Guttenberg-Rücktritt: Die Rolle des Internets:Der Ex-Doktor im Netz der Affäre

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Früher hätte Karl-Theodor zu Guttenberg hoffen können, die Plagiatsaffäre einfach auszusitzen. Doch im Internet-Zeitalter werden Dreistigkeiten wie diese nicht so schnell vergessen.

Hans Leyendecker

Skandale unterlagen bisher eisernen Gesetzen: Zunächst gibt es die Skandalierer. Sie bezeichnen - aus gutem oder schlechtem Grund - ein Sache als anstößig. Sie bringen den Vorgang ans Licht und versuchen, ihn als Skandal zu definieren. Meist stimmt ein kleiner Teil des Publikums der Bewertung sofort zu. Andere Gruppierungen verhalten sich abwartend oder sind gelangweilt. Man hat ja schließlich noch andere Interessen.

Nicht nur die klassischen Medien beschäftigt die Affäre: Die Causa Guttenberg wird längst vor allem im Netz diskutiert. (Foto: dapd)

Was dem einen ein Skandal, ist für den anderen eine Bagatelle. Die Verteidiger des Angegriffenen finden die angeprangerte Handlungsweise entweder völlig korrekt oder halten zumindest die Entschuldigung des Skandalierten für ausreichend. Mit journalistischen Hilfstruppen versuchen sie, die Sache zu vernebeln.

Der Fortgang der Angelegenheit ist meist so: Entweder tritt der Angegriffene rasch zurück (Käßmann-Effekt) oder er verheddert sich bei der Gegenwehr in Widersprüche; er macht Fehler bei der Aufarbeitung und gerät erst dadurch ins Stolpern. Oder er übersteht den Skandal ohne große Narben. Dann hat er aus Sicht eines Teils des Skandalpublikums die Befähigung für höchste Ämter unter Beweis gestellt. Ob einer verstoßen oder bejubelt wird, hängt oft weniger von den Inhalten der skandalierten Angelegenheit ab als von den jeweiligen Interessen.

Diese traditionelle Inszenierungslogik gilt im Fall des Verteidigungsministers zu Guttenberg nicht mehr. Akademiker fühlten sich in ihrer Ehre gekränkt, und diese Gruppe ist im Internet besonders versiert. So hat die Netzgemeinde die alten Gesetzmäßigkeiten gesprengt und zu neuen Allianzen geführt. Die Dynamik dieser besonderen Affäre erlahmte nicht, sondern nahm ständig an Tempo zu.

Eigentlich hatte alles normal begonnen: Ein klassisches Medium, in diesem Fall die Süddeutsche Zeitung, machte eigene Recherchen publik, trug weiter wesentliche Fakten zusammen, sorgte für ein Stück Transparenz, aber dann mischte plötzlich die Netzgemeinde mit.

Nicht für dumm verkaufen lassen

Wissenschaftler unterschiedlichster Fachrichtungen mit unterschiedlichen Parteipräferenzen machten sich auf die Suche nach weiteren Plagiaten in der Doktorarbeit Guttenbergs. Sie bildeten eine Art freiwillige Selbstkontrolle, die auch die Selbstreinigungskraft der Wissenschaft demonstrieren sollte.

Es waren keine Jäger, sondern Sammler verschiedener Fachrichtungen und sie brachten gemeinsam in kürzester Zeit Massen an Material zusammen. Wenn sich die europäischen Wissenschaftler ausruhten, machten die Kollegen in Amerika weiter. So konnte schon nach wenigen Tagen der Beleg erbracht werden, dass zwei Drittel der Arbeit des CSU-Politikers streng riechen.

Natürlich hat dann Guttenberg beim Krisenmanagement und bei der Abwehr der Vorwürfe gravierende Fehler gemacht. Dass er zeitweise den Fall herunterspielte, stachelte die Juristen, Philosophen und Forensiker im Netz weiter an. Von einem solchen wissenschaftlichen Schaumschläger wollten sie sich nicht auch noch für dumm verkaufen lassen.

Crowdsourcing aus Empörung

Sicher, die Netzgemeinde kann auch eine Moorhuhn-Gesellschaft sein. Man schießt jemanden virtuell ab, ist mit der Meute unterwegs oder neigt, wie Julian Assange von Wikileaks, zu Verschwörungstheorien.

Das Vorgehen im Fall Guttenberg war anders. Es erinnert an den Fall der Zeitung Guardian, die 400.000 Dokumente über die fragwürdigen Ausgaben britischer Parlamentarier erhalten hatte und die Leser bat, beim Einordnen und Sortieren fachkundig mitzumachen. 23.000 Leser beteiligten sich. Am Ende stand die kompetenteste Aufarbeitung der Diätenaffäre in England.

Im Fall Guttenberg wurden ständig neue Feuerchen angezündet. Der alte, und manchmal auch berechtigte Vorwurf, da mache einer eine Kampagne, versendet sich im Netz. Nach einiger Zeit der Verblüffung zeigte sich grosso modo der Wissenschaftsbetrieb empört über die Behandlung des Falles durch die Regierenden in Berlin und diese Empörung führte zu neuen Diskursen.

Geübte Arbeitsrechtler fragten, was das Verhalten des Doktoranden Guttenberg eigentlich über die Eignung des Ministers auf korrekte Ausübung seines Amtes sagt. Andere Vertreter von Fachrichtungen stellten andere Fragen. Der Tonfall im Netz ist rau, böse, aber auch witzig. Die sozialen Medien wie Facebook machen mit. Sie produzieren keine nennenswerten Debattenbeiträge, aber bieten das Podium für die jeweiligen Lager.

So viel Plagiat, so viel Dreistigkeit

Das Fernsehinterview eines Bayreuther Professors, der den Ex-Doktor einen "Betrüger" nennt, wurde am Montag zehntausendmal über Facebook verlinkt. So etwas verändert die gesamte Debattenkultur. An ein Totschweigen jedenfalls war zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr zu denken. "Guttenplag" und Ähnliches veränderten in diesem Fall die Abfolge der Skandalgeschichte.

Normalerweise können Angegriffene, die über gute Nerven verfügen, auf Zeit setzen und sie können dabei fest mit dem Zynismus des Publikums rechnen, das die Geduld an der Sache verliert: Nicht schon wieder.

Aber das Netz hat niemals genug und wird nie satt. So viel Plagiat, so viel Dreistigkeit wie im Fall des früheren Doktors lockt nicht die Verschwörungstheoretiker, sondern die Forscher an. Wie konnte Guttenberg glauben, mit so etwas durchzukommen?

© SZ vom 23.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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