Antibiotika:Gefahr aus stinkendem Wasser

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Resistente Bakterien wie diese Pseudomonas aeruginosa werden weltweit zum Problem. (Foto: CDC - Medical Illustrator)

Die Gewässer rund um die Pharmafabriken im indischen Hyderabad sind tiefschwarze Kloaken. Darin leben Bakterien, die sich mit einer Vielzahl von Antibiotika nicht mehr töten lassen. Forscher sprechen von einer "Zeitbombe".

Von Christina Berndt und Hanno Charisius

Drinnen gibt es wohl Reinräume. Es muss sie geben. Dort, wo Tabletten hergestellt werden, geht es sauber zu. Das gilt auch in den Fabriken in Indiens Pharma-Metropole Hyderabad, sonst würden die Menschen in reichen Ländern die Tabletten von hier nicht schlucken wollen. Aber das tun sie in großer Zahl. Kaum ein Antibiotikum wird noch in Europa hergestellt, 80 bis 90 Prozent kommen aus Indien und China. Aus Fabriken wie diesen grüngraubraunen Klötzen in Hyderabad.

Irgendwo da drinnen wird es also Reinräume geben. Draußen aber, das steht außer Frage, ist es alles andere als rein, rund um die Pharmafabriken von Hyderabad. Wer den Weg zu einem der zahlreichen Kanäle sucht, welche die Fabriken mit dem Fluss Musi verbinden, muss seinen Würgereflex unter Kontrolle haben. Die Inder treiben ihre Schafherden hier herum, aber dem Team von Wissenschaftlern, die zusammen mit Reportern von NDR, WDR und SZ die Gewässer um die Pharmafabriken erforschen wollen, wird reihenweise schlecht, wenn sie die Luft hier atmen. Auf dem Fluss treibt dicker Schaum, und dort, wo das Wasser kaum in Bewegung ist, hat es sich in eine grünschimmlige oder tiefschwarze Kloake verwandelt. An Gesundheit denkt man hier nicht, auch wenn die großen Fabriken der Pharmahersteller mit ihren beeindruckenden Rohren von jedem Fleck in der Umgebung aus zu sehen sind. Was einem in den Sinn kommt, ist Krankheit.

Im Wasser leben Bakterien, die sich mit Antibiotika nicht töten lassen

Eben deshalb ist das Team von Wissenschaftlern um den Infektionsmediziner Christoph Lübbert vom Universitätsklinikum Leipzig auch hier. Die Forscher hegen einen schlimmen Verdacht: Sie befürchten, dass die Firmen Medikamentenrückstände einfach in der Umwelt entsorgen und so zur Ausbreitung von multiresistenten Bakterien beitragen. Dort, wo Antibiotika gegen gefährliche Bakterien hergestellt werden, könnte in der Umgebung eine Brutstätte für Keime sein, die eben gegen diese Antibiotika immun sind. Deshalb entnehmen die Forscher, während ihnen die Augen tränen und ein beißender Gestank die Schleimhäute reizt, zahlreiche Proben - aus Abwasserspeichern, Bächen, Kanälen, einem Bohrloch und auch aus manchem Wasserhahn.

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Einen Teil der Proben schicken sie nach Nürnberg. Dort sollen Wissenschaftler am Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) die Proben auf Medikamentenrückstände untersuchen. Als sie die Probenröhrchen aus Hyderabad öffnen, füllt der beißende Geruch schnell das gesamte Labor. Am Ende werden die Erwartungen der Wissenschaftler um ein Vielfaches übertroffen - im Negativen: In gigantischen Konzentrationen schwimmen Antibiotika im Wasser rund um die Pharmafabriken, in Konzentrationen, die nicht einmal im Blut von Patienten während einer Behandlung erreicht werden. Von dem Anti-Pilz-Mittel Fluconazol fanden die Forscher so viel, dass sie sagen können, sie hätten den höchsten Wert bestimmt, der jemals von einem Medikament in der Umwelt gemessen wurde.

Schlimmer noch sind die Ergebnisse aus Leipzig, wo die Forscher nach Keimen in den Proben suchen: Im Wasser leben demnach Bakterien, die sich mit einer Vielzahl von Antibiotika nicht mehr töten lassen. Multiresistente Keime, die in den Krankenhäusern in aller Welt das Leben von Patienten bedrohen, tummeln sich rund um Hyderabad in der Umwelt, wie das Team aktuell auch im Fachblatt Infection berichtet. Frei von den Supererregern sind nur die Proben aus dem Wasserhahn des Hotels in Hyderabad. Offenbar trägt die Pharmaindustrie also mit dazu bei, dass super-resistente Erreger entstehen, gegen die ihre eigenen Mittel nicht mehr helfen.

Der Infektionsmediziner Lübbert wirkt heute noch entsetzt. "Eine der ersten Proben war aus dem Musi River, da hatte ich natürlich erwartet, dass etwas drin ist. Aber dass alles drin ist, wovor wir Angst haben müssen, das hat mich wirklich wütend gemacht", sagt er. Die Ergebnisse seien "sehr beängstigend", denn die Bakterien könnten sich in der Umwelt ausbreiten und am Ende Menschen befallen. Der Leiter des IBMP, Fritz Sörgel, spricht von einer "Zeitbombe". Solche multiresistenten Keime betrachtet die Weltgesundheitsorganisation als eine der größten globalen Bedrohungen. Schon jetzt sterben weltweit jedes Jahr 700 000 Menschen, weil Ärzte nichts mehr gegen deren Infektionen tun können. "In Deutschland sind das bisher noch Einzelfälle", sagt Christoph Lübbert, "aber wenn wir hier auf der Intensivstation einen Patienten haben, bei dem wir im Blut einen Erreger mit nur einem Resistenzmechanismus finden, schlottern uns vor Angst die Knie. Wenn weitere Resistenzen auftreten, sterben einem die Patienten unter den Händen weg."

Lübbert weiß, dass solche Keime häufig aus fremden Ländern mitgebracht werden. Mehr als 70 Prozent aller Touristen bringen Studien zufolge resistente Erreger aus Indien mit. Sie sind nicht krank, tragen die Keime aber in ihrem Körper. "Wenn wir diese Bakterien nicht kontrollieren können, dann könnte es sein, dass wir in 30, 40 Jahren wieder - wie vor der Einführung der Antibiotika - überwiegend an nicht behandelbaren Infektionskrankheiten sterben", sagt Lübbert. Tim Eckmanns, Fachgebietsleiter für Infektionsforschung am Robert-Koch-Institut, denkt deshalb über ein generelles Gesundheits-Screening für Rückkehrer von Indienreisen nach.

Derzeit kämpfen Ärzte am Universitätsklinikum in Frankfurt gegen multiresistente Klebsiella-Keime. Fünf Patienten haben sich infiziert, drei sind gestorben, wenn auch nach Einschätzung der Ärzte an ihrer Grunderkrankung, nicht an der Infektion. Vor zwei Jahren gab es an der Universitätsklinik in Kiel elf Todesfälle, nachdem ein Urlauber aus der Türkei mit einem Erreger eingeliefert worden war, der gleich gegen vier Antibiotika resistent war. In Indien kommt das Antibiotikum Colistin, das in Deutschland nur im Notfall, nämlich gegen multiresistente Erreger, eingesetzt wird, schon bei jedem dritten Patienten zum Einsatz.

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So erreichte eine Amerikanerin, die in Indien behandelt wurde, einen traurigen Rekord: Sie wurde im August 2016 in ein Krankenhaus in Reno (Nevada) eingeliefert, nachdem sie wegen eines Hüftbruchs zwei Jahre lang immer wieder in indischen Krankenhäusern behandelt worden war. Die Keime in ihrem Blut waren gegen sämtliche 26 zugelassenen Antibiotika resistent, die in ihrem Fall infrage kamen.

Die Frau starb. Dass die Medikamente aus den Gewässern von Hyderabad von den Pharmafirmen stammen, ist letztlich nicht bewiesen, aber sehr wahrscheinlich: "Es gibt angesichts der hohen Konzentrationen keine andere logische Erklärung", meint der schwedische Umweltpharmakologe Joakim Larsson, der sich seit vielen Jahren mit der Thematik befasst. So wurde das Antibiotikum Moxifloxacin in der beachtlichen Menge von knapp 700 Mikrogramm pro Liter in einem Kanal direkt an einer Pharmafabrik nachgewiesen, die dieses Mittel für den europäischen Markt herstellt. Die Konzentration liegt mehr als 5 500-mal über dem Grenzwert, ab dem Resistenzen entstehen.

Ob die unter solchen Bedingungen entstehenden resistenten Keime aus der Umwelt zu Krankheiten beim Menschen führen, ist nicht sicher bewiesen. Es ist aber einer von mehreren möglichen Wegen, auf denen multiresistente Keime zur Gefahr werden. Die größte Brutstätte für Superbugs dürften nach wie vor Krankenhäuser sein, wo Antibiotika zu häufig und zu sorglos verabreicht werden. Auch Tierställe stehen im Verdacht. Dort werden die Medikamente mitunter in großen Mengen eingesetzt, um Erkrankungen zu bekämpfen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung geht allerdings davon aus, dass die Übertragung resistenter Bakterien vom Vieh auf den Menschen eher "von untergeordneter Bedeutung für die Infektionen des Menschen" ist. Die Umwelt ist jedoch der Ort, wo sich die Entstehung solcher Keime am ehesten verhindern ließe.

Auch in Deutschland gelangen immer wieder Keime ins Abwasser von Kliniken oder Antibiotika in Kläranlagen. Wenn sie auf diesem Wege in die Umwelt gelangen, sterben sie aber in der Regel schnell ab. Denn meistens sind Resistenzen gegen Antibiotika für Keime nur dann ein Überlebensvorteil, wenn sie sich in einer Umwelt voller Antibiotika behaupten müssen, wie in den Abwasserkanälen von Hyderabad. Sonst sind die Gene oft eher ein Nachteil, weil sie den Stoffwechsel belasten.

Die Keimbrutstätten rund um Hyderabad ließen sich wahrscheinlich durch sorgfältige Abwassersysteme verhindern. Das sollte sich auch finanzieren lassen, schließlich lassen fast alle bedeutenden Generikahersteller dort Wirkstoffe produzieren - darunter so große Namen wie Ratiopharm, 1 A Pharma, Hexal oder Stada. Auf Anfrage teilen die Firmen mit, sie nähmen die Ergebnisse der Untersuchungen ernst. Doch sie verweisen zugleich darauf, dass die Hersteller regelmäßig und entsprechend den Gesetzen kontrolliert würden.

Die europäischen Gesetze verlangen allerdings nur, dass es drinnen sauber ist. Die Medikamente sollen nach den Regeln zur "Guten Herstellungspraxis" (GMP) produziert werden, es geht also um die Qualität der Arzneimittel und damit um den Schutz der EU-Bürger. Der Zustand der Umwelt spielt in diesen Vorschriften keine Rolle, er bleibt allein den lokalen Behörden überlassen.

Die indische Pharmaindustrie versucht das Thema herunterzuspielen

Das Umweltbundesamt (UBA) fordert schon seit Langem, die GMP-Regeln um Vorschriften für den Umweltschutz zu erweitern.

Die deutschen Pharmafirmen klagen derweil über den hohen Preisdruck, der auf ihnen laste. Angesichts der niedrigen Preise für Antibiotika könne die "Produktion in Deutschland nicht kostendeckend stattfinden", klagte jüngst der Verband Pro Generika, der fast alle bedeutenden Antibiotika-Hersteller vertritt. Deshalb sei die Auslagerung der Produktion nach Indien nötig.

Diese Argumentation will Karl Lauterbach nicht gelten lassen. Das sei "eine billige Ausrede der Pharmaindustrie", sagte der SPD-Gesundheitsexperte dem SWR. Dass Antibiotikaresistenzen "bei der Pharmaproduktion entstehen, ist nicht akzeptabel." Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sprach nach Öffentlichwerden der Recherchen von NDR, WDR und SZ von "inakzeptablen Zuständen": "Pharmaunternehmen, die Arzneimittelbestandteile aus Asien einkaufen oder dort herstellen lassen, werden den Bericht zum Anlass nehmen, auf die Einhaltung vereinbarter Umweltrichtlinien stärker einzuwirken", sagte der stellvertretende BPI-Hauptgeschäftsführer Norbert Gerbsch.

Der Druck der Abnehmer dürfte auch nötig sein. Denn die indische Pharmaindustrie versucht bisher vor allem abzuwiegeln. Nur wenige indische Hersteller haben auf schriftliche Anfragen geantwortet, unter anderen MSN, ein wichtiger Zulieferer deutscher Pharmaunternehmen. In Proben, die in der Nähe von zwei der Fabriken des Unternehmens genommen wurden, fanden die Forscher hohe Konzentrationen an Medikamenten. MSN bestreitet, dafür verantwortlich zu sein, und zweifelt die Untersuchungsergebnisse an. Auch andere Firmen teilten mit, dass sie keine Abwässer in die Umwelt leiten. Es sei also gar nicht möglich, dass die gefundenen Substanzen aus ihren Werken stammen.

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