Suchtmittelkonsum:Wie Europas Kinder trinken und dampfen

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Hoch die Flaschen: Viele Kinder und Jugendliche in Europa trinken Alkohol - mehr als ein Drittel der 15-Jährigen hatte einer Umfrage zufolge im vorausgehenden Monat zu Bier, Wein oder Spirituosen gegriffen. (Foto: IMAGO/Anastasiia Nelen/IMAGO/Westend61)

Schon Elfjährige hängen an der E-Zigarette, rauchen oder betrinken sich: Ein WHO-Bericht zeigt, dass Heranwachsende in erheblichem Maß Suchtmittel konsumieren. Deutschland sticht vor allem beim Alkohol hervor.

Von Berit Uhlmann

Kinder, die noch Milchzähne haben, und doch schon mehr als einmal in ihren Leben betrunken waren - das ist in Teilen Europas nicht selten. In Bulgarien zum Beispiel, wo fast zehn Prozent aller elfjährigen Jungen bereits mindestens zweimal einen Rausch erlebten. Knapp 20 Prozent der bulgarischen Jungen haben auch schon mindestens einmal geraucht. In Litauen dagegen hat jeder fünfte Elfjährige bereits Erfahrungen mit der E-Zigarette.

Dies sind einige traurige Spitzenwerte aus einem am Donnerstag erschienenen Bericht des WHO-Regionalbüros für Europa. Er zeigt auf der Basis von Befragungen, wie sehr die Heranwachsenden auf dem Kontinent sowie einigen ausgewählten Ländern außerhalb Europas trinken, rauchen, dampfen und kiffen. Und auch wenn es enorme Unterschiede zwischen den Ländern gibt, so lässt sich doch eine Erkenntnis aus den Daten ziehen: Elf- bis 15-Jährige, die eigentlich vor Suchtmitteln geschützt sein sollten, konsumieren diese quer durch Europa in erheblichem Maß.

Das gilt am stärksten für den Alkohol. Sechs Prozent aller Elfjährigen gaben an, in den 30 Tagen vor der Befragung mindestens einen Drink zu sich genommen zu haben. Unter den 15-Jährigen waren es mehr als ein Drittel. 20 Prozent in dieser Altersgruppe waren schon mindestens zweimal betrunken. Am häufigsten tranken die jungen Dänen, knapp 70 Prozent hatten innerhalb des zurückliegenden Monats zu Bier, Wein oder Spirituosen gegriffen. Die längerfristige Tendenz ist wie auch die Konsummuster inhomogen - aber alles in allem nicht wirklich beruhigend. In vielen Staaten stagnierte der Alkoholkonsum oder nahm noch zu.

Weit verbreitet ist auch die E-Zigarette, an der in Europa mittlerweile mehr junge Menschen ziehen als an Tabak-Zigaretten. Etwa 20 Prozent aller 15-Jährigen dampften im Monat vor der Befragung, ergab der WHO-Bericht. Am höchsten ist die Quote mit mehr als 30 Prozent in Litauen.

Die Autoren des Berichts bewerten die zunehmende Verbreitung elektronischer Zigaretten als ein erhebliches Problem für die öffentliche Gesundheit: "Die Forschung zeigt, dass junge Menschen sehr empfindlich auf Substanzen wie Nikotin reagieren, da sich ihr Gehirn noch in der Entwicklung befindet, weshalb sie leichter süchtig werden." Sie kritisieren, dass E-Zigaretten gezielt für junge Menschen vermarktet werden und fordern, die Produkte zu verbieten oder zumindest stark zu regulieren. Mit dem Alkohol hat die E-Zigarette gemein, dass sie eher ein Phänomen von Jugendlichen aus wohlhabenderen Familien ist.

Deutschlands 15-Jährige rauchen, dampfen und kiffen leicht mehr als der europäische Durchschnitt

Rauchen war dagegen tendenziell etwas stärker unter weniger begüterten Kindern und Jugendlichen verbreitet. 15 Prozent der 15-Jährigen hatten innerhalb von 30 Tagen mindestens einmal zur herkömmlichen Zigarette gegriffen. Den höchsten Wert verzeichnete Grönland, wo mehr als die Hälfte aller Mädchen im zurückliegenden Monat rauchten. Tendenziell scheint das Qualmen abzunehmen - aber nicht in allen Altersgruppen und Ländern.

Kiffen war unter den untersuchten Suchtmitteln am wenigsten verbreitet, insgesamt sechs Prozent der 15-Jährigen gaben an, im vergangenen Monat Cannabis konsumiert zu haben.

Deutschlands 15-Jährige rauchen, dampfen und kiffen leicht mehr als der europäische Durchschnitt. Beim Alkoholkonsum dagegen stechen sie deutlich hervor. Etwa 55 Prozent hatten im Monat vor der Befragung Bier, Wein oder Ähnliches getrunken. Damit liegen sie auf Platz drei in Europa.

Die Zahlen liegen zum Teil deutlich höher als die der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), die am Mittwoch ihr Jahrbuch Sucht herausgegeben hat. Erklärungen für die Unterschiede könnten verschiedene Altersgruppen und Erhebungsmethoden in den Befragungen sein. Zudem müssen die Auskünfte von Jugendlichen nicht in allen Fällen zuverlässig sein.

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Dennoch weist auch die DHS auf einen insgesamt hohen Alkoholkonsum in Deutschland hin. "In kaum einem anderen Land ist Alkohol so leicht und jederzeit verfügbar wie in Deutschland", kritisiert die DHS und fordert daher, den Verkauf stärker zu begrenzen, die Preise zu erhöhen und die Werbung einzuschränken. "Da wurde Jahrzehnte nichts gemacht, und auch die im Koalitionsvertrag angekündigte Regulierung zum Sponsoring von Alkohol und Tabak lässt auf sich warten", sagte Geschäftsführerin Christina Rummel der SZ.

Dass sich der Suchtmittelkonsum von Land zu Land so stark unterscheidet, führt Carina Ferreira-Borges, bei der WHO Europa für Alkohol und Drogen zuständig, unter anderem auf ein unterschiedliches Maß an Präventionsmaßnahmen zurück. Eine Rolle spielten aber beispielsweise auch kulturelle Normen und sozioökonomische Bedingungen. Letztlich werde der Konsum "durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren beeinflusst", sagt sie der SZ. Daher müssten auch die Maßnahmen auf die spezifische Situation im Land angepasst werden.

Der Bericht basiert auf der alle vier Jahre durchgeführten internationalen "Health Behaviour in School-aged Children study". Sie ist die weltweit größte Studie zur Kinder- und Jugendgesundheit und ist besonders gut für Vergleiche zwischen den Ländern geeignet. Für die jüngste Ausgabe wurden 2021 und 2022 insgesamt 280 000 junge Menschen aus 44 Ländern und Regionen befragt.

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