Plagiatsvorwürfe gegen Guttenberg:Die Angst vor der "halben Großkatastrophe"

Eigentlich wollte Karl-Theodor zu Guttenberg Wahlkampf in Sachsen-Anhalt machen. Doch dann wurde er offenbar nach Berlin zitiert. Kanzlerin Merkel verlangt "ein paar Erklärungen" von ihrem wegen Plagiatsvorwürfen unter Druck geratenen Verteidigungsminister. In der Union wächst die Sorge, dass Guttenberg über seine Doktorarbeit stürzen könnte.

K. Auer, S. Braun, M. Kotynek und R. Preuß

Immerhin, der Mann hört nicht auf zu kämpfen. Die Nacht zum Donnerstag, also die, in der sich zu Hause in Deutschland ein so nicht gekannter Sturm ausbreitete, weilte Karl-Theodor zu Guttenberg in Afghanistan. Der deutsche Verteidigungsminister nächtigte erstmals im Kampfgebiet der deutschen Soldaten. Zum neunten Mal ist er damit am Hindukusch gewesen, das Land ist ihm schon fast zur zweiten Heimat geworden. Deshalb spricht vieles dafür, dass er zwar nicht dorthin floh, als in Berlin der erste Wind aufzog. Ziemlich sicher aber war der 39-jährige Verteidigungsminister froh über die Atempause. Eine Atempause in Afghanistan? Das ist auch schon wieder was Neues - und einer besonderen Lage geschuldet.

Am Donnerstagabend dann sagte Guttenberg einen Wahlkampftermin ab, zu dem er in Sachsen-Anhalt erwartet wurde. Um 18.25 Uhr ließ das Ministerbüro den Parteifreunden mitteilen, dass "Guttenberg in Berlin unabkömmlich ist", wie ein Landespolitiker der CDU ein wenig enttäuscht sagte. Stattdessen traf sich Guttenberg in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Merkel wolle von dem CSU-Politiker "ein paar Erklärungen", berichtete ZDF und ARD übereinstimmend.Wenn die Union Wahlkampf führt wie derzeit in Sachsen-Anhalt, muss das vorerst ohne den Star der CSU stattfinden.

Seitdem die Süddeutsche Zeitung am Mittwoch erstmals über die Plagiatsvorwürfe berichtet hat, wächst bei sehr vielen in der Union rasant die Sorge, dass der im Volk beliebte Verteidigungsminister über seine eigene Doktorarbeit stürzen könnte. Offen sagt das niemand, nicht einmal seine Neider wollen ihm derzeit in den Rücken fallen. Zu groß ist die Angst vor den Folgen. Guttenberg ist gerade für die Unionsabgeordneten in Berlin ein Hoffnungsträger von fast unschätzbarem Wert. Kein anderer füllt ihre Hallen und ihre Wahlkampfveranstaltungen mehr als der Baron aus Franken.

Das ist auch der wichtigste Grund dafür, dass seine CSU-Landesgruppe offiziell voll hinter ihm steht. Von einer ,,Schmutzkampagne schlimmsten Ausmaßes'' ist da die Rede. Und verwiesen wird darauf, dass der Bremer Rechtsprofessor, der die Sache lostrat, Mitglied einer rot-rot-grünen Denkfabrik in Berlin sei. Damit ist das Feindbild klar, und die Kampfrichtung auch. Hier gehe es um Schmutz des politischen Gegners, also müsse man den Kampfanzug anziehen und kämpfen.

Dazu passt, dass sich auch in Guttenbergs Heimat Oberfranken Widerstand formiert. Nicht gegen Guttenberg, sondern gegen die, die ihm schaden könnten. Dass Missgünstige am Werk sind, steht für die Guttenberg-Fans in seiner Heimat außer Frage. In den lokalen Internetportalen wird gemutmaßt, dass politische Feinde dem Freiherrn am Zeug flicken wollten. Und da das mit parlamentarischen Methoden nicht gelingen könne, wähle man eben diese Form der Attacke.

An seiner Beliebtheit ändert das bislang nichts. ,,In Treue fest'' stünden seine Wähler zu Guttenberg, sagt der Landtagsabgeordnete Christian Meißner. Kollege Alexander König äußert sich ähnlich: "Wir wissen, was wir an unserem KT haben und werden uns dadurch nicht verwirren lassen." Auch Edmund Stoiber, der frühere CSU-Chef und Ministerpräsident, stellt sich vor ihn. "Diese Debatte wirkt sehr politisiert. Sie scheint besonders davon geleitet zu sein, einem beliebten und erfolgreichen Politiker am Zeug zu flicken", meint der Ex-CSU-Chef. Genauso komme es auch bei den Bürgern an. Bei der Promotion, so Stoiber, handle es sich doch um eine fast 500-seitige Arbeit und eine mündliche Prüfung dazu.

Doch was da öffentlich wie eine stabile Schutzmauer aussieht, kann die Zweifel nicht abwehren. Denn nahezu alle von Rang und Bedeutung, ob in der Berliner Unionsführung oder der CSU-Spitze in Bayern, schauen mit einer Mischung aus Erstaunen, Unsicherheit und Sorge, wie täglich neue Beispiele für regelwidrig übernommene Texte auftauchen.

"Die Kiste ist heikel"

"Die Kiste ist heikel", heißt es unter führenden Mitgliedern der Unionsfraktion. War es Schlamperei - was viele fürchten? Sind es Verstöße gegen den universitären Ehrenkodex - was sich kaum einer vorstellen kann? Immer wieder kommen diese Fragen. Und dazu gesellt sich die Erkenntnis, dass Guttenberg jetzt die eigene "Fallhöhe" zu spüren bekommt. Keiner ist so hochgeschossen im Ansehen, bei keinem wurde so präzise nachgeforscht. Als ähnliche Gerüchte bei Familienministerin Kristina Schröder aufkamen, gab es ein bisschen Geflüster, danach ein wenig Gespöttel - und dann verschwand die Geschichte wieder. "Das ist jetzt anders und macht die Sache so gefährlich", meint ein altgedienter CSU-Parlamentarier.

Verteidigungsminister zu Guttenberg besucht Indien

Verteidigungsminister Guttenberg ist nicht irgendwer. Er ist gerade für die Union in Berlin ein Hoffnungsträger von fast unschätzbarem Wert. Bringt ihn jetzt seine Doktorarbeit zu Fall?

(Foto: dapd)

Für wie gefährlich die Lage eingeschätzt wird, zeigt auch die Tatsache, dass die Unionsspitze schon mal recherchieren ließ, wie die Regeln in Bayreuth tatsächlich sind. Mit Erleichterung erfuhr man, dass die Universität den Doktortitel entziehen kann, aber nicht muss, wenn sich die Zweifel an der Redlichkeit der Guttenberg'schen Dissertation erhärten sollten. Andere dagegen fürchten, dass die Uni-Leitung schon aus Selbstschutz dem Minister den Doktortitel entziehen könnte. "Das", so sagt es einer aus der Unionsführung, "wäre mindestens mal eine halbe Großkatastrophe." Guttenberg lebe von seinem guten Ruf, von Glaubwürdigkeit, Authentizität und bürgerlichen Werten.

Der Präsident der Universität, Rüdiger Bormann, versuchte am Donnerstag dem Eindruck entgegenzutreten, die Hochschule könnte sich unter Druck fühlen. Eine schnelle Prüfung sei nicht entscheidend, sagte er: "Wir werden das professionell machen." Zudem habe er bisher "keine Hinweise, dass das Promotionsverfahren nicht ordnungsgemäß verlaufen" sei.

Trotzdem finden sich fast stündlich neue Stellen in Guttenbergs Doktorarbeit, die ohne Quellenangabe teilweise wortwörtlich aus anderen Texten übernommen wurden. In der Einleitung stehen Textstellen aus einem Diskussionspapier und einem Zeitungsartikel von Ludger Kühnhardt, dem Leiter des Zentrums für Europäische Integrationsforschung an der Universität Bonn. Sein Papier wird erst mehr als 340 Seiten weiter hinten in einem anderen Zusammenhang als Quelle genannt. Die Einleitung endet dann mit Sätzen aus der Süddeutschen Zeitung; zwei Sätze sind identisch mit einer Buchrezension des damaligen SZ-Autors Andreas Bock von 2001, zwei weitere Sätze finden sich leicht abgewandelt wieder. In einer Fußnote wird nicht die SZ angegeben, sondern auf das Buch verwiesen, über das Bock geschrieben hatte. Zudem bediente sich Guttenberg auch bei einem seiner Minister-Vorgänger, Rupert Scholz. Von ihm finden sich Passagen samt Fußnote aus einem Zeitschriftenaufsatz von 2001 - ohne jede Quellenangabe.

Wie gefährlich das wird, weiß noch niemand. Aber die reine Zahl der Beispiele ist schon nicht mehr alles. Einige in der Unionsspitze fürchten, dass nicht Guttenberg, sondern ein Ghostwriter die Fehler gemacht haben könnte. Dann, so heißt es, wäre dem Minister kaum mehr zu helfen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: