Katholische Kirche:Der Papst, seine Vaterstadt - und ein Spalt

Lesezeit: 4 min

In Traunstein steht eine Büste des örtlichen Ehrenbürgers Benedikt XVI. am Stadtplatz. Ein paar Hundert Meter weiter am Landgericht soll im Juni zur Sprache kommen, ob er genügend gegen Missbrauchstaten durch Kirchenmänner unternommen hat. (Foto: Matthias Köpf)

Traunstein, das Benedikt XVI. gerne als seine "Heimat" bezeichnet hat, tut sich schwer mit dem Verhalten des emeritierten Papstes im Missbrauchsskandal. Vor seiner Büste versammeln sich Kritiker wie Fürsprecher.

Von Matthias Köpf, Traunstein

Der Papst auf seinem steinernen Sockel bleibt bei all den Debatten als einziger vollkommen ungerührt. Sogar der Schneeregen, den ein starker, aber seltsam unentschlossener Wind an diesem kalten Winternachmittag immer wieder über den Traunsteiner Stadtplatz weht, perlt vorerst einfach von ihm ab. Vielleicht zwei Dutzend Menschen stehen rundherum und reden vor allem über ihn und seine Rolle in jenem Missbrauchsskandal, der die katholische Kirche so lange Zeit eben nicht genug erschüttert hat und der jetzt doch an diesem Denkmal rüttelt.

Die Stadt Traunstein hat es sich selbst und ihrem Ehrenbürger Joseph Ratzinger, dem damaligen Papst Benedikt XVI., 2007 auf den Stadtplatz gestellt. Es ist diese bronzene Büste, die einfach weiter geradeaus ins Gestöber schaut inmitten all der Menschen, die vom echten Benedikt trotz seiner 94 Jahre nun mehr erwarten als eine Stellungnahme für das Gutachten einer Anwaltskanzlei und eine Korrektur, mit der er, der emeritierte Papst, eine Unwahrheit in einer zentralen Frage zugibt.

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Horst Trüdinger stellt die Frage, die auch ihn so umtreibt, auf einem großen Plakat, mit er dem schräg hinter Benedikts Büste vor dem Kirchenportal von Sankt Oswald Aufstellung genommen hat: Ob sich also der Kardinal Ratzinger als Erzbischof des Bistums München und Freising von 1977 bis 1982 mitschuldig gemacht habe durch "Vertuschen, Verschweigen, Verleugnen, Wegschauen" und was das dann für Konsequenzen haben müsste?

Horst Trüdinger hat mit seiner Fragen hinter der Papst-Büste Position bezogen. (Foto: Matthias Köpf)

Trüdinger zählt sich mit seinen 75 Jahren nicht zur Grünen Jugend Traunstein, die für diesen Nachmittag eine Protestaktion an der Papst-Büste angekündigt hatte. Und er ist auch nicht als Gegner der Kirche gekommen, sondern um für das einzustehen, was er als seine Kirche begreift.

Seit vielen Jahren engagiert er sich für und in dieser Kirche, als Pfarrgemeinderat in Seebruck, für die Tafel, für die Sozialberatung oder im Asylhelferkreis. Mit seinem roten Plakat mit dem Caritas-Logo stellt er sich normalerweise Aufmärschen von Pegida oder AfD entgegen, wenn es mal wieder nötig ist. Für diesen Tag hat er das Caritas-Plakat überklebt mit gelbem Papier und seiner Frage nach den Konsequenzen aus der Missbrauchsaffäre.

Nicoletta Göttlicher engagiert sich in der Kirche als Lektorin und Solosängerin. (Foto: Matthias Köpf)

Doch die katholische Kirche begreift sich als universell, und so ist neben Horst Trüdinger zum Beispiel Platz für Nicoletta Göttlicher oder für Rothraud Knirsch. Göttlicher ist Lektorin und Solosängerin in der Gemeinde und bewirbt sich, wohl auch jetzt und hier an der Papst-Büste, um einen Sitz im Pfarrgemeinderat.

Vor allem aber ist Göttlicher auf den Stadtplatz gekommen, um ihre Kirche und ihren Papst zu verteidigen gegen Vorwürfe, die sie für ungerecht hält. Genauso sieht das Rothraud Knirsch. Sie erzählt von den zwei Jahren, die sie im Ruhestand noch auf der Lateranuniversität in Rom Theologie studiert habe, spricht von dem bescheidenen Menschen und großen Theologen Joseph Ratzinger und von dessen Leistungen für das Verständnis von Kirche und Gemeinde.

Rothraud Knirsch sieht in Benedikt vor allem einen bescheidenen Menschen und großen Theologen. (Foto: Matthias Köpf)

Wo also Rothraud Knirsch von Theologie und Ecclesia redet, spricht Horst Trüdinger von den Bedürftigen und Caritas, und zuständig ist hier für beides gerade Konrad Roider. Roider ist 1982 geboren, als Joseph Ratzinger gerade von München als Präfekt der Glaubenskongregation in den Vatikan wechselte, und eigentlich ist er Pfarrer von Taching, Tengling, Tettenhausen und Törring. Doch weil die Stelle in Traunstein seit Sommer vakant ist, muss Roider übergangsweise auch noch die Traunsteiner Stadtkirche mit ihren fünf Pfarreien verwalten.

Pfarrer Konrad Roider muss neben seinem Pfarrverband im Umland gerade auch noch die Traunsteiner Stadtkirche mit ihnen fünf Gemeinden verwalten. (Foto: Matthias Köpf)

Also ist auch Roider an diesem Nachmittag hierher gekommen. Wenn er von seiner Kirche spricht, dann klingt das eher nach lokaler Gemeindearbeit als nach einer Befehlskette, die von Rom über München und Freising bis Taching und Traunstein reicht. Auch Roider spricht vom Entsetzen über Hunderte Missbrauchsfälle und über das Versagen der Kirche als Organisation. Um Verständnis kann und mag er da gar nicht bitten, aber doch darum, eine persönliche Erklärung Benedikts zu all dem abzuwarten.

Mit Martin Zillner von der Grünen Jugend, der den Protest am Denkmal angemeldet hat, hat Roider schon in der Früh telefoniert. Ein gutes Gespräch, sagen beide, und jetzt führen sie es im Schneeregen am Stadtplatz fort, in mitten von insgesamt vielleicht zwei Dutzend Menschen, die in kleinen Gruppen miteinander diskutieren.

Zillner ist 27 und vor drei Jahren aus der Kirche ausgetreten. Er hat auf einem Hubwagen den Betonsockel eines alten Feldkreuzes mitgebracht und zusammen haben sie daran laminierte Blätter mit einer Chronik des Missbrauchsskandals und mit Zitaten des emeritierten Papstes angebracht. Der sei jedenfalls kein Vorbild mehr für die Jugend, findet Zillner.

Die Stadt könne nicht einfach als "Papststadt" weitermachen wie bisher, sondern müsse sich kritisch auseinandersetzten mit ihrem Ehrenbürger, der auch Träger ihres Ehrenrings und Namenspatron des "Papst-Benedikt-XVI.-Platzes" vor dem örtlichen Landratsamt ist.

Martin Zillner von der Grünen Jugend in Traunstein hat den Protest organisiert. (Foto: Matthias Köpf)

Oberbürgermeister Christian Hümmer (CSU) hatte Zillner noch am Freitag ausrichten lassen, bloß nicht die Büste zu beschädigen, daher jetzt der Feldkreuz-Sockel. Ansonsten hat jene Stadt, die Benedikt oft und gern als seine "Heimat" und seine "Vaterstadt" bezeichnet hat, am Freitag erst einmal Zeit gewonnen. Sie will zusammen mit dem Landkreis Traunstein, der Stadt Tittmoning und der Gemeinde Surberg eine Kommission einberufen, die sich mit der Rolle ihres gemeinsamen Ehrenbürgers befassen und eine Empfehlung für die jeweiligen Räte ausarbeiten soll.

Wie sich die Kommission zusammensetzen und bis wann sie zu ihren Vorschlägen kommen soll, stehe noch nicht fest, sagt Tittmonings Bürgermeister Andreas Bratzdrum (CSU), in dessen Stadt Joseph Ratzinger einst den heutigen Benedikt-Kindergarten besucht hat.

Die bisher letzte prominente Ehrerbietung aus der Region stammt erst vom Oktober, als hier in Sankt Oswald, wo Ratzinger seine Primiz als Priester gefeiert hat, die neue Papst-Benedikt-Orgel eingeweiht wurde. Der Name mag bei der Finanzierung geholfen haben, die Spender und Sponsoren waren zahlreich, sogar aus dem Vatikan kam Geld.

Die Vesper zur Einweihung leitete Georg Gänswein, bis heute Ratzingers rechte Hand. Viele hier machen weniger den hochbetagten Benedikt, sondern vor allem Gänswein dafür verantwortlich, dass die Stellungnahme für das Gutachten korrigiert werden musste.

Das Wort "Lüge" aus dem achten Gebot benutzt dafür nicht einmal Martin Zillner, der außerdem betont, der Protest richte sich nicht gegen die Gemeinde oder gegen Katholiken persönlich. Ziemlich genau 12 000 von ihnen gab es am Montag in Traunstein noch, bei gut 22 000 Einwohnern.

Laut Stadtverwaltung haben allein an den vergangenen zehn Tagen 32 Traunsteiner der katholischen Kirche in aller Form den Rücken gekehrt. Im ganzen Januar waren es 42 Austritte, rund dreimal so viele wie noch im Januar 2020 und 2021. Bald wird wohl nur noch jeder zweite Traunsteiner katholisch sein. Die allermeisten gehen an diesem Nachmittag einfach vorbei.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMissbrauch in der katholischen Kirche
:"Mit sechs Jahren begann es"

Franz Mayer berichtet, dass er in vier katholischen Heimen von Nonnen, Pfarrern, Mitarbeitern und Schülern sexuell missbraucht worden sei. 15 Jahre lang. Wie er das überlebt hat? Er weiß es nicht.

Von Korbinian Eisenberger (Text) und Katja Schnitzler (digitale Umsetzung)

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: