Armut:Wege aus der Schuldenfalle: Bayern will Beratungsangebot ausbauen

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Viele Klienten zahlen 50 bis 70 Prozent ihrer Einkünfte für Miete. (Foto: dpa)
  • Bei der Überschuldung steht Bayern im bundesweiten Vergleich sehr gut da - allerdings gibt es massive Unterschiede innerhalb des Freistaats.
  • Viele Schuldner zahlen 50 bis 70 Prozent ihrer Einkünfte für Miete. Das sei "das große Thema der letzten Jahre" und längst kein reines "München-Problem", sagt die Schuldnerberatung.
  • Defizite hat Bayern auch bei der flächendeckenden Versorgung mit Beratung, konkret für den Fall von Privatinsolvenzen.

Von Johann Osel, München

Es ist ein tolles Zeugnis für Bayern, wieder einmal. Die 15 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland mit dem niedrigsten Anteil an überschuldeten Bürgern liegen allesamt im Freistaat. Ganz vorn steht Eichstätt mit nur 3,8 Prozent, bayernweit haben 7,4 Prozent der Menschen so hohe Verbindlichkeiten, dass sie diese nicht mehr zurückzahlen können; der Durchschnitt in ganz Deutschland beträgt zehn Prozent, in der Mehrzahl der Länder ist die Quote zweistellig. Das zeigen die Regionaldaten im Schuldneratlas 2018. Das Referenzwerk der Creditforum-Wirtschaftsforschung ist unlängst erschienen. Massiv sind gleichwohl Unterschiede innerhalb Bayerns, Städte wie Nürnberg, Fürth, Straubing oder Aschaffenburg liegen klar über zehn Prozent. Auch die absolute Zahl der Betroffenen - 800 000 Personen - gibt durchaus Anlass zur Sorge.

Bei "Überschuldung" kann anhand der bisherigen finanziellen Lage kein Ende der Schuldenlast prognostiziert werden; den Leuten stehen zum Leben weder Vermögen noch Kreditoptionen zur Verfügung. Das kann theoretisch bereits eine Summe im Tausenderbereich sein, die den Alltag lähmt. Davon zu unterscheiden sind "verschuldete" Personen. Wenn jemand lange Schulden haben wird, zum Beispiel eine Familie nach dem Hausbau, die Raten aber bedient - dann gilt er nur als "verschuldet" und taucht nicht in der Statistik auf. Laut Atlas wird Überschuldung im Alter immer relevanter; zudem werde Wohnen in Städten in vielen Fällen "zum Armutsrisiko, in jedem Fall zum Überschuldungsrisiko".

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Das sagt auch Eva Richter, Vorstandsmitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung in Bayern, sie selbst leitet die Beratung beim Evangelischen Hilfswerk München. Viele Klienten zahlten 50 bis 70 Prozent ihrer Einkünfte für Miete. Das sei "das große Thema der letzten Jahre" und es sei längst kein reines "München-Problem". Dass Betroffene sich Luxus gönnten, sei eher die Ausnahme; vielmehr gehe es oft um "alltägliches Leben wie die Waschmaschine oder Winterklamotten für die Kinder", wofür man sich wegen der hohen Miete verschulde - und eine Spirale in Ganz setzen könne. Neben der Tatsache, dass sich soziale Probleme in Städten ballen, kann das eine Erklärung sein für enorme Abweichungen bei Überschuldungen, die sich zwischen Städten und Umland zeigen. Während im Kreis München die Quote bei 6,4 Prozent liegt, beträgt sie in der Stadt 8,8; dem Nürnberger Land (6,7) stehen zwölf in der Stadt entgegen; ähnlich ist es etwa in Schweinfurt (5,1 Prozent Kreis, 10,7 Stadt) oder Regensburg (5,8 beziehungsweise 9,5).

Defizite hat Bayern auch bei der flächendeckenden Versorgung mit Beratung, konkret für den Fall von Privatinsolvenzen. Nicht alle Schuldnerberatungen betreuen Insolvenzen. Für Ersteres sind bislang die Kommunen zuständig, für Zweiteres der Freistaat. Dabei hängt beides zusammen: Insolvenzberatung greift, wenn nichts mehr von dem hilft, was vorher versucht wurde. Wie das Sozialministerium Anfang 2018 auf eine SPD-Landtagsanfrage einräumte, gibt es in anderthalb Dutzend Kreisen keine oder nur eine eingeschränkte Insolvenzberatung - unter anderem in Freyung-Grafenau, Bayreuth, Dingolfing-Landau und Ansbach. Diese Zahl bleibe aktuell, teilte das Ministerium auf SZ-Anfrage mit. Nicht selten gibt es zudem lange Wartezeiten für Beratungstermine, oft Monate.

Das alles soll sich ändern, wenn zum Jahreswechsel eine im Sommer beschlossene Reform greift: Von Januar an sind die Kreise für beides zuständig, Schuldner- und Insolvenzberatung soll es "aus einer Hand" geben. Für die Übertragung der Aufgabe sind im Haushalt 4,2 Millionen Euro eingestellt. Es werde derzeit "intensiv verhandelt und geplant", sagt eine Sprecherin des Landkreistags. In der Regel gehe man davon aus, dass bewährte Stellen ihre Aufgabe weiter übernehmen. Dies sind sehr häufig Träger der freien Wohlfahrtsverbände wie die Caritas. Offenbar fehlen Verordnungen. Fertige Lösungen zum Stichtag wird es wohl nicht überall geben.

Eben das treibe ihre Zunft gerade um, manche Kollegen fühlten sich "wie im luftleeren Raum", berichtet Eva Richter von der Landesarbeitsgemeinschaft. In der Insolvenzberatung seien auch kommerzielle Anbieter tätig, dem Vernehmen nach klopften einige gerade bei Kreisen an. "Da steht zu befürchten, dass Kommunen schauen, wer es am billigsten macht." Es handele sich aber um einen "sozialen Auftrag, nicht um ein Geschäftsmodell. Die Beratung muss daher in die Hände gemeinnütziger Träger, mit einer langfristig sozialen Komponente und sorgfältiger Betreuung". Das bestätigen Praktiker aus der Schuldnerberatung: Man versuche, das Chaos zu ordnen, Einnahmen, Ausgaben und Schulden zu erörtern, mit Gläubigern über Vergleiche zu verhandeln. Es gebe nicht "den" Fall, oft sei der Gang in die Insolvenz vermeidbar; und nicht selten brauche es eher einen Ratgeber für das alltägliche Leben. Die Reform wird die Landesarbeitsgemeinschaft auch bei ihrer Jahrestagung Anfang Dezemberg in Augsburg beschäftigen.

© SZ vom 27.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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