Erinnert man sich noch an Casimir Prinz Wittgenstein, jenen wetter- und ehrenfesten hessischen Aristokraten in ländlichem Loden, der so gern Weihnachtseinladungen für Polizisten in seinem mit Antiquitäten gezierten Hofgut gab? Er war jener Verwalter vorgeblich "jüdischer Vermächtnisse" an die CDU Hessens, die sich im Jahre 1999 als schwarze Spendengelder herausstellten. Bei Prinz Casimir war damals - historisch ist es kaum gestern - die adelige Contenance zu bewundern, mit der er bis zur Aufdeckung des dreisten und durchsichtigen Schwindels die altehrwürdige Kunst der Lüge übte: Geradeaus in die Kameras blickend, zeigte der Aristokrat sich damals "vom Unwahrscheinlichen" solcher Betrügereien "fest überzeugt", und auf die Frage, ob da jemand vielleicht auf dem Umweg über die Schweiz unversteuertes Geld an seine Partei habe fließen lassen, erklärte er mit unschuldigem Augenaufschlag: "Das hätte der doch nicht gedurft!"
Diese eindrucksvoll schlichte Lüge - handgearbeitet und griffig wie ein Manufactum-Artikel - fiel kurz danach der brutalstmöglichen Aufklärung der deutschen Parteiengeschichte zum Opfer. Der greise Prinz musste sich noch einigen unangenehmen Prozessverhandlungen unterziehen, doch mehr als Belästigungen wurden daraus nicht für ihn. Vielleicht hörten ja die Weihnachtsessen für die Polizei auf. Roland Koch, der zuständige Parteiobere und hessische Ministerpräsident, rettete Amt und Karriere, indem er die Schuld auf seine Parteifreunde - Manfred Kanther und eben Casimir - abschob.
Der Skandal hatte allerdings auch eine bundespolitische Dimension, und sie führte die damalige Generalsekretärin der CDU, Angela Merkel, schließlich an die Spitze der Partei. Dort gelang die Aufklärung allerdings insofern nicht ganz so brutal, als sie an dem "Ehrenwort" Helmut Kohls zerschellte, der sich weigerte (und bis heute weigert), die ihm bekannten Namen der Spender zu nennen; damit stellte er sein persönliches Versprechen absichtsvoll und bewusst über die Regeln und die Legalität des Staates. Diese für einen konservativen Staatsmann zunächst überraschend wirkende Wertsetzung musste die CDU in den damaligen Umständen der Schwäche mit der Aberkennung des Ehrenvorsitzes beantworten. Zwar konnte Helmut Kohl mit Hilfe der Schatzmeisterin Baumeister noch Wolfgang Schäuble in den Strudel reißen - dieser musste auf den regulären Parteivorsitz verzichten -, doch zunächst geriet der Kanzler der Einheit in Quarantäne.
Das durfte man damals hoffnungsvoll als Datum in der Geschichte des deutschen Konservatismus verbuchen. Denn dieser hatte seit Otto von Bismarcks "Welfenfonds" - dem Vermögen der gestürzten Könige von Hannover - eine solide Tradition von Schwarzgeldern, Schwarzkonten und extralegalen Hilfsmitteln angelegt, in einer Mentalität des latenten, stets abrufbereiten Ausnahmezustandes, die besagte: Die Regeln des Staates stehen uns, seinen eigentlichen Inhabern, zur freien Verfügung, unser Geschwätz von gestern braucht uns im Zweifelsfall nicht zu kümmern, sofern die Notwendigkeit einer höheren Staatsräson neue Richtlinien erzwingt.
So hatte Bismarck sich bis zum Ende seiner Kanzlerschaft die Auflösung des von ihm gegründeten Deutschen Reichs innerlich offengehalten; er hatte mit den Mitteln des Ausnahmerechts gegen katholische und sozialistische Reichsfeinde operiert; und nach seiner Entlassung intrigierte er von seinem Ruhesitz in Friedrichsruh aus mit Hilfe willfähriger Publizisten ganz ungeniert gegen den jungen Kaiser Wilhelm II. Noch die Eulenburg-Prozesse seit 1906 zählen zu den Folgen planmäßig gelegter Bismarck'scher Fallen, dessen Fluch selbst aus dem Grabe wirkte.