In die Liga der Multimilliardäre aber stieg die Familie erst zur Jahrtausendwende mit ihrem Chemiekonzern Purdue Pharma auf - und dieser Aufstieg hatte auch einen Namen: Oxycontin.
Oxycontin ist eine Arznei, die seit dem Marktstart im Jahr 1995 unzähligen Menschen mit chronischen Schmerzen das Leben erleichtert hat. Doch es gibt eine Kehrseite, die Purdue Pharma stets klein redete: Der Wirkstoff ist Oxycodon, ein chemischer Verwandter des Heroins. Wer das Mittel nicht genau nach Anleitung oder zu lange nimmt, wird abhängig.
Als Manager verantwortete Sackler die aggressive Marketing-Strategie
Garantiert. Es war vor allem Richard Sackler, der Ärzte mit Geschenken und Überredungskunst dazu brachte, Oxycontin nicht nur als akutes Schmerzmittel, sondern als Dauerwohlfühlmedikament zu verschreiben. Der Erfolg war riesig: Plötzlich wurden Opiate, die einst nur bei Krebs und in der Palliativmedizin eingesetzt wurden, in großem Stil verabreicht. Bis heute soll das Medikament den Sacklers 35 Milliarden Dollar an Umsätzen beschert haben, das Familienvermögen wird auf 13 Milliarden geschätzt. Richard, der erst als Forschungs-, dann als Marketingchef die Entwicklung und die aggressive Werbestrategie verantwortete, wurde Präsident des Konzerns, dann Aufsichtsratschef.
Von Beginn an gab es für Oxycontin einen Schwarzmarkt, die Anleitung, das Medikament zu missbrauchen, lieferte Sacklers Firma gleich mit: Im Beipackzettel warnte sie vor der radikalen Wirkung der Pille, wenn man sie kaut oder zerbröselt und schnupft. Seit 1999 sollen 200 000 Amerikaner an einer Überdosis von Oxycontin und ähnlichen Produkten gestorben sein, für viele waren die Arzneien zudem der Einstieg in eine noch schlimmere Sucht: Heroin, das billig ist wie nie, oder das ultraaggressive, oft in China hergestellte synthetische Opioid Fentanyl.
Seit den Neunzigerjahren gab es Hunderte Versuche, Sackler zur Rechenschaft zu ziehen - erst letzte Woche kam wieder eine Klage dazu: "Purdues suchterregende Medikamente, kombiniert mit einem rücksichtslosen Marketing, haben Kinder ihrer Eltern und Familien ihrer Söhne und Töchter beraubt", erklärte Cynthia Coffman, die Generalstaatsanwältin des Bundesstaats Colorado. Sackler, Vater dreier erwachsener Kinder, jedoch konnte sich stets aus der Affäre ziehen. Viele Amerikaner kennen ihn, seine Onkel, Cousins und Cousinen, wenn überhaupt, nur als großzügige Förderer der Kunst: Im New Yorker Metropolitan Museum etwa ist ein ganzer Flügel nach den Sacklers benannt.
Drogenexperten hoffen, dass neue Buprenorphin-Arzneien den Platz bisheriger Ersatzmittel wie Methadon einnehmen und Opioid-Süchtigen ein besseres Leben ermöglichen können. Dass aber ausgerechnet Richard Sackler damit noch reicher werden könnte, so Andrew Kolodny, Opioid-Forscher an der Brandeis-Universität in Massachusetts gegenüber der Financial Times, das sei wahrlich "sehr verstörend".