Ostallgäu:Verdacht auf Millionenbetrug - Bürgermeister von Seeg festgenommen

Lesezeit: 3 min

Wegen Betrugsverdachts in Millionenhöhe sind der Bürgermeister von Seeg im Allgäu und der Leiter eines Pflegeheims festgenommen worden. Jetzt gibt es neue Vorwürfe. (Foto: Nikolas Schäfers/dpa)

Als Geschäftsführer der örtlichen Pflegeeinrichtungen soll der CSU-Mann gemeinsam mit einem Einrichtungsleiter die Pflegekasse um 1,1 Millionen Euro betrogen haben.

Von Florian Fuchs, Seeg

Die Vorwürfe sind gravierend, die Summe für eine Pflegeeinrichtung mit angeschlossenen Diensten hoch: Der Bürgermeister der Gemeinde Seeg im Ostallgäu, Markus Berktold (CSU), ist wegen des Verdachts auf Betrug festgenommen worden. Der als Geschäftsführer von Pflegediensten tätige Lokalpolitiker sowie ein ebenfalls festgenommener Einrichtungsleiter sollen unberechtigt Pflegeleistungen in Höhe von 1,1 Millionen Euro abgerechnet haben - wegen eines angeblichen Mehraufwands während der Corona-Pandemie, den es so laut ersten Erkenntnissen der Ermittler gar nicht gegeben hat.

Der Einrichtungsleiter soll darüber hinaus bis Ende 2021 durch Scheinrechnungen 110 000 Euro an Firmengeld zu seinen Gunsten veruntreut haben. Eine Ermittlungsrichterin ordnete am Donnerstag die Untersuchungshaft für die beiden Beschuldigten an, wie ein Sprecher bei der Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg mitteilte. Eine dritte Beschuldigte soll dem Leiter in mehreren Fällen geholfen haben, auch sie wurde festgenommen.

50 Polizistinnen und Polizisten aus Kempten und Umgebung durchsuchten am Mittwoch auf Veranlassung der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG), angesiedelt bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg, mehrere Objekte, darunter das Caritas-Heim sowie das Rathaus in Seeg. Das bestätigte Oberstaatsanwalt Matthias Held. Erste Erkenntnisse vor Ort ergaben aus Sicht der Ermittler, dass auch gegen den Bürgermeister die Voraussetzungen für einen Haftbefehl vorliegen. Die Fahnder stellten zahlreiche Dokumente sicher, auch digital, die nun ausgewertet werden müssen. "Wir stehen noch am Anfang der Ermittlungen", sagt Held. Aktiv wurde die ZKG aufgrund von Hinweisen eines Firmenmitarbeiters.

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Bürgermeister Berktold firmiert auf der Homepage der Gemeinde als Ansprechpartner der örtlichen Caritasstiftung, er ist Geschäftsführer verschiedener Gesellschaften der Pflegeeinrichtung und angeschlossener Dienste. Zwischen Mai 2020 und Juni 2022, so die Vorwürfe, soll er gemeinsam mit dem Einrichtungsleiter wiederholt Scheinrechnungen erstellt und so die Erstattung von Corona-bedingten Mehraufwendungen bei der zuständigen Pflegekasse zu Unrecht abgerechnet haben. Die Mittel stammen aus dem wegen der Pandemie geschaffenen Pflege-Rettungsschirm. Die ZKG hat bei den Durchsuchungen Gegenstände und Konten gepfändet.

Kritik an der Ämterhäufung des Politikers gab es schon länger

Die Allgäuer Zeitung hatte im Sommer wie auch im Dezember mehrfach über Turbulenzen in der Pflegeeinrichtung im Ort berichtet - auch von harscher Kritik am Bürgermeister, dem die Einwohner von Seeg unter anderem Ämterhäufung vorwarfen. Demnach forderten die Kritiker von Berktold, transparenter zu kommunizieren, sie sorgten sich um die Zukunft des Caritasheims.

Kritik an den vielen Ämtern von Bürgermeister Markus Berktold (CSU) gab es in Seeg schon länger. (Foto: Gemeinde Seeg)

In dem Haus hatte es in den vergangenen Jahren massive Umstrukturierungen gegeben. Auf einer Informationsveranstaltung im Dezember sagte Berktold, dass diese Veränderungen nötig gewesen seien: Das Haus habe rote Zahlen geschrieben. Kurz vor Weihnachten kündigte der Bürgermeister an, dass neben ambulanten Wohngemeinschaften ein Neubau mit Tagespflege und barrierefreien Wohnungen entstehen solle, auch ein Investor solle einsteigen. Laut einem Bericht der Lokalzeitung verkündete der Pfarrer auf besagter Informationsveranstaltung zur Zukunft des Heims, dass Theo Waigel, früherer CSU-Finanzminister und Einwohner von Seeg, Mitglied des Caritasvereins werden und den Vorstand beraten soll.

Hilfe für den Vorstand wird nun dringend nötig sein; ein potenzieller Investor springt bei solch gravierenden Vorwürfen des Pflegebetrugs für gewöhnlich ebenfalls ab. Der Landesverband Bayern des Caritasverbands Deutschland zeigt sich schockiert über die Vorwürfe. Ein Sprecher teilt mit, dass die Caritas ihre Mitglieder und Altenheime detailliert informiere, wie genau abzurechnen sei und an wen man sich wenden müsse - gerade während der Pandemie mit zahlreichen besonderen Abrechnungsmodalitäten. Die Abrechnungen würden aber vor Ort erstellt, der Landesverband habe keine Möglichkeit, dies zu prüfen. Während Corona habe es tatsächlich erheblichen Mehraufwand gegeben: für Personal wegen der notwendigen Testungen, für Masken, Schleusen und Isolierungsmaßnahmen etwa. "Dass es schwarze Schafe gibt, die so etwas dann ausnutzen, können wir leider nicht ausschließen", sagt der Sprecher.

Die Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen wirft dem Bürgermeister sowie dem Einrichtungsleiter vor, "gewerbsmäßig" gehandelt zu haben. Seit zwei Jahren ermittelt die ZKG gegen Beschuldigte aus dem Gesundheitswesen. In jüngster Zeit kümmern sich die 14 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte verstärkt um Betrug in Corona-Testzentren; sie haben aber auch Ärzte und Physiotherapeuten im Visier. Vorwürfe gegen Pflegedienste machten bislang nur neun Prozent aller Ermittlungsverfahren aus. Laut Oberstaatsanwalt Held gehe es gerade in der Pflege jedoch oft um bemerkenswerte Schadenshöhen.

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