Raffinerie-Explosion nahe Ingolstadt:Knapp an der Katastrophe vorbei

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Die Einsatzkräfte brauchten Stunden, um den Großbrand unter Kontrolle zu bekommen. (Foto: Reuters)
  • Auf dem Gelände der Firma Bayernoil in Vohburg an der Donau ist es am frühen Samstagmorgen zu einer Explosion und einem Großbrand gekommen.
  • Nach Angaben der Polizei sind zehn Menschen verletzt worden.
  • Die Löscharbeiten dauerten auch am Tag danach noch an.
  • Die Kriminalpolizei hat die Ermittlungen aufgenommen, der Ort des Brandes kann von Fachleuten aber noch nicht untersucht werden.

Von Ingrid Fuchs und Johann Osel, Vohburg

Ein Knall weckt Jürgen Deinert gegen 5 Uhr morgens, doch er denkt sich erstmal nichts dabei. Schließlich ist man in der Ingolstädter Gegend Überflüge von Eurofightern gewöhnt, wegen des Airbus-Werks im nahen Manching.

20 Minuten später dann der Alarm auf dem Handy. Deiner ist Leiter für Instandhaltung und Projektabwicklung bei Bayernoil: Feuer in einem Anlagenteil der Raffinerie - was nichts Schlimmes heißen muss in einem solchen Industriebetrieb, kleinere Zwischenfälle kommen schon mal vor. An diesem Morgen ist es aber kein kleiner Zwischenfall. Auf dem Weg zur Anlage sieht Deinert es auf der Bundesstraße schon von weitem: dicke Rauchwolken über Vohburg, grelles orangfarbenes Leuchten. Brennendes Benzin. Und dann: Katastrophenalarm.

Vohburg
:Fackelrohre wie schwarze Gerippe

In einer Raffinerie der Firma Bayernoil hat sich eine Explosion ereignet. Etwa 400 Helfer sind an der Unglücksstelle nahe Ingolstadt.

Auf dem Gelände der Firma Bayernoil in Vohburg an der Donau, östlich von Ingolstadt, ist es am frühen Samstagmorgen zu einer Explosion und einem Großbrand gekommen. Nach Angaben der Polizei sind mindestens zehn Menschen verletzt worden, vier davon schwer. Sie haben unter anderem Verbrennungen, Schürfwunden und Hämatome. Die Verletzten sind den ersten Erkenntnissen der Polizei zufolge Mitarbeiter des Betriebs. Explodiert sind mehrere Tanks, danach entwickelte sich ein Großbrand in der Flüssiggas- und Flüssigbenzinanlage des Gaskraftwerks. Die Polizei sperrte das Gelände großflächig ab. Das Landratsamt Pfaffenhofen an der Ilm löste Katastrophenalarm aus. Dies sei eine Entscheidung der Einsatzleitung gewesen, damit die Kräfte optimal zusammenarbeiten können, sagt Hans-Peter Kammerer, Sprecher des zuständigen Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord.

Wie es zu der Explosion und dem Feuer kam, ist zunächst noch unklar. Messungen hätten ergeben, dass die Rauchwolke keine gesundheitsgefährdenden Schadstoffe enthalte, so das Landratsamt. Trotzdem werden Anwohner gebeten, Fenster und Türen geschlossen zu halten und Klima- und Lüftungsanlagen nicht zu benutzen.

Etwa drei Kilometer von Bayernoil entfernt wird ein Autohof an diesem Samstagmorgen zum Lagezentrum für die Einsatzkräfte. Bis zu 600 Helfer von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Bayerischem Roten Kreuz und Polizei sind in der Spitze im Einsatz. Die Explosion in der Raffinerie ist so heftig, dass einige THWler während eines nächtlichen Einsatzes in Ingolstadt den Vorfall mitbekommen und gleich weiterfahren. Etwa 2200 Anwohner sollen zunächst ihre Häuser verlassen, die Wohnungen in direkter Nähe zum Betriebsgelände werden evakuiert, 250 Menschen werden in zwei Turnhallen untergebracht. Die Stimmung dort sei entspannt, die Leute "froh und dankbar", heißt es.

Vohburg bei Ingolstadt
:Ermittlungen nach Explosion in Raffinerie

Den Ort des Brandes können Fachleute zwar noch nicht untersuchen, mit der Befragung hat die Kriminalpolizei aber bereits begonnen.

Teile der Einsatzkräfte sind auf dem Autohof, auch Reservekräfte, hier wird die Katastrophe koordiniert. Dutzende Kräfte, vor allem Feuerwehr, kämpfen auch mittags noch direkt an der Raffinerie gegen Flammen und Rauch. Dichte schwarze Schwaden überziehen das Gelände, die hohen weiß-roten Türme der Ölverarbeitung stehen noch, dazwischen ist nahezu alles ausgebrannt. Eine Hitze von 900 Grad hat die Türmchen und Anlagen weggebrannt, sie sehen aus wie schwarze Gerippe. Im Inneren lodern mehrere Feuer, fünf Herde sind sichtbar direkt an der Brandstelle.

Von allen Seiten spritzt Löschwasser, mischt sich mit dem quellenden Rauchschleier, die Spritzen surren laut. Rundherum ebenfalls ein Bild der Verwüstung, ganze Häuserwände hat es umgerissen, ein Bürogebäude ist eingestürzt, umherfliegende Bauteile haben ein Auto demoliert. Die Anlage sei in einem sicherem Zustand, nichts tritt mehr aus, sagen die Experten. Aber es riecht beißend, wie an der Zapfsäule einer Tankstelle, aber auch eine andere stechende Note mischt sich hinein, ein bisschen wie angekokeltes Plastik. "Den Gestank kriegen Sie vielleicht gar nicht mehr raus aus der Kleidung", warnt ein Beamter.

Das betrifft auch den Innenminister und sein blaues Sakko, heute ohne Krawatte. Joachim Herrmann (CSU) ist dabei, draußen an der Raffinerie. Er sagt kein Wort, hört nur zu. Polizisten, Einsatzleiter, Fachleute erklären ihm die Lage, Herrmann nickt immer nur. Nickt auch durchaus zufrieden, da die Lage im Griff ist, wie es mehrmals heißt. Und ein bisschen Glück ist wohl auch mit dabei.

Nur etwa 30 Menschen haben am Morgen der Explosion in der Raffinerie gearbeitet und den üblichen Schichtbetrieb am Laufen gehalten, erklärt Bayernoil-Experte Deinert. An normalen Werktagen seien gut 150 Mitarbeiter auf dem 127 Hektar großen Gelände. Die Auswirkungen des Unfalls hätten also durchaus noch schlimmer sein können. Das Unternehmen betreibt die größte Raffinerie im bayerischen Raum und "gewährleistet damit die Versorgungssicherheit der Region", heißt es auf der Website. An den beiden Standorten - neben Vohburg ist das noch Neustadt an der Donau - arbeiten insgesamt 790 Mitarbeiter rund um die Uhr. Mehr als zehn Millionen Tonnen Rohöl werden pro Jahr dort verarbeitet, etwa zu Flüssiggas, Benzin, Diesel und Heizöl. Die Rohstoffe fließen über eine Pipeline aus dem norditalienischen Triest hierher.

In den ersten Stunden nach der Explosion fürchten die Einsatzkräfte noch, dass die Flammen auf ein Tanklager übergreifen könnten, 50 Tanks in verschiedensten Größen stehen auf dem Gelände. Gegen 11 Uhr mittags kann Deinert schon Entwarnung geben: Kontrollflüge eines Hubschraubers hätten gezeigt, dass das Tanklager unberührt ist und bleibt. Das Feuer in der Raffinerie werde nun kontrolliert abgebrannt. Zur Ursache der Brandes kann Deinert noch nichts sagen. Ob Teile der Anlagen eventuell veraltet sind? Der Instandhaltungs-Leiter verweist auf regelmäßige Überprüfungen die vom TÜV Süd durchgeführt werden, ein Teil der Raffinerie wurde erst im März gecheckt, der andere Abschnitt ist im März 2019 dran. In welchem Teil sich die Unfallstelle befindet, kann Deinert so kurz nach dem Unglück noch nicht genau sagen. Als er gerade darauf verweist, dass er sich wohl bald um den Wiederaufbau kümmern muss, kommt ein Mann von der Kripo und bittet ihn zum Gespräch. Routine, bei Katastrophen dieser Größenordnung.

Gleich am Vormittag sind Brandexperten der Kriminalpolizei Ingolstadt und aus dem Landeskriminalamt am Ort. Die Ermittlungen zur Ursache können erst richtig losgehen, wenn der Brand tatsächlich gelöscht und alle Flüssigkeit abgelassen ist - bis 22 Uhr abends soll das laut Einsatzplan geschehen sein, womöglich dauert es noch länger.

Nach einer Lagebesprechung steht Innenminister Herrmann an der Tankstelle, er spricht von einem "Glück", dass nicht mehr passiert sei, dass es nicht auch zu Todesfällen gekommen sei. "Das Ausmaß der Zerstörung auf dem Raffineriegelände ist erschreckend", beschreibt Herrmann seine Eindrücke. "Das schnelle, mutige und professionelle Eingreifen von Polizei, Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Rettungsdienst hat Schlimmeres verhindert." Die Zusammenarbeit sei "hervorragend" gewesen, die Notfallmechanismen beim Landratsamt hätten sich "bewährt". Es wurden auch ein Polizeihubschrauber und eine Drohne zur Lageaufklärung eingesetzt. Hermann bestätigt auch die guten Nachrichten, die vorher schon von Polizei und Einsatzkräften verkündet wurden: "Keine Gefahr mehr für die übrige Bevölkerung", sagt Herrmann, Straßensperren, Evakuierung und Alarm werden aufgehoben. Weil die Zerstörungen nicht nur das Gelände von Bayernoil betreffen, sondern auch die Häuser und Anwesen vieler Anwohner, versicherte Herrmann, dass den Menschen geholfen werde.

Auch Marcel Huber, der Umweltminister von der CSU, machte sich in Vohburg ein Bild von der Lage. Das kontaminierte Löschwasser werde aufgefangen und umweltgerecht entsorgt; man habe Wasser verwendet und nicht hochgiftige Schäume, mit per- und polyfluorierten Chemikalien. Zu den Emissionen in der Luft gebe es laufend Messungen durch Experten. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, mögliche Folgen für Mensch und Natur aufzuklären und gegebenenfalls Maßnahmen einzuleiten."

Man ist, so die Stimmung gegen Mittag, wohl trotz Katastrophenfall einer richtigen Katastrophe entgangen. Einige Einsatzkräfte machen schon mal einen Testlauf für die Lautsprecherdurchsage, die später auf den Straßen zu hören sein soll: "Achtung, hier spricht die Feuerwehr", tönt es auf einem eher leeren Bereich des Autohofs, "die gemeldete Gefahr besteht nicht mehr."

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