Kurz nach Weihnachten hatte Florian von Brunn versprochen, diesen merkwürdigen Fall aufzuklären, "neutral und objektiv", so formulierte es der Landesvorsitzende der bayerischen SPD. Das hat Erwartungen geweckt, denn so richtig schlau war ja niemand geworden aus den Vorwürfen, die da plötzlich im Raum standen - gegen Arif Taşdelen, damals SPD-Generalsekretär und inzwischen zurückgetreten, eben wegen dieser merkwürdigen Sache, dieser schwer greifbaren Vorwürfe.
Rund einen Monat später liegt der Bericht der internen Kontrollkommission vor, die den Sachverhalt klären und die Vorwürfe endlich greifbar machen sollte. "Die Kommission hat den Vorgang aufgearbeitet", teilt der SPD-Vorstand ebenso bürokratisch wie zufrieden mit. "Mit dem Bericht ist die Sache für mich erledigt", sagt auch Taşdelen auf SZ-Nachfrage. Alles gut, ernsthaft?
Newsletter abonnieren:Mei Bayern-Newsletter
Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.
Für das mittelschwere Beben, das durch die Bayern-SPD gefahren ist, fällt der dazugehörige Bericht der internen Kommission recht schmal aus. Zwei Seiten, sechs Unterpunkte. Die Einleitung verspricht eine "Bewertung des gesammelten Materials", doch allzu viel Material hat die Kommission offenbar nicht gesammelt. Es ist weiterhin recht wolkig von Vorwürfen die Rede, die "teilweise anonym, insbesondere vonseiten der Jusos mitgeteilt wurden" - und dass sich die Aufklärungsarbeit darauf "beschränken" musste.
Weiß etwa die Kommission nach Ende ihrer Arbeit nicht mehr als das, was vorher schon bekannt war? Dass nämlich Taşdelen sich gegenüber zwei jungen Frauen "unangemessen" verhalten haben soll. Diesen Vorwurf hatten die Jusos, der SPD-Parteinachwuchs, ja gegen Taşdelen erhoben und den General deshalb per Vorstandsbeschluss von all ihren Veranstaltungen ausgeschlossen.
Was Taşdelen genau getan hat? Darüber steht nichts im Bericht. "Konkrete Gegebenheiten" könnten aufgrund einer Verschwiegenheitsverpflichtung "nicht im Detail ausgeführt werden", heißt es im Bericht. Weiß die Kommission also doch mehr, aber sagt es nicht? Bekannt ist, dass Taşdelen nach der privaten Telefonnummer einer Landtagskandidatin der SPD gefragt hat, was die junge Frau offenbar als aufdringlich empfand. Bekannt war auch, dass Taşdelens Kontakt via Social-Media-Plattformen von mindestens einer Frau als lästig empfunden wurde. Doch nicht mal das steht im Kommissionbericht, darüber hinaus liefert das Papier erst recht keine Erkenntnisse. Es heißt lediglich, "dass alle Vorfälle nach Aussage der Betroffenen nicht strafrechtlich relevant sind". Was ebenfalls bekannt war.
Es sollen "Ansprechstellen für Betroffene innerhalb der Partei geschaffen" werden
Das Fazit der Kommission: Es habe "für die Betroffenen eine subjektiv als Belastung empfundene Situation unzweifelhaft gegeben" - auch wenn Taşdelen "nach eigener Darstellung eine andere Wahrnehmung im Hinblick auf sein diesbezügliches Verhalten hatte". Nach dessen Rücktritt seien weitere "Maßnahmen" gegen Taşdelen aber "nicht erforderlich". In einem einzigen Satz widmet sich der Kommissionsbericht dann noch der Frage, wie die Partei künftig mit ähnlichen Fällen umzugehen plant: Es sollen "Ansprechstellen für Betroffene innerhalb der Partei geschaffen" werden. Näheres dazu werde man mit der Bundes-SPD abstimmen, sagt Landeschef Brunn, der sein Versprechen einer objektiven Klärung offenbar erfüllt sieht.
Auch Kilian Maier scheint mit dem Kommissionsbericht zufrieden: "Für uns passt es so weit", sagt der bayerische Juso-Chef. Ob der Bericht Taşdelen nun belastet oder entlastet, diese Bewertung fällt auch ihm schwer - wobei seine Aussagen eher in Richtung Belastung zu neigen scheinen. "Der Bericht hat die Sicht der betroffenen Frauen überprüft und für richtig befunden", sagt Maier, das sei "das Entscheidende". Ganz stimmt das freilich nicht, der Bericht verurteilt Taşdelens Verhalten ja nicht - sondern stellt eben fest, dass Frauen dessen Verhalten subjektiv als unangemessen wahrgenommen haben, anders als Taşdelen. Ein klassisches "Er-sagt-Sie-sagt". Maier stört das nicht. Taşdelen habe mit seinem Rücktritt selbst die Konsequenzen gezogen, da brauche es keine weitere Interpretation seines Verhaltens durch die Kommission. Allerdings: Trotz seines Rücktritts hat Taşdelen betont, dass er kein Fehlverhalten bei sich sieht.
"Es war richtig, den Schutz unserer Mitglieder nach vorne zu stellen"
Im Umgang der Medien mit dem Fall sieht Maier die größte Schwierigkeit, weil die Betroffenen so noch einmal belastet worden seien. Doch an diesem Umstand sind die Jusos, vorsichtig ausgedrückt, nicht unerheblich beteiligt. So sieht es wohl auch die Kommission, wenn sie schreibt, dass mit dem Juso-Beschluss, Taşdelen nicht mehr einzuladen, eigentlich klar war, dass der Fall in der Presse landet. Manch einer versteht das als Kritik an den Jusos. Genau wie die Ausführungen der Kommission, dass vor so einer weitreichenden Beschlussfassung alle Seiten gehört werden müssten. Die Jusos informierten Taşdelen erst nach ihrem Beschluss. Nur "ein Hinweis", sagt Maier. Man werde intern diskutieren, ob sie die vorgeschlagene Vorgehensweise übernehmen könnten. Den Beschluss selbst aber verteidigt er: "Es war richtig, den Schutz unserer Mitglieder nach vorne zu stellen."
Die heikelste Rolle kam in den vergangenen Wochen der Mittelfranken-SPD zu. Denn während Taşdelen eine Spitzenfunktion abgegeben hat, hat er eine andere ja weiterhin inne. Als Nürnberger Abgeordneter soll er die Liste der Mittelfranken-SPD bei der Landtagswahl anführen. Hinsichtlich dieser Funktion hatte Bezirkschef Carsten Träger angekündigt, abwarten zu wollen, zu welcher Bewertung die interne Kontrollkommission kommt. Das wird im Bericht nicht eindeutig klar, doch für Träger ist entscheidend, dass die Kommission keine weiteren Maßnahmen gegen Taşdelen für nötig erachtet. Er will dem Bezirksvorstand in den kommenden Tagen vorschlagen, dass Taşdelen Listenanführer bleibt. Dessen Rücktritt als Generalsekretär? Die "Kommission hat zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht mehr ermitteln konnte", sagt Träger. Aufgrund des Zusammengetragenen halte er den Rücktritt im Nachhinein für "zu viel des Guten".
Wie genau die Kommission vorgegangen ist, was etwa exakt zu der Bewertung geführt hat, dass keine "weiteren Maßnahmen" gegen Taşdelen "erforderlich" seien, soll ihr Geheimnis bleiben. Die Leiterin der Kommission, Carmen König-Rothemund, erklärt auf Anfrage, man werde keine Fragen beantworten. Lediglich, dass das Kommissionsvotum "einstimmig" gefallen sei, könne sie dem Papier hinzufügen.