Mehr als 200 medizinische Fachzeitschriften haben am Donnerstag einen gemeinsamen Leitartikel veröffentlicht. Darin fordert eine Gruppe von Autorinnen und Autoren anzuerkennen, dass der Klimawandel und der Verlust der biologischen Vielfalt untrennbar zusammengehören und gemeinsam angegangen werden müssen. Nur so lasse sich die Gesundheit der Menschen erhalten und eine globale Katastrophe verhindern, heißt es darin. Die Weltgesundheitsorganisation WHO müsse den globalen Gesundheitsnotfall ausrufen, im Jargon der UN-Organisation "public health emergency of international concern". Es ist die höchste Warnstufe der WHO, die derzeit nur für die Bedrohung durch Kinderlähmung, Polio, gilt.
Wenn sich Mediziner zum Klimawandel und zum Artensterben äußern, bewegen sie sich nur scheinbar jenseits der Grenzen ihres Fachgebiets. Denn durch die Störung der sozialen und wirtschaftlichen Systeme, die Bodenzerstörung, den Mangel an Unterkünften, Nahrung und Wasser, durch verschärfte Armut, Massenmigration und Konflikte werde die planetare Krise erhebliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben, schreibt die Gruppe um Chris Zielinski von der UK Health Alliance, einem Zusammenschluss medizinischer Einrichtungen und Institutionen in Großbritannien.
"Sollten diese Ereignisse eintreten, wären die Auswirkungen auf die Gesundheit weltweit katastrophal"
"Steigende Temperaturen, extreme Wetterereignisse, Luftverschmutzung und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten sind einige der größten Gesundheitsgefahren, die sich durch den Klimawandel verschärfen", heißt es in dem Leitartikel, der unter anderem in den Magazinen BMJ, The Lancet und JAMA veröffentlicht wurde, die zu den am häufigsten zitierten Fachjournalen der Welt zählen. "Selbst wenn wir die Erderwärmung unter 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau halten könnten, könnten wir noch immer katastrophale Gesundheitsschäden durch die Zerstörung der Natur verursachen." Wobei das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels aus Sicht der meisten Fachleute inzwischen ohnehin illusorisch geworden ist, da die wenigsten Staaten sich hinreichend bemühen, ihren Netto-Treibhausgasausstoß schnell genug auf null zu fahren.
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Durch die Veränderung der Landnutzung würden Zehntausende Tierarten mittlerweile dichter an Menschen leben als in früheren Jahrzehnten, heißt es weiter. Das führe auch ohne Erderwärmung zu einem "vermehrten Austausch von Krankheitserregern", was wiederum zu neuen Krankheiten und Pandemien führen könne. Auf der anderen Seite führe eine zunehmende Entfremdung des Menschen von Natur zusammen mit dem Rückgang der biologischen Vielfalt auch zu einer Zunahme von nicht übertragbaren, Autoimmun- und Entzündungskrankheiten sowie von Stoffwechsel-, allergischen und neuropsychiatrischen Störungen, heißt es weiter. Würden die vereinbarten Klima- und Artenschutzziele nicht erreicht, kämen Ökosysteme zum Zusammenbruch. "Sollten diese Ereignisse eintreten, wären die Auswirkungen auf die Gesundheit weltweit katastrophal."
Damit die WHO einen globalen Gesundheitsnotfall ausruft, müssen Voraussetzungen erfüllt sein: Die für die öffentliche Gesundheit bedrohliche Situation muss ernst, plötzlich, ungewöhnlich oder unerwartet sein, Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit über Landesgrenzen hinaus haben und sofortige internationale Maßnahmen erfordern. Die Autorengruppe des Editorials ist sich bewusst, dass Klimawandel und Verlust der biologischen Vielfalt weder plötzlich noch unerwartet auftreten, "aber sie sind sicherlich ernst und ungewöhnlich. Daher fordern wir die WHO auf, diese Erklärung vor oder auf der 77. Weltgesundheitsversammlung im Mai 2024 abzugeben."
Ob es etwas bringt, die Welt in einen gesundheitlichen Daueralarm zu versetzen? Am Ende wäre es vor allem ein politisches Signal. "Gesundheitsexperten genießen in der Öffentlichkeit großes Vertrauen, und ihnen kommt eine zentrale Rolle zu, wenn es darum geht, diese wichtige Botschaft zu vermitteln", sagt Kamran Abbasi, Chefredakteur des BMJ, in einer Pressemitteilung des Journals: "Die Klimakrise und der Verlust der biologischen Vielfalt schädigen beide die menschliche Gesundheit, und sie sind miteinander verknüpft. Deshalb müssen wir sie gemeinsam betrachten."