Sanitäter in Bayern:"Es musste schnell gehen, wir waren alle nicht ausreichend geschützt"

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Beim Arbeiter-Samariter-Bund sind bayernweit 450 Vollzeit- und viele Teilzeitkräfte im Einsatz. Im Rettungsdienst besteht zurzeit Personalmangel, auch weil einige Kollegen wegen des Verdachts einer Corona-Infektion gerade nicht arbeiten können. (Foto: Timm Schamberger/ASB/oh)

Bayerns Rettungskräfte sind besonders gefährdet, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Tanja Klinnert ist deswegen gerade in Quarantäne - doch sie will bald zurück zu den Kollegen.

Von Dietrich Mittler, Lauf

Der umgestürzte Lastzug liegt am Rande der A 9. Solche Anblicke kennen Notfallsanitäterin Tanja Klinnert und ihre Kollegen von der Rettungswache des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) im mittelfränkischen Lauf an der Pegnitz - Berufsalltag. Aus der eingedrückten Fahrerkabine muss ein junger Mann geborgen werden. Klinnert kriecht zu ihm ins Fahrerhaus hinein, stabilisiert seine Wirbelsäule, legt einen venösen Zugang für eine Infusion. Dann sind die Männer dran, um den Verletzten aus der Kabine zu wuchten. Zwei Tage nach diesem Einsatz ist Klinnert in Quarantäne. Sie erzählt die Geschichte am Telefon. Der Fahrer war mit dem Coronavirus infiziert.

"Mein Chef hatte diese Information aus dem Krankenhaus erhalten, in das der schwer verletzte Fahrer gebracht wurde", sagt Klinnert. Der Vorgesetzte musste seiner Notfallsanitäterin nicht lange erklären, was diese Nachricht bedeutet: Für die nächste Zeit fällt sie aus. Zu ihrer eigenen Sicherheit, aber vor allem auch zum Schutz der Patienten. Den ersten Test auf eine Coronavirus-Infektion hat Klinnert nun hinter sich. Das Ergebnis steht noch aus. Insgesamt drei Tests müssen bestätigen, dass sie nicht infiziert ist. Erst dann ist die 25-Jährige wieder im Spiel.

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Es ist eine Situation, die jeden der vielen Tausend Rettungskräfte in Bayern treffen könnte - allein das Bayerische Rote Kreuz (BRK) als größte Rettungsorganisation im Freistaat weist mehr als 6200 angestellte Einsatzkräfte auf, der ASB nach Angaben der Landesgeschäftsstelle circa 450 Vollzeitkräfte - "inklusive vieler Teilzeitkräfte". Die Zahl der ehrenamtlichen Retter geht - organisationsübergreifend - in die Zehntausende. Sie alle werden nachempfinden können, was Klinnert gerade umtreibt. Für jemanden, bei dem es im Job oft um Sekunden geht, wenn es Menschenleben zu retten gilt, können Tage und Stunden ohne Herausforderung ausgesprochen zäh vergehen. Zum Glück ist ihr Mann im Home-Office - aufgrund der Corona-Krise. Hat eine gewisse Komik, findet Klinnert.

Die viele Zeit lässt ihr Raum zum Nachdenken. Hätte sich die Quarantäne verhindern lassen? Hätten sie und ihre Kollegen, Notarzt eingerechnet, nicht vielleicht doch Zeit gehabt, die Schutzkleidung anzuziehen, den Mundschutz anzulegen? "Nein", sagt Klinnert, "Priorität eins war, den Patienten sofort aus dem umgekippten Fahrzeug zu bringen und ihn zu versorgen." Die Kollegen des Roten Kreuzes, die bei der Bergung des Fahrers beteiligt waren, hatten sich auch so entschieden. "Es musste schnell gehen, wir waren alle nicht ausreichend geschützt", sagt Klinnert. Und das Visier am Einsatzhelm ist kein ausreichender Schutz gegen einen aggressiven Erreger. Außerdem habe es keine Hinweise darauf gegeben, dass der Fahrer infiziert sein könnte. Weder hustete er, noch wies er eine erhöhte Körpertemperatur auf.

Sie denkt nach. Ja, er zitterte. Es war fünf Uhr morgens, der letzte Einsatz vor Schichtende. Es war dunkel. Und kalt - so kalt, dass der junge Mann unterkühlt war. "Wir mussten ihn zudecken", erinnert sich Klinnert. Wie da beim Patienten Fieber erkennen? Und so sitzt sie nun zu Hause, ein Buch in der Hand. Angst hat sie keine, wenigstens nicht um sich: "Ich bin jung, habe keine Vorerkrankungen, gehöre also prinzipiell nicht zur Risikogruppe", sagt sie. Wohl aber viele der Patienten, zu denen sie in Notfällen eilt. Um die hätte sie Angst. "Mein Problem ist, dass ich jetzt womöglich Überträgerin des Erregers bin."

Tanja Klinnert ist nach einem Notfalleinsatz in Quarantäne daheim - und hat jetzt Zeit zu lesen. (Foto: Timm Schamberger/ASB/oh)

Sicherheit ist das, was Klinnert jetzt will: "Habe ich das Virus in mir, oder nicht?", fragt sie. Und dann: Sie will möglichst bald wieder zu ihrem Team zurück. "Weil Personalmangel besteht, ganz klar", sagt sie. Gut, die regionalen ASB-Einheiten helfen sich untereinander mit Rettungskräften aus, wenn Not am Mann ist. Doch auch die brauchen jetzt jede Kraft.

Natürlich gibt es Standards, die dem persönlichen Schutz dienen. Klinnerts Kollegin Anja Schmidt, die in Erlangen als Notfallsanitäterin für den ASB tätig ist, vertraut auf diese Vorgaben. "Wenn man jetzt im Privaten einkaufen geht, kann man das Coronavirus wahrscheinlich eher aufschnappen als im Rettungsdienst", sagt die 44-Jährige. Und natürlich: Die Rettungs- und Krankentransportwagen aller Hilfsorganisationen - und gleiches gilt für die Fahrzeuge der privaten Anbieter - sind mit Mundschutz, Schutzkittel, Schutzbrille, Einmalhandschuhen ausgerüstet. Aber: Schutzkleidung kann bei schweren Einsätzen verrutschen. Ein gewisses Restrisiko bleibt immer. Kürzlich hat das Stefan Schuster, innenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, in einem Dankeswort an die Einsatzkräfte so formuliert: "Während derzeit viele Menschen daheim in den sicheren vier Wänden im Home-Office sitzen, gehen diese Menschen jeden Tag raus, sind mit vielen Personen in Kontakt und haben somit ein sehr viel höheres Risiko, sich anzustecken."

"Wir haben alle ein dickes Fell in diesem Beruf, sonst würden wir das ja nicht machen", sagt Klinnert. Ärgerlich sei es jedoch, wenn bisweilen die Angehörigen der Betroffenen "richtig unverschämt werden". Deshalb, weil Tanja Klinnert oder ihre Kolleginnen und Kollegen nach dem Eintreffen am Einsatzort intensiv erfragen, ob am Patienten bereits Anzeichen beobachtet wurden, die auf eine Corona-Infektion hindeuten. Bei dem jungen Fahrer im Lkw ging das leider nicht. "Er sprach weder Deutsch noch Englisch", sagt Klinnert.

© SZ vom 30.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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