Prozess:Die Zweifel im Fall Herrmann halten sich hartnäckig

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  • Der Bruder der 1981 am Ammersee entführten und getöteten Ursula Herrmann hat ein Schmerzensgeld vom verurteilten Täter vor Gericht erstritten.
  • Jetzt hat die 10. Zivilkammer am Landgericht Augsburg Werner Mazurek zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 7000 Euro an Michael Herrmann verurteilt.
  • Michael Herrmann zeigte sich unzufrieden, er hatte 20 000 Euro gefordert. Zudem stellt er die Täterschaft von Werner Mazurek in Frage.

Von Hans Holzhaider, Augsburg

Es kommt nicht oft vor, dass der Kläger in einem Zivilprozess unzufrieden ist, wenn seiner Klage stattgegeben wird. Bei Michael Herrmann ist es so. Er ist der Bruder von Ursula Herrmann, die am 15. September 1981 am Ammersee entführt wurde. 19 Tage später wurde die Zehnjährige tot in einer im Wald vergrabenen Holzkiste gefunden. 2010 wurde der damals 59-jährige Werner Mazurek vom Landgericht Augsburg der Tat für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt. Jetzt hat die 10. Zivilkammer am Landgericht Augsburg Werner Mazurek zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 7000 Euro an Michael Herrmann verurteilt. Ursulas Bruder hatte 20 000 Euro gefordert, weil er durch den Stress, dem er während des langen Strafprozesses ausgesetzt war, einen schweren Tinnitus erlitt. Michael Herrmann ist Lehrer für Musik und Religion. Das Ohrgeräusch sei so stark, sagt er, dass er in seinem Berufs- und Privatleben erheblich eingeschränkt sei.

Nun hat ihm das Gericht also 7000 Euro zugebilligt, und damit zugleich festgestellt, dass es den verurteilten Werner Mazurek tatsächlich für den Täter in dem Entführungsfall hält, der vor fast 40 Jahren Empörung, Entsetzen und großes Mitgefühl mit der Familie des Mädchens ausgelöst hatte. Aber zufrieden mit dieser Entscheidung ist Michael Herrmann nicht. Denn er hatte sich von diesem Zivilverfahren mehr erhofft als ein paar Tausend Euro Schmerzensgeld. Ihn plagen Zweifel, ob mit Werner Mazurek wirklich der Mann verurteilt wurde, der den Tod seiner Schwester verursacht hat. Von seiner Schmerzensgeldklage erhoffte er sich eine Überprüfung der Indizien, die seinerzeit zur Verurteilung Mazureks geführt hatten. Denn das Zivilgericht kann sich nicht einfach auf das Urteil aus dem Strafprozess stützen. Es muss selbst prüfen, ob der Beklagte tatsächlich schuldig ist und damit den vom Kläger geltend gemachten Schaden verursacht hat.

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Die mit drei Berufsrichtern besetzte 10. Zivilkammer unter dem Vorsitz von Harald Meyer war durchaus nicht sehr erpicht drauf, sich auf dieses höchst komplexe Verfahren einzulassen. Sie gab zunächst ein Gutachten in Auftrag, ob der Tinnitus wirklich durch den psychischen Druck des Strafprozesses verursacht wurde, und als der Gutachter dies bestätigte, wurde er vom Gericht eigens noch einmal mündlich dazu einvernommen. Schließlich führte aber kein Weg an einer neuerlichen Beweisaufnahme vorbei. Die zog sich über mehr als zwei Jahre hin, obwohl das Gericht nur drei Zeugen hörte - zwei ehemalige Kriminalbeamte und eine Sachverständige des Landeskriminalamts.

Es waren im Wesentlichen zwei Beweismittel, auf die sich die Verurteilung Mazureks stützte: die Aussage eines Mannes, der gestanden hatte, er habe in Mazureks Auftrag das Loch gegraben, in dem später die Holzkiste vergraben wurde, und ein altes Grundig-Tonbandgerät, das 27 Jahre nach der Tat bei Mazurek gefunden wurde, und das, LKA-Sachverständigen zufolge, "wahrscheinlich" bei der Entführung benutzt wurde. Der Belastungszeuge, ein psychisch labiler Alkoholiker, hatte sein Geständnis, das auch nicht ordnungsgemäß protokolliert wurde, schnell widerrufen. Die Vernehmung der beiden Kriminalbeamten habe die Widersprüche in Bezug auf den Zeugen nur noch stärker zutage gefördert, sagte Herrmann. Das Gutachten der LKA-Sachverständigen war Michael Herrmann schon im Strafprozess nicht schlüssig erschienen. Die erneute Befragung der Gutachterin im Zivilverfahren hat seine Bedenken noch verstärkt.

Ein Experte für Elektroakustik, der seine Hilfe angeboten hatte, hat ihn davon überzeugt, dass das sichergestellte Tonbandgerät technisch auf keinen Fall als Tatwerkzeug in Frage kommt. "Ich bin relativ sicher, dass bei den Erpresseranrufen überhaupt kein Tonbandgerät verwendet wurde", sagte Herrmann nach der Urteilsverkündung am Donnerstag. Statt die Zweifel an der Täterschaft Mazureks zu beseitigen, sei es für ihn immer unwahrscheinlicher geworden, dass Mazurek wirklich der Entführer seiner Schwester sei. "Vor allem das Tonbandgerät hat mich dazu bewogen, eher an die Unschuld Mazureks zu glauben." Herrmanns Anwalt Joachim Feller sagte: "Wir sind enttäuscht, weil wir das Gefühl haben, dass das Gericht sich nicht intensiv auf die Suche nach der Wahrheit gemacht hat." In einem offenen Brief, den Michael Herrmann an den bayerischen Justizminister geschrieben hat, äußert er Zweifel daran, "dass der Augsburger Justiz an wirklicher Aufklärung des Falles Ursula Herrmann gelegen ist". Herrmann spricht in dem Brief auch von einem "neuen, sehr deutlichen Tatverdacht" gegen einen "bisher nur mangelhaft untersuchten Täterkreis". Wen er damit meint, wollte er aber auf Nachfrage nicht verraten.

Die Entscheidung der Augsburger Zivilkammer ist noch nicht rechtskräftig. Der Vorsitzende Richter Meyer begründete die Entscheidung nicht, das wird erst im schriftlichen Urteil erfolgen. Dann können beide Parteien Berufung einlegen. Mazureks Anwalt Walter Rubach ist sicher, dass sein Mandant Rechtsmittel einlegen wird, Herrmanns Anwalt Feller ließ diese Möglichkeit zumindest offen, schon allein wegen der Kostenentscheidung. Weil das Gericht Herrmann nur 7000 statt der geforderten 20 000 Euro zusprach, soll der Kläger auch 65 Prozent der Gerichtskosten tragen, die sich voraussichtlich auf einen höheren fünfstelligen Betrag belaufen werden.

© SZ vom 03.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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