Covid-19:Hotspots am rechten Rheinufer

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Das Virus schont die Reichen im wohlhabenden Westen der Domstadt. (Foto: Andreas Rentz/Getty Images)

Eine Studie aus Köln bestätigt, dass Covid-19 vor allem Menschen in ärmeren Stadtteilen trifft. Nur zu Beginn der Pandemie fanden sich mehr Infizierte in den reicheren Vierteln, doch das Bild änderte sich schnell.

Von Christian Wernicke, Köln

Der Corona-Gürtel legt sich quer über Köln. Von Chorweiler, der Hochhaussiedlung im Nordwesten, zieht sich auf der Karte des Fraunhofer-Instituts ein blaues Band bis in den Südosten der Millionenstadt. Es sind vor allem die alten Industrie- und Arbeiterviertel am rechten Rheinufer, deren tiefes Blau auf der Grafik der Wissenschaftler signalisiert: Hier, wo in Mülheim, Kalk oder Porz mehr Arbeitslose, mehr Wohngeldempfänger und mehr Menschen mit Migrationshintergrund zu Hause sind, erkranken die Bürger am häufigsten an Covid-19. Das Virus plagt die Schwachen, und es schont die Reichen auf der anderen Flussseite im wohlhabenden Westen der Domstadt.

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Das sieht auch Harald Rau so. Zwar warnte Kölns Sozialdezernent am Montag bei der Vorstellung der Untersuchung, die die Stadt zusammen mit dem Fraunhofer-Institut durchgeführt hat, vor voreiligen Schlüssen: "Diese Studie generiert mehr Hypothesen, als dass sie Hypothesen bestätigt." Aber dass Corona eine Massenkrankheit ist, die besonders gut gedeiht in sozial deprivierten Vierteln mit niedrigen Mieten und hoher Arbeitslosigkeit - "das geben unsere Daten tatsächlich her." Noch vor der Veröffentlichung zog die Stadt Köln erste Konsequenzen: Die Kapazitäten für kostenlose Schnell- und Selbsttests im Kölner Osten, der "Schäl Sick", sollen schleunigst ausgebaut werden. Die Erfahrung lehrt: In den besseren Vierteln im Westen bauten kommerzielle Anbieter ihre Testzentren früher und schneller auf.

Auch in Köln ist der "Ischgl-Effekt" sichtbar. Zuerst trugen Urlauber das Virus ein

Dennoch, die Studie wirft mindestens so viele neue Fragen auf, wie sie alte beantwortet. Zwar scheint die "Analyse der Kölner Kontaktverfolgungsdaten" - so der spröde Titel - zunächst zu bestätigen, was zuvor schon eine Untersuchung in Bremen zeigte: dass es tatsächlich im Frühjahr 2020 den "Ischgl-Effekt" gab. Während der damaligen ersten Welle fiel das Virus zunächst in Kölns wohlhabendere, linksrheinische Veedel ein. Dort, wo zwischen mehr Grün mehr Bungalows und gutbürgerliche Wohnhäuser stehen, also in Müngersdorf und Braunsfeld im Westen oder im feinen Rodenkirchen im Süden der Domstadt. Das scheint die Vermutung zu bestätigen, dass damals vor allem wohlsituierte Rückkehrer aus dem alpinen Skiurlaub dazu beitrugen, die Pandemie ins Rheinland zu tragen.

Eindeutig bewiesen ist das allerdings nicht. "Ob das Ischgl war, wissen wir nicht", warnt Harald Rau im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Das sei "zwar naheliegend", aber sicherer sei die Aussage, dass die erste Welle vor einem Jahr vor allem den mobileren Teil der Kölner Bevölkerung traf. Ja, und auch der Karneval könne eine Rolle gespielt haben: "In diesem Teil der Stadt gibt es mehr Sitzungs-Karneval," sagt Rau, "auch das kann eine Erklärung sein."

Insgesamt beruht die Studie auf einem Datensatz mit 101 918 "Einträgen": Den Forschern zufolge lagen Angaben über 28 848 positiv getestete Personen (so genannte Indexfälle) und deren Kontaktpersonen vor, zusammengetragen von März 2020 bis Januar 2021. Allerdings hatte das Kölner Gesundheitsamt nur für ein Drittel dieser Indexfälle die Ansteckungsquelle ermitteln können. Nur bei diesen 9759 Infizierten ließen sich also verlässlich Infektionsketten ermitteln.

Dieses Drittel ist auch die Datenbasis für die Kölner Erkenntnis, dass sich die Menschen zumeist bei Gleichaltrigen anstecken. So war es in 5726 (58,7 Prozent) der untersuchten Fälle. Bei jeder fünften Infektion (26,3 Prozent) war der Virus-Träger älter als die Kontaktperson, und nur in 1428 Fällen (14,6 Prozent) waren es die Jüngeren, die die Älteren mit dem Virus in Gefahr brachten. Zudem besagt die Statistik, dass ältere und gleichaltrige Infizierte ihr Umfeld häufiger anstecken (zu etwa 40 Prozent) als jüngere Mitmenschen dies tun (28 Prozent).

Nur, wie viel ist diese Erkenntnis wert als Argument in der aktuellen Debatte etwa um die Schließung von Schulen und Kitas? Wenig - denn bis Januar wurde in Deutschland zumeist nur getestet, wer Covid-19-Symptome zeigte. Und bekanntlich nimmt die Krankheit bei jüngeren Menschen meist einen milderen, oft sogar symptomfreien Verlauf. Wirklich repräsentativ, so gibt Dezernent Rau zu bedenken, sei eine Analyse also erst, "wenn wir unabhängig vom Zustand der Menschen testen." Die Ära der massenhaften Tests bricht in der Republik aber gerade erst an.

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