Es ist kurz vor Mittag, Anruf bei Katharina Demmel in Königsdorf. Ihre Stimme ist kaum zu verstehen, weil im Hintergrund die Apfelpresse, die Demmel gerade bedient, sehr laut scheppert. "Oh mei!", ruft sie ins Telefon, "ich hab grad gar koa Zeit, wissens, wirklich gar koane!" Wer in diesen Tagen mit Apfelbauern oder mit Betreibern von Obstpressen sprechen will, der kommt nur schwer ans Ziel.
Demmels Reaktion auf den Anruf ist zurzeit symptomatisch für die Branche, die Apfelernte läuft auf Hochtouren. Alte Sorten wie Jakob Fischer, Gravensteiner und Roter Berlepsch sind viel zu früh reif geworden. Die Äste der Obstbäume biegen sich unter der Last der Früchte, mancher Ast ist unter der schweren Last sogar abgebrochen. Wenn in den kommenden Wochen nicht noch schwere Unwetter in die Bäume fahren, könnte die Saison 2018 als ein Rekord-Apfeljahr in die Annalen eingehen. Bundesweit rechnet man mit einem Ernteertrag von 1,10 Millionen Tonnen Streuobstäpfeln. Apfelexperten betrachten diese ungewöhnliche Fülle mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Sommer in Deutschland:Welche Folgen die Hitze hat
Es ist heiß. Immer noch. In der Elbe taucht alte Kriegsmunition auf, in Ostfriesland weigert sich die Feuerwehr Gartenpools zu füllen. Und Polizeibeamte dürfen die Dienstmütze beiseitelegen.
Anton Klaus ist ein anerkannter Pomologe, mit Äpfeln kennt er sich bestens aus. Vor allem der Erhalt alter Apfelsorten liegt ihm am Herzen. In seinem Garten in Oberneufnach im Unterallgäu pflegt er 520 Apfel- und 150 Birnensorten. "Meine Äpfel sind heuer drei Wochen früher reif als sonst", sagt Klaus, "das gab es noch nie." Wenn es so bleibe, werde der Ertrag noch besser sein als im Rekordsommer 2003, prophezeit Klaus. Auch er hat wenig Zeit. Denn jene zehn bis 15 Apfelsorten in seinem Garten, die sonst erst Mitte September pflückreif wären, müssen schon jetzt geerntet werden, unter der Dauersonne sind sie rapide gereift.
Das üppige Apfeljahr 2018 unterscheidet sich im ganzen Land fundamental vom Apfeljahr 2017, in dem die Ernte karg und mancherorts sogar ganz ausfiel. Schlechtes Wetter, späte Fröste und Schädlinge hatten die Blüten zerstört und den Bäumen die Kraft geraubt. Die Statistik für das bayerische Apfeljahr 2017 weist einen Ertrag von nicht einmal 20 000 Tonnen aus, das waren 50 Prozent weniger als im langjährigen Schnitt.
Im Frühjahr 2018 blieben die gefürchteten Spätfröste aus. "Die Bäume erholten sich und haben volle Kanne geblüht. Und die Bienen hatten viel Zeit, um alles zu bestäuben", erklärt Klaus. Friedrich Renner, Vorsitzender der Gesellschaft für Pomologie und Obstsortenerhaltung in Bayern, kommt angesichts der aktuellen Apfelschwemme zwar ins Grübeln ("ganz normal ist das nicht"), aber letztlich findet er eine logische Erklärung: "Es ist halt auch eine Folge des vorigen Jahres, in dem es nichts gab." Die Obsternte folgt grob gesagt einem zweijährigen Zyklus, auf einen hohen folgt meistens ein geringer Ertrag.
"Es ist ganz einfach", sagt Friedrich Renner, "viele Äpfel, das heißt wenig Blüten." Um das zu verstehen, erklärt einem Renner gerne, dass die Apfelbäume die Blüten für das kommende Jahr bereits im August bilden. Da sie aber in diesem August mit Früchten voll behängt sind, haben sie nur wenig Kraft, um auch noch Blüten zu bilden. Auch Klaus hat in seinem Garten festgestellt: "Volle Bäume und Hitzestress, das ergibt jetzt im August wenig Blütenansätze." Für Renner steht fest: "Nächstes Jahr wird es wieder schlechter aussehen!"
Alte Apfelsorten geraten in Vergessenheit
Dass die Apfelbäume viel früher blühen und abgeerntet werden als vor 30 oder 40 Jahren, ist schon seit Längerem zu beobachten. "Früher haben die Apfelbäume Mitte Mai geblüht", sagt Klaus, "jetzt tun sie es mitten im April." Trotzdem: Mögen die Bedingungen im frostfreien Frühjahr nahezu ideal gewesen sein, so setzt jetzt eben die Trockenheit den Bäumen zu. Alexander Teichgreber vom Bayerischen Landesverband für Gartenbau und Landespflege betrachtet dieses Problem differenziert. Ein 30 Jahre alter Baum habe weit reichende Wurzeln, sagt er, der habe sich genug Wasser geholt. Acht bis zehn Jahre alte Jungbäume litten dagegen wesentlich mehr unter Stress, vor allem wenn sie an einem ungünstigen Standort stehen, mit magerem Boden, der kein Wasser speichert.
Nach wie vor zählt der Apfel zu den beliebtesten Obstsorten. Umso mehr bedauern Apfelliebhaber und Pomologen die Ausdünnung der Sortenvielfalt. Hunderte Apfelsorten gibt es in Bayern, doch in den Supermärkten reduziert sich das Angebot auf weniger als zehn wachsglänzende, pflegeleichte und geschmackskastrierte Sorten. "Die meisten alten Apfelsorten schmecken halt säuerlicher", sagt Renner. "Heute mag das keiner mehr. Die Geschmäcker orientieren sich an den süßeren Plantagenäpfeln." Renner bedauert diese Dominanz der auf Effizienz getrimmten Supermarktware. "Die Verbraucher wissen ja oft gar nicht mehr, wie ein richtiger Apfel schmeckt." Die alten Sorten seien zwar nicht so bissfest und häufig auch säuerlicher. "Aber sie sind gesünder, sie haben mehr Vitamin C und mehr Pflanzenstoffe."
Anton Klaus verzehrt deshalb jeden Tag zehn Stück von seinen Traditionsäpfeln. Dass es Millionen von Apfelallergikern gibt, hänge mit den neu gezüchteten Allerweltsäpfeln zusammen, ist sich Klaus sicher. "Die alten Sorten lösen wohl keine Blaserl oder gar Luftnot aus." Er kritisiert, dass die gesunden Pflanzenstoffe bei den neuen Sorten weggezüchtet wurden, um Masse statt Klasse zu erzeugen, der Apfel soll halt süß schmecken und nicht so schnell braun werden. Das gute Aussehen des Apfels ist heute das wichtigste Kaufkriterium. Deshalb laufen die Argumente der Pomologen mehr und mehr ins Leere. Aber vielleicht ist das Thema Apfel sowieso bald beendet. Anton Ernst sagt, wenn es künftig noch wärmer werde, "dann werden sich die Apfelbäume bei uns verabschieden. Allzu heiß, das mögen sie wirklich nicht".