EU-Kartellstrafe:Wie Google seine Macht einsetzt - und was dagegen helfen soll

  • Die EU will von Google für den Missbrauch der Marktmacht bei seinem Mobilbetriebssystem Android 4,3 Milliarden Euro.
  • Sie wirft dem Konzern vor, Nutzern bei der Wahl ihrer Smartphone-Apps behindert und Hersteller der Geräte ausgequetscht zu haben.

Von Helmut Martin-Jung

Was für eine Summe! Für die exakt 4,342 865 Milliarden Euro, die der Internetkonzern Google für den Missbrauch der Marktmacht bei seinem Mobilbetriebssystem Android an die EU zahlen soll, müsste ein deutscher Durchschnittsverdiener knapp 120 000 Brutto-Jahresgehälter hinlegen. Aber diese Strafsumme, ein neuer Weltrekord für Kartellverfahren, sie ist in diesem Fall gar nicht das Entscheidende. Und das nicht einmal deshalb, weil der Internetkonzern über Barreserven von etwa 90 Milliarden Euro verfügt. Nein, viel bedeutender für Google ist, dass die EU-Kommission das Unternehmen dazu auffordert, seine - wie es heißt - "illegalen Praktiken" binnen 90 Tagen zu ändern.

Was genau aber sind diese Praktiken, und warum könnte Google die Entscheidung hart treffen? Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager wirft dem Konzern vor allem drei Dinge vor:

1. Google habe seine Apps und Dienste ausschließlich im Paket angeboten. Googles digitalen Laden für Apps, genannt Play Store, die Google-Such-App und Googles Browser Chrome gab es nur zusammen - oder eben gar nicht. Das, so die Kommissarin, habe dazu geführt, dass die meisten Nutzer die Google-Apps auch verwendeten, anstatt andere zu installieren.

2. Vestager wirft Google außerdem vor, Smartphone-Hersteller und Netzbetreiber dafür bezahlt zu haben, dass sie Googles Suche vorinstallierten. Da außer Apple kaum ein Hersteller große Margen mit Smartphones erwirtschaftet, fiel es den Herstellern entsprechend schwer, auf diese Einnahmen zu verzichten.

3. Der dritte Vorwurf richtet sich gegen Googles Praxis, es Smartphone-Herstellern sehr schwer zu machen, eine alternative Version von Android zu verwenden. Dazu muss man wissen: Android ist im Prinzip eine quelloffene Software. Jeder, der es kann, darf sie weiterentwickeln und an seine Zwecke anpassen. Das gilt jedoch nicht für die von Google zur Verfügung gestellten Apps wie den Play Store, die Google-Suche oder das Kartenprogramm Maps. Die gehören Google. Hersteller, die diese Apps vorinstallieren wollten, durften kein anderes Gerät mit einer alternativen Android-Version anbieten.

Das Problem war seit vielen Jahren bekannt. Nur wagte es kaum ein Handy-Hersteller, den Mund aufzumachen, denn dann hätte er womöglich zusehen können, woher er ein Betriebssystem bekommt. Android gibt es zwar kostenlos, die Kosten für die Weiterentwicklung aber hätte dann der Handy-Hersteller selbst tragen müssen - für viele ein Ding der Unmöglichkeit in dem heiß umkämpften Markt. Jene, die es versuchten, scheiterten: Samsung mit Bada, Mozilla mit Firefox OS.

Google ging das Risiko ein, weil das Android-Geschäft so wichtig ist

Dass Google das Risiko einging, mit solchen Praktiken anzuecken, zeigt, wie wichtig dem Konzern das Geschäft rund um sein Betriebssystem für Mobiltelefone und Tablets ist. Google hatte früh erkannt, wie wichtig es werden würde, dass auch auf Smartphones Werbung geschaltet werden kann. Immer mehr Menschen verbringen zwar immer mehr Zeit im Internet, sie tun das aber zunehmend über mobile Geräte. Und Apps spielen dabei eine zentrale Rolle. Deshalb war es für Google, den größten Internet-Werbekonzern der Welt, so wichtig, sein Geschäftsmodell in die Welt der Mobilgeräte hinüberzuretten.

Die Entscheidung der EU-Kommission könnte Google also deswegen härter treffen als die einmalige Milliardenstrafe, weil der Konzern auch aufgefordert wird, mehr Konkurrenz zuzulassen. Das würde, wenn denn tatsächlich Konkurrenz entstünde, bedeuten, dass der Quell von Googles märchenhaftem Reichtum zumindest etwas weniger stark sprudelt als bisher.

Die Frage ist allerdings, ob es dazu wirklich kommen wird und wann. Schon die Untersuchung der Vorwürfe erstreckte sich über Jahre. Und Google hat bereits angekündigt, gegen die Entscheidung juristisch vorzugehen. Bis der Fall dann tatsächlich entschieden ist, können weitere Jahre vergehen. Jahre, in denen Google erst einmal weiter viel Geld verdienen kann.

Eintrittshürden für Konkurrenten bleiben gewaltig

Denn selbst wenn Google die inkriminierten Praktiken sofort abstellen würde - die Eintrittshürden für Konkurrenten sind gewaltig. Google verfügt nicht bloß über die wohl größten Rechenkapazitäten auf dem Planeten, es bindet auch viele der hellsten Köpfe an sich, etwa auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz - zwei Beispiele, die zeigen, welchen Vorsprung Google sich in seiner kurzen Geschichte erarbeitet hat. Mit - auch das muss man anerkennen - Produkten, die sehr gut funktionieren und viele Bereiche des modernen Lebens verändert haben.

Android hat dem Beratungsunternehmen Gartner zufolge einen Marktanteil von fast 86 Prozent. Google-Chef Sundar Pichai sagte nach der Entscheidung, Google behindere mit Android nicht den Wettbewerb, sondern ermögliche den Nutzern erst eine Wahl. Googles Bemühungen stellten sicher, dass Apps auf allen Android-Smartphones liefen. Jeder könne vorinstallierte Apps löschen oder zumindest deaktivieren und sich andere holen. In der Realität sieht es aber so aus: Von den zehn in Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Spanien und Italien am meisten auf Handys vertreten Apps stammen sechs von Google. Die restlichen gehören übrigens zum Facebook-Konzern. Auch diesem Silicon-Valley-Unternehmen geht es um die mobile Vorherrschaft.

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