Studie zum Homeschooling:So wenig haben Schüler in Corona-Zeit gelernt

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So sollte es sein, aber so war es offenbar seltener als gedacht: Ein Mädchen lernt während der Schulschließung zu Hause. (Foto: imago images/photothek)

Schulkinder verbrachten nur halb so lange mit Hausaufgaben und Unterricht wie vor der Krise, zeigt eine Untersuchung des Ifo-Instituts. Das sagen zumindest die Eltern - und stellen den Lehrern ein sehr durchwachsenes Zeugnis aus.

Von Paul Munzinger

Dass die Corona-Krise eine Lücke in den Bildungsbiografien von Schülerinnen und Schülern hinterlassen wird, steht längst fest. Die Frage ist nur, wie groß sie ausfällt. Antworten aber sind nicht leicht zu bekommen. Zeugnisse und Prüfungen, die üblichen Formen der schulischen Leistungserhebung, gab es zwar auch am Ende des vergangenen Schuljahres. Doch wegen der besonderen Umstände sind sie zur Vermessung der Lücke nur bedingt geeignet. Das belegen zum Beispiel die überdurchschnittlich gut ausgefallenen Abiturnoten.

Das Münchner Ifo-Institut legt nun eine Studie vor, die ein realistischeres Bild verspricht. Denn die Wirtschaftsforscher um den Bildungsökonomen Ludger Wößmann schauen sich nicht an, welche Noten am Ende des Corona-Halbjahres 2019/2020 herausspringen. Sie interessiert, wie viel Lernzeit den Schülern verloren gegangen ist. Dazu haben sie Eltern befragt, mehr als 1000 bundesweit. Das Ergebnis: Die durchschnittliche Zeit, die Schulkinder sich täglich mit Arbeitsblättern, Videounterricht oder Hausaufgaben beschäftigt haben, hat sich während der Corona-Krise mehr als halbiert - von 7,4 auf 3,6 Stunden.

38 Prozent der Kinder verbrachten sogar weniger als zwei Stunden mit schulischen Aktivitäten, 14 Prozent maximal eine Stunde. Nur 13 Prozent der Eltern stellten keinen Rückgang fest. "Der Ausfall des Schulbesuchs", heißt es in der Studie, "konnte nur in geringem Maße durch gesteigerte Lernaktivitäten zu Hause aufgefangen werden." Zumal auch andere, als "entwicklungsförderlich" eingestufte Aktivitäten wie Lesen, Musizieren oder Sport nur geringfügig im Umfang während der Corona-Zeit zunahmen, von 2,9 auf 3,3 Stunden.

Deutlich mehr Zeit als vor der Pandemie haben die Kinder dagegen vor dem Computer, dem Fernseher oder dem Handy verbracht, mit Tätigkeiten, die die Forscher als "passiv" bewerten. Die Zeit für diese Tätigkeiten nahmen im Schnitt 5,2 statt zuvor vier Stunden eines Tages ein. Zu ähnlichen Ergebnissen war Ende Juli auch eine Untersuchung von Hamburger Suchtexperten gekommen.

Fazit der Ifo-Studie: Kinder haben während der Schulschließungen deutlich weniger gelernt, die freie Zeit aber kaum für sinnvolle Dinge genutzt, sondern hauptsächlich, um sich berieseln zu lassen.

Das gilt besonders für die Jungen. Sie verbrachten im Schnitt doppelt so viel Zeit mit Computerspielen oder dem Handy wie Mädchen. Die Unterschiede zwischen Akademiker- und Nicht-Akademikerhaushalten sind dagegen kleiner, als man annehmen könnte. Die Differenz in der täglichen Lernzeit beträgt gerade mal eine Viertelstunde. Eine deutlich größere Kluft trennt der Studie zufolge leistungsschwächere und -stärkere Schüler. Kinder, die sich im Unterricht ohnehin schwerer tun, haben besonders viel Lernzeit verloren und durch besonders viele Passiv-Tätigkeiten ersetzt. Die Corona-Krise, folgern die Forscher, dürfte "die ohnehin schon hohe Bildungsungleichheit in Deutschland weiter verschärft haben".

Wie verlässlich sind die Zahlen? Eine erste methodische Schwäche räumen die Studienautoren offen ein: Sie können Stunden und Minuten zählen, aber keinerlei Aussage darüber treffen, wie effektiv Schüler die jeweilige Lernzeit nutzen. Die zweite, wohl noch wichtigere Frage lautet: Wie realistisch ist die Einschätzung der Eltern?

Möglich ist einerseits, dass sie die Corona-Lernzeit ihrer Kinder zu hoch angeben, schließlich waren sie selbst dafür mitverantwortlich. Das halten auch die Studienautoren für denkbar; womöglich, schreiben sie, hätten die Schüler sogar noch weniger gelernt. Denkbar ist aber andererseits auch eine umgedrehte Verzerrung: dass die Eltern die Diskrepanz zwischen der Zeit vor und nach Corona überschätzen - zum Beispiel aus Ärger über die Lehrer.

Auf diese Möglichkeit gehen die Forscher nicht ein. Das ist verwunderlich, denn Ärger über die Lehrer - auch das ist ein Ergebnis der Studie - ist groß. Fast die Hälfte der Eltern, jeweils 45 Prozent, gaben an, dass ihr Kind nie Online-Unterricht mit der Klasse hatte - und nie ein persönliches Gespräch mit einer Lehrkraft, zum Beispiel am Telefon. Bei zwei Drittel war das höchstens einmal die Woche der Fall.

17 Prozent der Eltern erklärten zudem, ihre Kinder hätten für erledigte Aufgaben von den Lehrern nie eine Rückmeldung erhalten. Bei Nicht-Akademikereltern sind die Werte sogar noch höher. Für Lehrerinnen und Lehrer, die in der Krise schon viel Kritik einstecken mussten, ist das ein schlimmes Zeugnis. 38 Prozent der Eltern zeigten sich sehr oder eher unzufrieden mit dem Verhalten ihrer Schulen - ein "ungewöhnlich hoher Wert", sagt Forscher Wößmann.

Angesichts dieser Zahlen überrascht es nicht, dass sich jeweils große Mehrheiten von fast 80 Prozent der Eltern für verpflichtenden Online-Unterricht im Fall von Schulschließungen aussprechen - und für eine Verpflichtung der Lehrer, täglich Kontakt mit ihren Schülerinnen und Schülern zu suchen. In den kommenden Jahren, so muss man diese Studie wohl interpretieren, gilt es nicht nur, Wissenslücken auf Seiten der Schüler zu schließen. Sondern auch eine Vertrauenslücke zwischen Eltern und Lehrern.

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