Kratzers Wortschatz:Der Kanzler redet wie ein Moicherl

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Ein Moicherl ist eine bedächtige Person, deren Tun oft von allzu großer Zurückhaltung geprägt ist. In Zeiten des Krawalls ist es aber ganz in Ordnung, wenn führende Politiker diese Eigenschaft besitzen und nicht sofort alles ankenten wollen.

Von Hans Kratzer

Moicherl

Beim Gespräch mit einer Journalistin aus dem Landkreis Mühldorf kam neulich die Rede auf Olaf Scholz und dessen Eigenschaft, sich einer auffallend emotionsarmen Sprechweise zu befleißigen. Die Kollegin sagte, ihr behage das gar nicht. Wenn Scholz so betulich rede, komme er ihr immer wie ein Moicherl vor. Ach, wie erbaulich es doch immer ist, ganz unerwartet ein solch seltenes Wort zu hören. Moicherl (Mejcherl) ist selbst in speziellen Wörterbüchern und Lexika kaum zu finden. Auf die Frage, was sie darunter verstehe, antwortete die Kollegin, für sie sei ein Moicherl eine staade und bedächtige Person, deren Tun von allzu großer Zurückhaltung geprägt sei ("des ned und do ned!"). Ein solcher Mensch sei auch nicht gewillt, mal die Ellbogen auszustrecken. Die Journalistin gab aber zu, dass es in den heute üblichen Krawall-Debatten manchmal ganz gut sei, einen Moicherl-Kanzler zu haben. Ob das Wort mit dem Verb moicha (melken) zusammenhängt? Ein Moicherl wäre demnach ein gutmütiger Mensch, der noch an der Mutterbrust hängt. In manchen Gegenden wird das Wort nur für Frauen verwendet und bedeutet dort soviel wie Trutscherl. Als Pendant ist das Woaserl (Waisenkind) bekannt. Ein Woaserl ist ängstlich, unbeholfen und naiv. Eine strenge Leserin schimpfte einmal, wir Journalisten sollten nicht so empfindlich sein, wenn wir kritisiert werden: "Es Woaserl von da SZ!"

ankenten

Regelmäßig schreiben uns Leserinnen und Leser, die sich an Wörter aus ihrer Kindheit erinnern. An Wörter, die ihre Eltern noch verwendet haben und die jetzt langsam aussterben. Der in Niederbayern lebende Stefan M. teilte uns mit, seine Mutter (Jahrgang 1934) habe noch das Verb okentn (anzünden) verwendet, das gerade in der Adventszeit häufig zu hören war: "Konnst d'Kerzerl scho okentn, owa gib owacht, dasst de ned brennst." Michael Kollmer überlieferte einst in seinem "Lexikon der Waldlersprache" weitere Bedeutungen: "Dem hams ankent (okent)", das hieß: Dem Bauern hat man das Haus oder die Scheune angezündet (niedergebrannt). "Der hat ankent (okent)" bedeutet: Der hat angezündet, Feuer gelegt. Gerne wird behauptet, ankenten komme von den lateinischen Verben accendere und incendere (anzünden, in Brand stecken). Der Dialektologe Ludwig Zehetner zieht das in Zweifel, weil bei einer solchen Ableitung unüberwindliche Probleme der Lautentwicklung" aufträten. Tatsache ist, dass das Verb ankenten (englisch "to kindle") nur im Bairischen vorkommt. Zehetner hält es deshalb für ein germanisches Reliktwort.

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