Pläne gegen Altersarmut:Was Sie über die Zuschussrente wissen müssen

Lesezeit: 4 min

Ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung: Das haben FDP und CDU im Koalitionsvertrag vereinbart. Doch besonders Menschen, die wenig verdienen, werden eines Tages nur noch minimale Renten erhalten. Warum sind so viele trotzdem gegen die von Sozialministerin von der Leyen geplante Zuschussrente? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Thomas Öchsner

Im Koalitionsvertrag von Union und FDP steht ein bemerkenswerter Satz: "Wir wollen, dass diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt haben, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erhalten." Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) versucht nun, mit ihrer Zuschussrente für Geringverdiener dies umzusetzen. In einem Brief an junge Unionsabgeordnete warnt sie eindringlich: "Wenn wir jetzt nicht umsteuern, wird es (. . .) kein Ausnahmefall mehr sein, dass Niedrigverdiener, die Jahrzehnte gearbeitet, in die Rentenkasse eingezahlt und ihr ganzes Erwerbsleben unabhängig von staatlicher Hilfe bewältigt haben, mit dem Tag des Renteneintritts den Gang zum Sozialamt antreten müssen." Harte Sätze. Aber stimmen sie? Droht wirklich in knapp 20 Jahren die Massenarmut im Alter? Und warum sind so viele trotzdem gegen die Zuschussrente? Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen.

Warum droht in Zukunft Millionen Rentnern die Altersarmut?

Das liegt zum großen Teil an der beschlossenen Senkung des Rentenniveaus, welche die Beiträge für die Jüngeren langfristig bezahlbar halten soll. Von 2003 bis 2030 sinkt das Niveau um 16 Prozent, rechnet von der Leyen vor. Es gibt an, wie viel Prozent ein Durchschnittsverdiener mit 2600 Euro brutto von seinem Monatsgehalt an Rente herausbekommt, wenn er 45 Jahre lang die entsprechenden Beiträge bezahlt hat. Derzeit liegt dieser Wert bei knapp 51 Prozent. Bis 2030 wird er auf 43 Prozent fallen. 2011 hätte er so eine Rente von 1236 Euro erhalten. Nach der Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent wären es nach heutigen Maßstäben nur noch 989 Euro - vor Steuern.

Für welche Bevölkerungsgruppen ist das Armutsrisiko im Alter am größten?

Es gibt etwa sieben bis acht Millionen Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten und nur geringe Beiträge in die Rentenversicherung einzahlen. Ihnen allen drohen Mini-Renten nicht einmal auf dem Niveau der staatlichen Grundsicherung.

Wer ist noch gefährdet?

Dies gilt auch für die erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger, für die der Staat kein Geld mehr in die Rentenkasse überweist. Betroffen sind dabei besonders diejenigen, die zwei Jahre und länger von der staatlichen Hilfe leben. Ihre Zahl beläuft sich allein auf 2,69 Millionen. Ein höheres Armutsrisiko gibt es außerdem für die wachsende Zahl der Solo-Selbständigen ohne Angestellte, die wenig Geld verdienen und deshalb nicht fürs Alter vorsorgen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung prognostiziert: Vor allem in Ostdeutschland könnte die Armut im Ruhestand zunehmen. Dies gelte besonders für die Jahrgänge 1957 bis 1961 bei den Männern und 1962 bis 1966 bei den Frauen.

Wie viele Rentner sind arm?

Amtlich gelten nur 2,5 Prozent der gut 20 Millionen Rentner als arm, weil sie mit ihrem Einkommen unter der Grundsicherung liegen. Ende 2010 waren dies mehr als 400 000 Menschen, die 65 Jahre und älter waren. Im Durchschnitt erhielten sie 688 Euro im Monat zum Leben und Wohnen. Hinzu kommen knapp 385 000 voll erwerbsgeminderte Personen, die von der Grundsicherung leben. Sie mussten vorzeitig aufhören zu arbeiten, weil sie krank waren. Insgesamt ist die Zahl der Grundsicherungsempfänger 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 4,3 Prozent gestiegen.

Was sagt die Arbeitsministerin?

Von der Leyen warnt: Um in 35 Arbeitsjahren eine Rente über der Grundsicherung zu erzielen, "müsste ein junger Mensch von heute an in Vollzeit und konstant monatlich 2500 Euro brutto verdienen". Alle anderen seien Kandidaten für das Sozialamt.

Was ist von ihren Zahlen zu halten?

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kritisiert, dass die Zahlen weder Kindererziehungszeiten noch Pflegezeiten berücksichtigen würden. "Damit bleiben aber bei einer Regelaltersgrenze von aktuell bereits über 65 Jahren wenigstens weitere zehn Jahre der Erwerbsbiografie unberücksichtigt", heißt es in einer Stellungnahme der Behörde. Sie weist auch darauf hin, "dass eine niedrige gesetzliche Rente nicht zwangsläufig mit Armut im Alter gleichzusetzen ist". So könne man zum Beispiel von Armut im Alter nicht sprechen, "wenn das eigene Einkommen eines Versicherten niedrig ist, sein Ehepartner jedoch über ein entsprechend hohes Alterseinkommen verfügt". Außerdem werde das gesetzliche Rentenniveau im Alter zwar geringer. Bei denjenigen, die zusätzlich vorsorgen, falle es zusammengerechnet jedoch insgesamt höher aus als heute. Auch das lasse von der Leyen unberücksichtigt. Die Stellungnahme lässt sich als Affront gegen die Ministerin werten. Indirekt wird von der Leyen damit unterstellt, bei ihren Berechnungen von falschen Annahmen auszugehen. Normalerweise hält sich die Rentenversicherung mit politischen Stellungnahmen zurück.

Was ist die Zuschussrente?

Die Arbeitsministerin will damit das Altersgeld auf bis zu 850 Euro aufstocken, wenn der Versicherte 30 (ab 2023: 35) Jahre Beiträge gezahlt, Kinder großgezogen oder Angehörige gepflegt hat. Gemessen an den 688 Euro an durchschnittlicher Grundsicherung gäbe es also etwa 160 Euro oben drauf. Zuschussrente soll aber nur erhalten, wer von 2019 an mindestens fünf Jahre auch privat oder betrieblich zusätzlich vorgesorgt hat. Diese Latte wird immer höher gelegt, 2049 müssen Zuschuss-Rentner dann 35 Jahre zusätzlich vorgesorgt haben. Solche Privat- oder Betriebsrenten will von der Leyen nicht auf die gesetzliche Rente und Zuschussrente anrechnen.

Ist die Zuschussrente sinnvoll?

Von der Leyen ist überzeugt: Die Zuschussrente setzt Anreize, damit gerade auch Geringverdiener zusätzlich vorsorgen. Sie hofft, dass 2030 bereits 1,4 Millionen Menschen von der neuen Sozialleistung profitieren. Die Kritiker halten entgegen, dass die Zugangshürden viel zu hoch seien. Viele Millionen hätten deshalb nichts von der Zuschussrente. Sie sehen außerdem das Prinzip verletzt, dass sich die Höhe der Ruhestandsbezüge nach den gezahlten Beiträgen richtet. Wird die Rente aufgestockt, sei dies zum Beispiel unfair gegenüber einem Arbeitnehmer, der sich 1000 Euro Rente selbst erarbeitet hat. Andere Länder sind schon einen Schritt weiter: In Norwegen, Großbritannien, den Niederlanden oder Dänemark gibt es eine Grundrente ohne Prüfung der Bedürftigkeit, die für alle Versicherten gleich hoch ist. Sie wird separat von der gesetzlichen Rente ausgezahlt.

© SZ vom 04.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: