Kita-Tarifstreit:Vier Probleme für Frank Bsirske

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"Ein Witz": Zahlreiche Erzieherinnen finden, dass die Betreuungsarbeit in Kitas im Schlichterspruch nicht angemessen gewürdigt wird. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)
  • Der Kita-Tarifstreit dauert an, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften haben ihre Verhandlungen vorerst unterbrochen.
  • Verdi-Chef Frank-Bsirske steht dadurch vor gravierenden Problemen - die kommenden Sommerferien und seine geplante Wiederwahl sind nur zwei davon.

Von Detlef Esslinger

Für einen Gewerkschafter ist dies immer das Leichteste und das Gefährlichste zugleich: Erwartungen zu schüren. Frank Bsirske, der Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, hat im Mai Zehntausende Erzieher, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen zu Streiks aufgerufen. Die versprachen sich davon deutlich mehr Geld. Jetzt aber steht Bsirske vor einer Aufgabe, die deutlich schwieriger ist. Die schwierigste Aufgabe bei Tarifverhandlungen ist ja oft nicht, der Gegenseite einen Kompromiss abzuringen - sondern anschließend die eigene Seite davon zu überzeugen.

Bsirske kündigte am Donnerstag in Offenbach an, die Verdi-Mitglieder aus dem Sozial- und Erziehungsdienst über den Schlichterspruch vom Dienstag abstimmen zu lassen. Die Formulierung, die er dazu wählte, ging so: Er empfehle den Mitgliedern eine "ruhige, nüchterne Abwägung" zwischen dem vorliegenden Ergebnis und dem, was wünschenswert sei.

Es wäre untertrieben zu sagen, der Verdi-Chef habe in der jetzigen Phase des Konflikts ein Problem. Er hat mindestens deren vier.

Quälerei von Bad Brückenau

Das erste besteht darin, dass er - ebenso wie seine Kollegen aus der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und dem Beamtenbund - den Mittelbau seiner Organisation nicht überzeugen konnte. Tarifrunden sind oft quälende, sich über Tage und Nächte hinziehende Veranstaltungen, während derer die Teilnehmer allmählich ein Gefühl dafür entwickeln, was geht - und was nicht. Bei den Schlichtungsgesprächen in Bad Brückenau haben Unterhändler aus dem Verdi-Vorstand und ihre Kontrahenten von der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) dreimal bis nachts um halb drei und einmal die ganze Nacht hindurch miteinander gesprochen. Ihre Positionen mündeten schließlich in den Spruch der beiden Schlichter Georg Milbradt (CDU) und Herbert Schmalstieg (SPD). Die Spitzen der Gewerkschaften und der VKA stimmten ihm zu.

Nun musste Bsirske am Mittwoch in Frankfurt die 300 Teilnehmer einer Verdi-Streikdelegiertenkonferenz davon überzeugen - 300 Menschen, die die Quälerei von Bad Brückenau eben nicht miterleben mussten und die nun quasi von einer Stunde auf die andere von Wunsch auf Realität umschalten sollten. Dieses Problem vermochte Bsirske nicht zu lösen.

Kita-Streiks
:Ruhigstellung für die Alten - kaum Verbesserungen für die Jungen

Der Kita-Streit ist befriedet, was wohl das Ende für einen der drei großen Arbeitskämpfe des Jahres bedeutet. Doch zu welchem Preis? Der Schlichterspruch ist schwach; eine Perspektive für Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst fehlt nach wie vor.

Ein Kommentar von Detlef Esslinger

Der Grund dafür liegt in dem zweiten Problem, das er hat: Indem die Gewerkschaften höhere Entgeltgruppen für die 240 000 Beschäftigten im Sozial-und Erziehungsdienst der Kommunen forderten, strebten sie im Schnitt Einkommensverbesserungen von zehn Prozent an. Zwar soll es nach Verdi-Angaben nun auch Beschäftigte geben, deren Einkommen nach dem Schlichterspruch sogar um 10,6 Prozent steigen könnten - über alle Berufsgruppen hinweg sah der Spruch jedoch nur ein Plus von 3,2 bis 3,4 Prozent vor; je nach Rechenmethode.

Normalerweise streben Gewerkschaften in Tarifrunden an, gut 50 Prozent ihrer Forderung durchzusetzen. In diesem Fall schaffte Verdi etwas mehr als 30 Prozent. Für viele Erzieher war das kaum zu akzeptieren. Dafür haben sie wochenlang gestreikt, auf Einkommen verzichtet und sich mit Eltern angelegt? Von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen ganz zu schweigen, die den kleineren Teil der Streikfront bildeten und im Schlichterspruch daher noch weniger bedient wurden als die Kollegen aus den Kitas.

Das dritte Problem für Bsirske besteht darin, mit welcher Perspektive er denn nun weitermacht. Bis Anfang August hat er sich in eine Mitgliederbefragung gerettet - erhält er dort doch noch eine Mehrheit für das Schlichtungsergebnis, ist fürs Erste alles gut für ihn. Aber wenn nicht? Die Arbeitgeber tun zumindest so, als gingen sie über den Spruch von Bad Brückenau auf keinen Fall hinaus.

Will Bsirske sie dennoch zu weiteren Zugeständnissen zwingen, bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, als von Mitte August an wieder zu Streiks aufzurufen. Aber zu der Zeit sind in fast allen Bundesländern noch Schulferien - eine Zeit, in denen auch viele Kitas ohnehin geschlossen, also schwerlich zu bestreiken sind. Und wenn sie danach wieder öffnen, bekämen Streikende es mit Eltern zu tun, die entweder noch genervt sind vom letzten Streik - oder mit Eltern, die froh sind, endlich einen Platz für ihr Kind bekommen zu haben, nun aber als erstes Verständnis für einen Streik haben sollen. Das sind Perspektiven, die den Verdi-Chef eher schaudern lassen als optimistisch machen dürften.

Sein viertes Problem schließlich hält ebenfalls der Kalender bereit: Im September steht, wie alle vier Jahre, der Verdi-Bundeskongress in Leipzig an. Frank Bsirske stellt sich zur Wiederwahl. Weil es im Grunde niemand anderen gibt, der die extrem heterogen zusammengesetzte Gewerkschaft Verdi zusammenhalten kann, strebt er mit seinen 63 Jahren eine fünfte Amtszeit an. Und das letzte, was ein Vorsitzender auf so einem Kongress gebrauchen kann, ist, dass seine eigenen Mitglieder mit ihm hadern. "Unser Ziel war die generelle Aufwertung des Sozial- und Erziehungsdienstes", sagte Bsirske am Donnerstag. "Die Schlichtungsempfehlung stellt nicht mehr als einen Schritt in Richtung einer Aufwertung dar."

Anders gesagt: Das Ziel war sehr, sehr anspruchsvoll.

© SZ vom 26.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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