Franziska Giffey:Ein bisschen Plagiat ist erlaubt

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Umstrittene Dissertation: Bundesfamilienministerin Giffey bei den Jugendmedientagen (Foto: dpa)

Trotz 119 Plagiatsstellen nur eine Rüge? Dass die SPD-Politikerin Franziska Giffey ihren Doktortitel behalten darf, stößt in der Wissenschaft auf heftige Kritik.

Von Roland Preuß, München

Aus der Wissenschaft gibt es scharfe Kritik an der Entscheidung der Freien Universität Berlin, Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) wegen der Mängel in ihrer Doktorarbeit zu rügen, aber nicht den Doktorgrad zu entziehen. "Die FU hat schon in minder schweren Fällen den Doktorgrad aberkannt", sagte der Juraprofessor Gerhard Dannemann der Süddeutschen Zeitung. Dannemann lehrt an der Berliner Humboldt-Universität und ist ein federführender Mitarbeiter der Internetplattform Vroniplag Wiki, welche die Fehler in Giffeys Arbeit Anfang des Jahres öffentlich gemacht hatte. Der Münchner Plagiatsexperte Volker Rieble nannte die Entscheidung "rechtswidrig". Die Rechtssprechung habe mehrfach bestätigt, dass schon ein Minimum an Plagiatsstellen ausreiche, um den Doktorgrad zu entziehen, so der Juraprofessor. Dabei sei es egal, in welchem Teil des Textes Plagiate auftauchten.

Vroniplag hatte insgesamt 119 Plagiatsstellen in der Arbeit dokumentiert. Der Aachener Anglistik-Professor Sven-Knut Strasen fragte auf Twitter: "Wo sind die Proteste von Promovierten der FU Berlin im Fall Giffey?" Ein Doktortitel einer Universität, die bei diesem Befund die Promotion nicht aberkenne, sei "das Papier nicht wert, auf dem die Urkunde gedruckt ist". Gerhard Göhler, Politologe an Giffeys früherem Institut, lobte dagegen die "nachvollziehbare" Arbeit der Kommission. Er sei "sehr befriedigt über die Entscheidung", sagte er dem Tagesspiegel.

Das Präsidium der FU hatte am Mittwoch eine Rüge gegen Giffey ausgesprochen. Es verwies dabei auf seinen Ermessensspielraum und auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017, das als Maßstab unter anderem anführt, es müsse eine Arbeit noch als "eigene wissenschaftliche Leistung anzusehen" sein. Bei Giffey stehe der "empirische Charakter" im Vordergrund - sie hatte für die Arbeit mit dem Titel "Europas Weg zum Bürger" als Europabeauftragte des Bezirks Berlin-Neukölln Akteure aus Zivilgesellschaft und Behörden befragt. Da die Plagiatsstellen vor allem andere Teile beträfen, stehe außer Frage, dass Giffey eine eigenständige wissenschaftliche Leistung erbracht habe, so die FU. Im Klartext heißt dies: Etwas plagiieren ist erlaubt, solange die Arbeit noch neue Erkenntnisse enthält.

Als entscheidend in Plagiatsfällen gilt, ob ein Autor getäuscht hat, also ob er oder sie bewusst falsch zitiert hat. Die FU teilte auf Anfrage mit Blick auf Giffey mit: "Ja, teilweise wurde ein Vorsatz bejaht." Dennoch beließ es die FU bei einer Rüge.

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Dabei ist diese Möglichkeit in der Promotionsordnung, die für Giffeys Arbeit gilt, gar nicht vorgesehen. "Mir ist auch kein Fall bekannt, in dem die FU eine Rüge erteilt hätte", sagte Dannemann. Ermessen bedeute nicht, dass man nun jede beliebige Sanktion erfinden könne.

Im Plagiatsfall der damaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf eine Rüge als Möglichkeit ausdrücklich verworfen. Diese sei weder in der Promotionsordnung noch an anderer Stelle vorgesehen, urteilten seinerzeit die Richter.

© SZ vom 02.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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