Medizin:Wie sich der Körper an unsere Gewohnheiten anpasst

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Die Gewöhnungsfähigkeit des Körpers hat Grenzen: Auch Kaffee reduziert zwar die Müdigkeit, aber nicht das Schlafbedürfnis. (Foto: Josep Suria/imago images/Westend61)

Wie verändert sich das Gehirn, wenn man jeden Tag Kaffee trinkt? Kann man sich an wenig Schlaf gewöhnen? Zu welchen Veränderungen der menschliche Körper fähig ist - und wo die Gene Grenzen setzen.

Von Nadja Tausche, München

Der menschliche Körper passt sich an Gewohnheiten an. Wer jeden Tag Kaffee trinkt, entwickelt eine Toleranz. Wer in eine heiße Gegend fährt, wird auf Dauer besser mit der Hitze klarkommen. Doch nicht an alles kann sich der Körper anpassen: Wie viel Schlaf jemand braucht, hängt beispielsweise maßgeblich von der eigenen inneren Uhr ab - und die bestimmen die Gene. Gerade erst hat eine Studie aus Tschechien gezeigt, dass die innere Uhr vieler Menschen nicht mit ihrem Lebensrhythmus übereinstimmt. Woran kann sich der Körper anpassen? Welche Wunder der menschliche Körper vollbringt - und wo seine Grenzen liegen.

Bei steter Hitze schwitzen Menschen mehr, verlieren dabei aber weniger Salz. (Foto: Sebastian Gollnow/picture alliance/dpa)

Wie sich der Mensch an Hitze gewöhnt

Wenn es um seinen Wärmehaushalt geht, ist der menschliche Körper streng. Die Körpertemperatur liegt zwischen etwa 36 und 37 Grad, der Wert ist individuell unterschiedlich. Steigt die Temperatur über den Normalwert, will der Organismus sie unbedingt senken. Eine der effektivsten Methoden der Thermoregulation: das Schwitzen.

Wer in einer heißen Region aus dem Flugzeug steigt, dessen Körper reagiert sofort: Indem Schweiß auf der Haut verdunstet, kühlt der Körper herunter. Wer mehrere Tage oder Wochen in heißem Klima bleibt, bei dem stellen sich gar die Schweißdrüsen um: "Man schwitzt schneller und mehr, und man verliert weniger Salz", erklärt Oliver Opatz, der sich am Zentrum für Weltraummedizin und extreme Umwelten der Berliner Charité unter anderem mit Thermophysiologie beschäftigt. Das Blutplasma verändert sich, es entstehen kleine Salz- und Wasserspeicher in der Haut. Und, erklärt Opatz: Man gehe seltener auf die Toilette, drossle also die Ausscheidung von Wasser. Auch das Verhalten passt sich an, oft unbewusst. "Man bewegt sich langsamer, macht mehr Pausen, man setzt sich öfter mal hin", so Opatz. Analog passt sich der Körper auch an Kälte an. So verändert sich beispielsweise die Schwelle, ab der Menschen zittern.

Wie gut jemand Hitze oder Kälte verträgt, hängt unter anderem vom Gewicht beziehungsweise vom Körperfett ab. Menschen mit einem höheren Körperfettanteil kommen schlechter mit Hitze zurecht, sind aber besser gegen Kälte geschützt. Zudem haben Männer mehr Schweißdrüsen als Frauen und außerdem in Relation zur Körperoberfläche mehr Muskelmasse, sie schwitzen also mehr, während Frauen schneller frieren. Mit der Zeit haben sich die Menschen außerdem genetisch an die in ihrer Region üblichen Temperaturen angepasst: Menschen in heißen Gegenden sind tendenziell überdurchschnittlich schlank, Menschen in kühleren Breiten massiger.

Menschen können aber trainieren, Wärme auszuhalten. "Wir sind anpassungsfähiger als so ziemlich jedes andere Lebewesen auf dem Planeten", sagt Opatz. Ein Beispiel: Jemand hat eine Reise in den Kongo gebucht. Um den Körper auf die Hitze vorzubereiten, rät der Physiologe, schon zuvor die Schweißproduktion anzukurbeln. Mehrmals in die Sauna gehen oder schweißtreibenden Sport treiben könne helfen. Am besten kombiniere man Hitze und Anstrengung: "Dann tritt der Anpassungsmechanismus in Kraft."

Manche vertragen derart viel Schärfe, dass sie Chili gar um die Wette essen wie hier in Ningxiang in China. (Foto: -/AFP)

Wie sich der Körper auf scharfes Essen einstellt

Wieso mögen manche Menschen scharfes Essen, während andere noch nicht mal verstehen, was den Reiz daran ausmachen soll? Wie viel Schärfe jemand erträgt, hängt von den Genen ab - lässt sich aber auch trainieren.

"Scharf" ist keine Geschmacksrichtung; wenn die Mundschleimhaut mit Scharfstoffen in Berührung kommt, werden vielmehr Schmerzrezeptoren aktiviert. Mit der Zeit kommt es zur Desensibilisierung. Was genau dabei im Körper passiert, dafür gebe es zwei mögliche Erklärungen, sagt Gaby Andersen vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München. Isst jemand häufig scharfes Essen, wird irgendwann der Ionenkanal namens TRPV1, über den das Signal "Schmerz" das Gehirn erreicht, entweder verschlossen oder internalisiert, also von der Zelloberfläche nach innen verlagert. Dass die Schärfe trotzdem noch wahrnehmbar ist, wenn auch weniger intensiv, liege daran, dass es viele Ionenkanäle gebe, sagt Andersen. Und klar sei: "Die Desensibilisierung kann aufgehoben werden, wenn der Scharfstoff nicht mehr da ist."

Daneben entscheidet ein genetischer Aspekt darüber, wie gut jemand Schärfe verträgt. Beim Ionenkanal TRPV1 gibt es eine Genausprägung, bei der eine bestimmte Aminosäure ausgetauscht ist, wodurch das TRPV1-Protein weniger sensitiv gegenüber Scharfstoffen ist. "Man empfindet also Schärfe als nicht so scharf", sagt Andersen. Etwa 30 Prozent der Menschen seien mit dieser weniger sensitiven Variante ausgestattet. Sie komme unter anderem in Ostasien öfter vor als im Durchschnitt. Möglicherweise wird deshalb dort gerne scharf gegessen; vielleicht hat sich der Mensch in diesen Regionen auch genetisch an seine Gewohnheiten angepasst.

Gegen die Müdigkeit am Morgen hilft nur ausreichend Schlaf. (Foto: Antonio Guillem/imago images/Panthermedia)

Lässt sich auch das Schlafbedürfnis reduzieren?

Wie viel Schlaf ein Mensch braucht, hängt maßgeblich von seinen Genen ab. Etwa 70 Prozent der Menschen sind "Normalschläfer": Sie brauchen sieben bis acht Stunden Schlaf. Manche brauchen neun Stunden oder länger, um sich ausgeruht zu fühlen, anderen reichen fünf Stunden. Kneginja Richter, Chefärztin im Bereich Schlafmedizin an der Curamed Tagesklinik Nürnberg, vergleicht den menschlichen Körper mit einem Handy-Akku: Bei manchen lädt er sich schnell auf und bleibt lange voll. Bei anderen dauert das Laden länger, dafür leert sich der Akku schneller.

Menschen unterscheiden sich auch darin, zu welcher Tageszeit sie fit sind. Es gibt unterschiedliche Chronotypen. Es kann sein, dass jemand eigentlich ausreichend schläft, aber trotzdem müde ist, weil sein Lebensrhythmus nicht zu seiner inneren Uhr passt. Essenziell ist auch der Zeitpunkt im Schlafzyklus, zu dem man geweckt wird. Ein Schlafzyklus dauert etwa 90 Minuten. In jedem Zyklus folgt auf die Einschlafphase die Phase des leichten Schlafs, dann kommt die Tiefschlafphase und schließlich die REM-Phase, auch Traumschlaf genannt. Wer mitten in der Tiefschlafphase geweckt wird, fühlt sich nicht erholt - auch wenn er eigentlich genug Stunden geschlafen hat. Optimalerweise klingele der Wecker zum Ende eines 90-Minuten-Fensters, sagt Richter.

Nun hat jemand, der neun Stunden schläft, jeden Tag vier Stunden weniger Zeit als ein Kurzschläfer. Lässt sich daran rütteln? Im Laufe des Lebens gewöhnen sich die meisten Menschen tatsächlich an, weniger zu schlafen. Am meisten Schlaf brauchen Babys. Das erklärt Richter damit, dass Schlafen in engem Zusammenhang mit Wachstum steht. Und auch willentlich könne der Langschläfer natürlich versuchen, weniger zu schlafen, sagt Richter, die an der Technischen Hochschule Nürnberg forscht. Der Mensch könne zwar viel aushalten. "Irgendwann aber klappt man zusammen vor Erschöpfung. Langfristig macht Schlafdefizit krank, das haben alle Studien bisher bewiesen": Das Risiko für körperliche Krankheiten steigt. Der Mensch wird auch anfälliger für psychische Leiden wie Depressionen und Burn-out. Weniger Schlaf zu brauchen, das kann nicht einmal das Gewöhnungstalent Mensch seinem Körper antrainieren.

Duftende Zeremonie zum Wachwerden: Die Bohnen selber mahlen und dann frisch im Handfilter aufbrühen. (Foto: imago/Westend61)

Und was ist mit Kaffee?

Wir trinken etwas und fühlen uns wach - wie geht das? Die Koffeinmoleküle bedienen sich dazu eines Tricks. Sie besetzen Rezeptoren im Gehirn, an denen eigentlich Adenosin andockt, ein Molekül, das unserem Körper signalisiert, dass wir müde sind. Je länger jemand wach ist, desto mehr Adenosin sammelt sich an; im Schlaf wird es wieder abgebaut. Koffeinmoleküle aber verdrängen das Adenosin und halten die Rezeptoren eine Weile besetzt. Das Adenosin kann nicht andocken, der Körper empfängt keine Müdigkeitssignale mehr. Allerdings hat der Körper das Koffein irgendwann verarbeitet. Dann bombardieren die Adenosinmoleküle die wieder frei gewordenen Rezeptoren - und die Müdigkeit ist zurück.

Das Schlafbedürfnis lässt sich so also nicht reduzieren, sondern nur das Gefühl von Müdigkeit. Umgekehrt aber gewöhnt sich der Körper an Kaffee. Trinkt jemand mehrere Tassen täglich, schafft der Körper neue Möglichkeiten für das Adenosin. Er produziert zusätzliche Rezeptoren. Um diese zu blockieren und sich wach zu fühlen, braucht der Mensch also mehr Kaffee.

Macht Kaffee also süchtig? Ja und nein. Wer viel Kaffee trinkt und auf einen Schlag damit aufhört, wird das nach übereinstimmender Meinung von Expertinnen und Experten körperlich spüren. Mögliche Folgen sind Kopfschmerzen, Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten. Trotzdem gibt es einen großen Unterschied zu Drogen wie Alkohol oder Nikotin: Koffein stimuliert nicht das Belohnungszentrum des Gehirns, und somit fällt der körperliche Zwang weg, den Stoff immer wieder zu konsumieren und die Dosis zu steigern. Wer längere Zeit keinen Kaffee trinkt, dessen Körper baut die zusätzlichen Adenosinrezeptoren mit der Zeit wieder ab.

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