Naturschutz:Umwelt? Im Zweifel für die Wirtschaft

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In Bayern wurden 2018 lediglich 55 Projekte auf ihre Verträglichkeit für die Natur geprüft. Wahrscheinlich bricht der Freistaat damit EU-Recht.

Von Lisa Schnell, München

Etwa zwei Monate hat Florian von Brunn auf die Zahlen aus dem Umweltministerium gewartet. Zuerst hieß es: Sie könnten nicht erfasst werden. Jetzt, eine Beschwerde und zwei Monate später, können sie das offenbar doch. Was Brunn da nun Schwarz auf Weiß vor sich hat, findet er "erschreckend". Ähnlich wie dem SPD-Landtagsabgeordneten geht es Juristen und sogar einem hohen Beamten im Umweltministerium: Der Freistaat bricht sehr wahrscheinlich EU-Recht, riskiert Umweltschäden - und das mit dem Segen des Umweltministeriums. So lassen sich die Vorwürfe zusammenfassen.

Es geht um die sogenannte UVP. Wie die Staatsregierung es mit der Umweltverträglichkeitsprüfung halte, wollte Brunn wissen und damit irgendwie auch, welche Interessen mehr wiegen: die der Umwelt oder die der Wirtschaft. Eine UVP nämlich zeigt auf, wie sich ein Bauvorhaben auf die Umwelt auswirkt, etwa der Bau eines Schweinestalls auf die Wasserqualität.

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2017 gab es in ganz Bayern 48 solcher Prüfungen, 2018 waren es 55. Das kommt Brunn bei einem so großen und prosperierenden Land wie Bayern recht wenig vor. Für mehr Aufregung sorgen zwei andere Zahlen. Dabei geht es um Vorprüfungen, mit denen Behörden entscheiden, ob eine UVP notwendig ist. Schon die bloße Möglichkeit, dass erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen entstehen könnten, reiche aus. So schreibt es das Umweltbundesministerium.

In Bayern kamen die Behörden 2018 und 2017 aber in mehr als 98 Prozent der Fälle zu dem Schluss, dass es keine UVP brauche. 2018 etwa führten von 1614 Vorprüfungen nur 29 zu einer UVP. "Es ist sehr zweifelhaft, ob diese Praxis mit europäischem Umweltrecht vereinbar ist", sagt Brunn und fordert: "Die Umweltverträglichkeitsprüfung muss der Regelfall sein und nicht die Ausnahme!" Mindestens einer im Umweltministerium sieht das genauso: Georg Schmid-Drechsler, Ministerialrat und Referatsleiter.

Der Jurist beschäftigt sich seit Jahren mit UVP-Recht und dürfte sich durch die nun bekannt gewordenen Zahlen bestätigt fühlen. Die UVP werde in Bayern durchgängig vermieden, so steht es in einem internen Schreiben des hohen Beamten. Weil dies als Bruch von EU-Recht gewertet werden könnte, warnte er vor einer Klagewelle, die Bauvorhaben womöglich über Jahre lahmlege. Umweltpolitiker wie Rosi Steinberger von den Grünen oder Brunn von der SPD befürchten Umweltschäden.

Denn auch Fälle, bei denen nicht per Gesetz eine UVP-Pflicht besteht, seien "dringend verdächtig, erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen zu haben". So sagt das Joachim Hartlik, Vorsitzender der UVP-Gesellschaft, einem Verein zur Umweltvorsorge, und auch Thomas Bunge, Jurist und ehemals Direktor im Umweltbundesamt. Ihre Auffassung, dass Bayern und Deutschland gegen EU-Recht verstoßen, wird im Bundesumweltministerium nicht geteilt. Hartlik aber sieht sich durch Urteile bestätigt.

In Baden-Württemberg etwa machten es die Richter des Verwaltungsgerichts für Behörden schwerer, eine UVP abzulehnen. Gerade bei Windrädern sei es schwer nachvollziehbar, warum eine nur überschlägige Vorprüfung zu dem Ergebnis kam, dass keine erheblichen Umweltauswirkungen zu erwarten seien, sagt ein Sprecher des baden-württembergischen Umweltministeriums. Die Verwaltungspraxis werde sich deshalb bald ändern.

Und in Bayern? Sieht es eher nicht danach aus. Auf Drängen des beharrlichen Beamten Schmid-Drechsler wurden die Behörden in einem Schreiben des Ministeriums 2018 zwar angehalten, in Zukunft eine UVP im Zweifelsfall durchzuführen. Die Anordnung aber wurde zurückgezogen, offenbar auf Druck der bayerischen Wirtschaft. Da hieß der Umweltminister noch Marcel Huber (CSU).

Sein Nachfolger, Thorsten Glauber von den Freien Wählern, kündigte auf Nachfrage an, das Thema noch einmal intern zu besprechen. Die niedrige Zahl von UVPs will das Ministerium aber nicht kommentieren. Ein Sprecher teilt nur mit, dass die Behörden "nach den gesetzlichen Vorschriften entscheiden" und verweist auf eine anstehende Abstimmung im Landtag, die klären soll, ob das Ministerium den Abgeordneten zur UVP berichten muss.

Auch CSU und FW wollen Auskunft. Das von den FW geführte Ministerium aber will nicht vorgreifen. Brunn erinnert das daran, wie schwer es gewesen sei, überhaupt Zahlen zu bekommen. Dabei habe der neue Umweltminister doch "eine ganz neue Transparenz angekündigt".

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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