Sigi ist in der Stadt. Eine knappe Mail reichte, und wenig später saßen 40 Weißenburgerinnen und Weißenburger mit Sigi Zimmerschied, 69, in einem Wirtshaus zusammen. "Da herrschte richtig Aufbruchstimmung", schwärmt er. In der fränkischen Kleinstadt lieben sie den Kabarettisten und Schauspieler, seit er mit ihnen vorigen Sommer zehn Vorstellungen lang Bürgertheater spielte. Auf der Freilichtbühne des Weißenburger Bergwaldtheaters gab Zimmerschied einen umjubelten "Heiligen Trinker" in dem vom österreichischen Schriftsteller Clemens Berger eigens geschriebenen Stück "Der Glückskeks".
Seit 2017 leisten sich die Weißenburger alle drei Jahre einen Stadtschreiber (der erste war Franzobel) und beauftragen ihn mit einem Stück für ihr Bergwaldtheater, das dann gefühlt die halbe Stadt mit einigen Schauspiel-Profis aufführt. Nach seinem Einsatz als Schauspieler kommt Sigi Zimmerschied nun als Stadtschreiber zurück.
Eine Kleinstadt ohne kulturellen Minderwertigkeitskomplex
"Ich wäre ein Volltrottel, wenn ich das nicht machen würde", sagt Zimmerschied und schwärmt vom knapp 20 000 Einwohner zählenden Weißenburg, das den in Kleinstädten üblichen kulturellen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Großstädten überwunden habe und sich einen Stadtschreiber und im Nachgang opulentes Bürgertheater gönne. Aufgeführt von einheimischen Laiendarstellern und wenigen Schauspielprofis, unter der Regie von Nestroy-Preisträger Georg Schmiedleitner.
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Obgleich selbst das Jahr über auf Tournee mit seinem neuen Kabarettprogramm "Dopplerleben - Eine Fälscher Saga" und obendrein als Schauspieler (Eberhofer-Krimis) gefragt, wird Zimmerschied in den kommenden Monaten immer wieder in Weißenburg sein, durch die Stadt schlendern, mit Leuten reden und Feste besuchen. "Ich will die gesellschaftliche Topografie kennenlernen", sagt er. Es geht bei alledem nicht um provinzielle Nabelschau. Der Auftrag der Weißenburger an den Stadtschreiber lautet nicht, ein Heimatstück zu schreiben. Sondern eines, das zwar Bezug zum Städtchen hat, von dort aus aber Allgemeingültiges in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen und Verwerfungen ableitet.
"Es wird ein opulentes Stück werden", sagt Zimmerschied. "Eine Parabel darüber, was geschieht, wenn das Gute entgleitet." Wenn etwa aus Klimaschützern "Aktivisten werden, die mehr zerstören als bewirken". Oder wenn aus geschlechtsneutraler Sprache eine Sprachpolizei mutiert. "Es wird darum gehen, was passiert, wenn das positiv Gedachte, das Gute und essenziell Wertvolle auf einmal zu mächtig wird und entgleist." Das wolle er "in meiner vom Satire-Grad her eigenen Art" aufschreiben, sagt Zimmerschied. Surreal und visuell opulent soll das Stück werden, was allein angesichts der weitläufigen, in einem bewaldeten, ehemaligen Steinbruch gelegenen Bergwaldtheater-Bühne reizvoll zu werden verspricht. Zum Jahresende will Zimmerschied sein Stück abliefern; nächstes Jahr wird geprobt, 2025 sind die Aufführungen.
Vor ein paar Tagen, beim Treffen im Wirtshaus, habe "große Euphorie geherrscht und ist enorme Energie freigesetzt worden", sagt Zimmerschied. Tatsächlich führt das ambitionierte Vorhaben viele in Weißenburg zusammen. Die drei Initiatoren sind ein Unternehmer, ein Buchhändler und ein Lokaljournalist. Der Oberbürgermeister und der Stadtrat ziehen fast geschlossen mit und investieren 100 000 Euro pro Jahr in das Theaterprojekt. Es gibt örtliche Sponsoren, aber auch zahlreiche weitgehend Ehrenamtliche hinter den Kulissen. "So etwas gibt es sehr, sehr selten und ich bin froh, dabei zu sein", sagt Zimmerschied.