Maria Daxenbichler, eine Frau Ende 40 mit langen, braunen Locken, steht vor dem Obstregal in einem Bioladen im Münchner Osten. Sie überlegt kurz, was sie alles braucht, dann greift sie in ihre Handtasche, zieht einen weißen, transparenten Stoffbeutel heraus und füllt Äpfel hinein. Dann packt sie noch eine Handvoll Karotten in einen zweiten Beutel und geht zur Kasse.
Die weißen Säckchen heißen "Rebeutel". So wie das Start-up aus München. Die Beutel werden aus ausgemusterten, transparenten Gardinen genäht und sollen die Plastiktüten ersetzen, die in Supermärkten genutzt werden, um Obst und Gemüse einzupacken und zu wiegen. Vor etwa einem Jahr brachten Jutta Esser und Waltraud Stitzl ihr nachhaltiges Unternehmen an den Start. Zuvor arbeiteten beide als Kolleginnen in einer Bank. Mit dem Start-up Rebeutel führen sie heute einen kleinen Betrieb, der in vielerlei Hinsicht das Gegenteil ihrer früheren Arbeitsstätte darstellt: Statt Businessplan und Marktanalysen stehen hier Umweltschutz, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung im Zentrum.
Waltraud Stitzl hat schon lange eine Affinität für Bio- und Umweltthemen. Mit ihrem Mann betreibt sie zum Beispiel nebenbei eine Bioimkerei. Auch Jutta Esser bedient nicht das klassische Klischee einer Bankerin im Business-Kostüm. Sie wirkt eher wie eine engagierte Mutter, die ohne große Aufregung ihren Job erfolgreich meistert, die Familie managt und sich nebenbei sozial engagiert. "Jahrelang habe ich Ehrenämter an mich gerissen", erzählt die zweifache Mutter. Und lacht.
Der meisten Stoffspenden des Grundmaterials für den Rebeutel kommen aus der Region, was die Transportwege kurz hält. Beides sei ressourcen-schonend, berichten Jutta Esser und Waltraud Stitzl. Genau dieses Ziel verfolgen die beiden Unternehmerinnen. Bei der Produktion der Beutel kommt dann noch die soziale Komponente ins Spiel. Esser und Stitzl arbeiten mit verschiedenen sozialen Projekten in München und im Umland zusammen. Dazu gehören zum Beispiel psychiatrische und integrative Einrichtungen oder gemeinnützige Werkstätten wie das "Nähwerk" des "Weißen Raben" im Westend. Esser erzählt: "Diese Einrichtung war eine der ersten, in denen der Rebeutel genäht wurde."
Ein heller Raum mit Holztischen, an denen Gäste sitzen, ratschen, Kaffee trinken und Kuchen essen. Dahinter eine lange Theke. Es läuft Musik. Die Nähwerkstatt ist auch ein Café. Das eigentliche Herz der Einrichtung verbirgt sich hinter einer unscheinbaren Tür am Ende des Raumes. Etwa acht Frauen arbeiten dort gerade. Nähen, schneiden oder skizzieren an großen und kleinen Tischen. Eine Frau bestickt Grußkarten mit bunten Fäden, eine andere vernäht die Gardinenstoffe zu einem Rebeutel. Nähmaschinen rattern.
Hier arbeiten Menschen, die sich auf dem freien Arbeitsmarkt schwer getan haben. Das Nähwerk fängt sie auf und gibt ihnen die Möglichkeit, ihr Leben zu strukturieren. Die Arbeit soll das "Ich kann was"-Gefühl stärken, erklärt die Leiterin des Nähwerks, Betty Gerling. Die Stimmung in der Werkstatt ist konzentriert, aber nicht angespannt. Das ist Gerling wichtig. Die Mitarbeiterinnen sollen sich dort wohlfühlen und ohne Druck arbeiten können. "Wir sind hier ein Team und lachen auch mal über Fehler, wenn etwas schiefgeht", sagt die 50-Jährige.
"Das Nähen selbst ist keine Hexerei"
Jutta Esser zwängt sich mit einem großen Waschkorb voll mit weißem Stoff durch die enge Werkstatt. Den Nachschub hat sie bei privaten Spendern in und um München eingesammelt. Als erstes werden die ausgemusterten Gardinen gewaschen. Danach wird der Stoff zugeschnitten. "Die Vorarbeit ist das Wichtigste", sagt eine der Mitarbeiterinnen, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. "Das Nähen selbst ist keine Hexerei." Ihr macht die Arbeit Spaß. "Ich find' die Idee mit den nachhaltigen Einkaufsbeuteln toll", sagt sie. Nach dem Vernähen muss an der Öffnung noch eine Kordel eingezogen werden, mit der man den Beutel zuziehen kann. Dann werden immer drei Beutel mit unterschiedlichen Größen zu einem Set zusammengepackt. Auch im Nähwerk gibt es ein Regal, in dem die Dreierpäckchen zum Verkauf ausliegen. Esser mag es, den Leuten zuzuschauen, wie sie sich ihre Beutel aussuchen. "Das Schöne ist, dass ja jeder ganz anders aussieht", freut sie sich. Das sei einer der großen Unterschiede zu anderen Produkten.
Die Idee, die Plastiktüten beim Obst- und Gemüseregal zu ersetzen, ist nicht neu. Auch der Bioladen, in dem Maria Daxenbichler mit ihrem Rebeutel einkauft, bietet ein eigenes Sortiment mit ähnlichen Säckchen, zum nachhaltigen Einkaufen. Neben Jutebeuteln und Papiertüten gibt es in der Obst- und Gemüseabteilung Netze aus Polyester, die wie die Rebeutel funktionieren. Sie sind zwar aus Kunststoff, können aber wiederverwendet werden und sind somit umweltschonender als Plastiktüten. Einen Vorteil haben sie: Sie haben ein Einheitsmaß und ihr Gewicht ist im Kassensystem der Bioladenkette hinterlegt und kann beim Bezahlen einfach mit einem Klick abgezogen werden. Bei den Rebeuteln ist das schwieriger. Eigentlich müsste der Inhalt, also bei Maria Daxenbichler jeder Apfel und jede Karotte, raus aus dem Beutel, auf die Waage, und dann wieder eingepackt werden. Das ist vor allem für die Angestellten an der Kasse ein Problem: "Ich will und darf ja nicht das Obst der Kunden antatschen", sagt die Kassiererin. Daxenbichler nimmt das locker. "Ich lass' das Zeug beim Wiegen einfach im Beutel, so viel zahlt man da ja nicht drauf." Beim Kauf von Äpfeln etwa zeigt das ein kurzer Test: Bleibt das Obst beim Wiegen im Rebeutel, zahlt sie zehn Cent mehr. Maria Daxenbichler zumindest ist es die Sache wert.