Herbstgutachten der Kommission:Brüssel fürchtet Stillstand in Europa

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Die EU-Kommission schlägt Alarm - und sieht überall Brandherde: Womöglich reiße die Schuldenkrise gar Teile Europas in die Rezession. Währungskommissar Rehn droht zudem fünf Staaten mit einem Defizitverfahren. Für Aufregung sorgen zugleich Meldungen, wonach Frankreich und Deutschland Pläne für eine Aufspaltung Europas diskutieren. Berlin dementiert dies vehement.

Die EU-Kommission fürchtet Stillstand in der Euro-Zone. Es bestehe das Risiko, dass die Wirtschaft "bis weit ins Jahr 2012 hinein stagnieren" werde, heißt es in ihrem Herbstgutachten. Bei der Vorstellung der Analyse gibt sich Währungskommissar Olli Rehn entschlossen, die Krise einzudämmen: Er schickt eine Warnung nach Athen - und droht fünf kleineren EU-Staaten mit Defizitverfahren.

Armut in Athen: Die EU-Kommission warnt vor einer Rezession in der ganzen Euro-Zone. (Foto: AFP)

Wirtschaftsflaute, Schuldenprobleme und der anfällige Finanzsektor "scheinen sich in einem Teufelskreis gegenseitig zu beeinträchtigen". Erst gegen Mitte 2012 werde die Unsicherheit abebben, deshalb werde ein schmales Jahreswachstum von 0,6 Prozent in der EU und 0,5 Prozent im Euroraum erwartet wird. Damit korrigierte Brüssel die bisherige Prognose scharf nach unten. Im Frühjahr hatten die Experten noch mit einem Wachstum von 1,9 Prozent in der gesamten Union beziehungsweise 1,8 Prozent in der Euro-Zone gerechnet. Deutschland überstand die Krise bisher mit am besten, doch auch hier haben sich die Aussichten stark eingetrübt. Statt 1,9 erwartet die Union nur noch ein Plus von 0,8 Prozent für 2012.

Der griechische Schuldenstand könne auf 200 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) steigen, steht im Herbstgutachten. Allerdings gelte das nur, wenn griechische Politiker das versprochene Sparpaket nicht umsetzen.

Wenn das neue Rettungspaket scheitert, steigt die Gesamtverschuldung Griechenlands nach Kommissionsberechnungen im nächsten Jahr von 163 Prozent der Wirtschaftsleistung auf mehr als 198 Prozent. Für 2013 prognostiziert die Kommission ebenfalls eine Quote von knapp 200 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland liegt dieser Wert derzeit bei knapp über 80 Prozent. In diesem Szenario ist allerdings nicht berücksichtigt, dass private Gläubiger Griechenlands auf 50 Prozent des Wertes ihrer ausstehenden Staatsanleihen verzichten.

Derzeit steht allerdings Italien im Fokus der Krise, weil Premier Berlusconi seinen Rücktritt angekündigt hat. Dort ist die Lage aber weitaus weniger dramatisch als in Griechenland. Der gesamte Schuldenstand werde bei etwas über 120 Prozent bleiben. Die Neuverschuldung sinkt nach der Prognose von 4,0 Prozent des BIP in diesem Jahr auf 2,3 Prozent 2012 sowie auf 1,2 Prozent 2013. Der starke Anstieg der Zinsen auf italienische Staatsanleihen ist nach den Worten von Währungskommissar Rehn kurzfristig kein großes Problem für die öffentlichen Finanzen des Landes.

Rehn drohte außerdem Belgien, Malta, Polen, Ungarn und Zypern mit Sanktionsverfahren, weil sie ihre Schulden nicht schnell genug abbauten. Er gab den Ländern bis Mitte Dezember Zeit, Pläne zum Schuldenabbau vorzulegen. Andernfalls werde er die schärferen Regeln des Stabilitätspaktes nutzen und die Regierungen bestrafen.

Unterdessen haben Meldungen für Aufregung gesorgt, dass Vertreter von Deutschland und Frankreich insgeheim Pläne für eine radikale Umgestaltung der Europäischen Union verfolgten. Demzufolge könnte es künftig etwa eine kleinere, dafür stärker integrierte Euro-Zone geben. Frankreich und Deutschland hätten in den letzten Monaten und auf allen Ebenen darüber diskutiert, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen EU-Vertreter in Brüssel, die allerdings aufgrund der Brisanz des Themas hätten anonym bleiben wollen.

Die Wahrheit sei, dass es eine Liste mit den Ländern geben müsse, die "beim Klub" nicht dabei sein wollten und jenen, die "einfach nicht Mitglied sein könnten".

Erst am Dienstag habe zudem Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wieder offenbart, wie er über Europa denke. Vor Studenten habe er betont, dass das Europa der zwei Geschwindigkeiten - die Euro-Zone gehe dabei schneller voran als alle 27 Staaten zusammen - das einzige Modell für die Zukunft sei.

Berlin dementierte allerdings vehement: "Die Bundesregierung verfolgt solche Pläne ausdrücklich nicht", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. "Unsere Politik ist im Gegenteil darauf gerichtet, die Euro-Zone als Ganzes zu stabilisieren und ihre Probleme an der Wurzel anzupacken."

© sueddeutsche.de/dapd/Reuters/jab/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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