Gastronomie:"Wenn viele Leute so ihren Frust rauslassen, ist das schon geschäftsschädigend"

Jennifer Niebling

Jennifer Niebling, 34, betreibt seit drei Jahren das Café Sturbock in Würzburg.

(Foto: privat)

Eine Würzburger Café-Betreiberin wehrt sich gegen freche Kundenkommentare und Bewertungen im Netz. Seitdem erhält sie viel Zuspruch.

Interview von Clara Lipkowski, Würzburg

"Hallo, ihr Lieben, so, heute wird's mal ein bisschen emotionaler", mit diesen Worten hat sich Jennifer Niebling, 34, Mitte September an ihre etwa 3000 Instagram-Follower gewandt. Die Betreiberin des Würzburger Cafés "Sturbock" hatte zuvor eine negative Bewertung auf Google bekommen: Ein Gast hatte kurz vor Ladenschluss keinen Kaffee mehr bekommen und klagte anonym darüber. Barista Niebling antwortete per Video, darin kommen ihr die Tränen. Sie meint: Zu viele Leute urteilten vorschnell im Netz, ohne die Folgen zu bedenken. 2000 Menschen sahen die Instagram-Story. Am Telefon erzählt sie von den Reaktionen, begleitet noch einen Gast zum Taxi und wirft ein, man solle mehr zusammenhalten in diesen schwierigen Zeiten. Würzburg war zeitweise bundesweiter Corona-Hotspot.

SZ: Ihr Instagram-Post war ziemlich emotional. Bereuen Sie das?

Jennifer Niebling: Ich sag mal so: Ich werde jetzt für immer verheult im Internet zu sehen sein. Aber wenn in Zukunft dafür einfach mehr Leute mal nachdenken, bevor sie anonym ihren Hass im Internet rauslassen, dann hab ich das gern gemacht. Dann war es für einen guten Zweck.

Es wurde kritisiert, man solle bei einer negativen Bewertung nicht überreagieren.

Klar, es wird immer wieder negative Bewertungen geben. Aber das Problem ist doch die Willkür. Nur weil man kurz vor Ladenschluss keinen Kaffee bekommt - da ist ein Stern von fünf unverhältnismäßig. Wir sind auch schlecht bewertet worden, weil Wespen draußen fliegen. Oder die Straße hässlich ist. Sorry, aber ich hab die Straße nicht gebaut. Keiner sagt was gegen gerechtfertigte Kritik. Aber das ist Willkür und trotzdem dürfen die Leute so was im Netz schreiben. Vielleicht sind wir Gastronomen wegen Corona etwas dünnhäutiger. Wir mussten auch eineinhalb Monate schließen. Aber in dem Moment hatte es mir einfach gereicht. Teilweise werden Verkäufer mit so was erpresst.

Wie das?

Zum Beispiel ein Bekleidungsgeschäft. Die haben mir geschrieben, dass jemand Klamotten gekauft hat, getragen und sie dann umtauschen wollte. Die Verkäuferin meinte, getragene Kleidung, das gehe nicht. Da hat der Kunde gesagt, sie solle sich das doch noch mal überlegen, sonst bekäme sie eine schlechte Bewertung.

Wie haben denn Gastronomiekolleginnen und -kollegen auf Ihren Post reagiert?

Das hat mich am meisten gerührt. In meiner Heimatstadt Würzburg haben sich sehr viele, auch Konkurrenten, bedankt und es mutig gefunden. Sie haben genau das gleiche Problem. Aber es haben sich zum Beispiel auch Tattoostudios bei mir gemeldet. Das ist ein branchenübergreifendes Problem.

Sind denn schlechte Bewertungen geschäftsschädigend?

Nee. Aber wenn jemand Würzburg besucht, fragt er sich: Hey, was gibt's hier eigentlich für Cafés, ich google mal. Dann stehen die sehr gut bewerteten ganz oben. Wenn du negative Bewertungen kriegst, rutscht du im Ranking runter. Also, wenn viele Leute so ihren Frust rauslassen, ist das schon geschäftsschädigend.

Das Problem ist doch, dass Leute eher zum Handy greifen, um sich zu beschweren, als zu loben.

Ja, genau. Das ist schade. Wir hören oft, es war ganz toll und lecker bei euch, aber das schreiben nicht so viele Leute. Aber ich meckere auf hohem Niveau, wir sind ja gut bewertet.

Wie viele Reaktionen haben Sie erreicht?

Oh Gott, das kann ich gar nicht mehr zählen. Am Tag des Posts waren es knapp 140. Seitdem ploppen immer weiter Nachrichten auf. Über Instagram, Facebook, aber auch E-Mail. Sehr viel live bei uns im Café, das Thema hat alle Kanäle gefunden. Mir haben Leute aus ganz Deutschland geschrieben, ein Gasthaus aus Fulda zum Beispiel und von überall her.

Sie haben unter der Negativbewertung geantwortet. Kam irgendeine Reaktion?

Die Bewertung war ja anonym, ich habe geantwortet, dass ich es schöner gefunden hätte, wenn man persönlich den Kontakt gesucht hätte, statt Tage später im Internet zu posten. Dann hätte man eine Chance gehabt, in der Situation zu reagieren. Da kam aber gar keine Reaktion mehr, das hatte ich mir schon fast gedacht. Wir wollen uns ja auch verbessern, wenn was schiefläuft. Hinter jedem Betrieb stehen Menschen mit Herz und Gefühlen. Das vergessen Leute, posten und denken, im Internet könne man sich aufführen wie die Axt im Walde.

Zur SZ-Startseite
Im Herbst nass, im Winter überdacht und beheizt: Schanigärten in München.

Gastronomie in München
:Schanigärten dürfen bleiben - und beheizt werden

Bis Ende März dürfen die Münchner Wirte ihre zusätzlichen Plätze weiter nutzen. Um die damit verbundenen Parkplatz-Probleme und ökologischen Fragen wird im Stadtrat gestritten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: