Der letzte Schwung blauer Tinte ist getrocknet, Schulminister Bernd Sibler hat die Gymnasiale Schulordnung unterschrieben. An diesem Donnerstag wird sie an den Schulen verteilt. Die Änderungen sind winzig: Aus zwölf werden 13 Jahre, die Qualifikationsphase verschiebt sich entsprechend. Auf die Anlage eins dagegen warten Lehrer, Schüler und Eltern seit Monaten. Denn die Stundentafel legt fest, welches Fach die 323 500 Gymnasiasten künftig in welcher Jahrgangsstufe des G 9 lernen, wie viele Stunden jedes Fach haben wird und wie viele Stunden die Kinder in der Schule sind.
Im Vergleich zum achtjährigen Gymnasium kommen im G 9 wie geplant 19,5 Stunden dazu. Der Nachmittagsunterricht in der Unter- und Mittelstufe soll weitgehend wegfallen. Besonders profitieren die Kernfächer: Mathe sowie die erste und zweite Fremdsprache bekommen drei, Deutsch zwei zusätzliche Stunden. Geschichte und Sozialkunde, das künftig "Politik und Gesellschaft" heißt, gewinnt drei Stunden.
Bildungspolitik:Beim G 9 läuft die Zeit davon
Leistungskurse, Nachmittagsunterricht, Pflichtfächer im Abitur - all diese Punkte sind noch nicht geklärt. Dabei soll es bereits vom 1. August an das neunjährige Gymnasium geben.
Informatik wird zum Pflichtfach für alle. Ziel der Reform ist es, politische Bildung zu stärken und die Kinder besser auf die Digitalisierung vorzubereiten. Erstmals ist in der Stundentafel Unterricht nach Epochen in den Pflichtfächern erwähnt. Dabei widmen sich unterschiedliche Fächer gleichzeitig verschiedenen Aspekten eines Themas. Eine Anordnung ist das nicht, heißt es aus dem Ministerium. Allerdings scheuen viele Lehrer diese Art des Unterrichtens, Epochalunterricht dürfte daher als Wunsch aufgefasst werden.
Im Ministerium ist man mit der Stundentafel zufrieden. Alles laufe nach Plan, bis zum Herbst werden die Bücher der 6. Klassen fertig. Experten können mit den Lehrplänen der höheren Klassen beginnen. Die Abweichungen zum Entwurf der Stundentafel, den Lehrer-, Eltern- und Schülervertreter mit dem Ministerium erarbeitet und im Sommer 2017 vorgestellt hatten, sind marginal. Schulminister Sibler bleibt wie erwartet beim Konsens der Verbände. Neuer Streit der Fachvertreter soll vor der Wahl vermieden werden.
In den vergangenen Monaten hatten Fachvertreter gegen die Stundentafel protestiert, weil sie sich als Verlierer der Schulreform fühlen. Zwar betont Sibler wie sein Vorgänger Ludwig Spaenle, dass kein Fach im Vergleich zum G 8 schlechter gestellt werde. Aber für die Vertreter der Biologie, Wirtschaft/Recht und Geografie, die als Einzige keine zusätzlichen Stunden bekommen, ist das kein Trost. Am lautesten war der Protest von Chemielehrern und Industrie, die Bayerns Zukunft, Wohlstand und sozialen Frieden in Gefahr sehen. Zwar bekommt Chemie eine Stunde dazu, ist aber nur im naturwissenschaftlich-technologischen Zweig in der 11. Klasse vorgesehen. Alle anderen Zweige, knapp die Hälfte der Gymnasiasten, haben in dieser Jahrgangsstufe weder Biologie noch Chemie.
Der Inhalt konnte nicht geladen werden.
Für Birger Pistohl hat die Staatsregierung eine "ganz große Chance vertan". Der Chef des Chemielehrerverbands wirkt resigniert: "Das ist extrem traurig, das bayerische Gymnasium wird von Fremdsprachen definiert, dabei hätte man eine zukunftsfähige Lösung finden können." Pistohl meint damit mehr Naturwissenschaften und mehr Mathematik. Sein Verband fürchtet, dass kaum Schüler Chemie für die Qualifikationsphase wählen werden, wenn sie es in der 11. Klasse nicht hatten. Dadurch würden Schüler benachteiligt, die Medizin oder Pharmazie studieren wollen, aber nicht im naturwissenschaftlichen Zweig sind. Der Verband hatte im Ministerium Kompromissideen eingebracht, etwa eine Wahl zwischen Physik und Chemie. Zunächst sei diese Idee gut angekommen, dann sei das Ministerium zurückgerudert.
Michael Schwägerl, der Chef des Philologenverbands, sieht die Situation weniger dramatisch. Eine zufriedenstellende Lösung für alle gebe es nicht, sagt Schwägerl. Die Stundentafel wieder anzugehen, hätte nur Unruhe gebracht. Eine Dominanz der Sprachen im Gymnasium sieht der Mathe-, Physik- und Informatiklehrer Schwägerl nicht. Ein Vergleich des naturwissenschaftlichen Zweiges über alle vier Reformen seit 1968 zeige, dass Chemie über die Jahre Stunden dazugewonnen habe. "Und die Einschränkungen, die das G 8 den Naturwissenschaften brachte, werden nun wieder ausgeglichen", sagt Schwägerl.
Die Ideen der Chemielehrer seien abgewogen worden, heißt es aus dem Ministerium. Eine Stunde in der 11. Klasse lasse kaum Zeit für Experimente, also habe man am Schwerpunkt in der Mittelstufe festgehalten. Der Lehrplan werde so gestaltet, dass die Schüler am Ende der 10. Klasse auf die Q-Phase vorbereitet sind. In der 11. Klasse habe politische Bildung Vorrang. "Wir sind uns alle bewusst, dass bei der Stundentafelgestaltung immer auch Kompromisse notwendig werden", sagt Sibler. Er sei überzeugt, dass die Stundentafel, gut auf die Herausforderungen des 21. Jahrhundert vorbereite.
Pistohl hofft nun, wie die Vertreter aller Fächer, auf die neue Oberstufe und auf Leistungskurse. Streit und Enttäuschungen sind programmiert. Denn Experten sind sicher, dass Leistungskurse nur dann möglich sind, wenn Schüler nicht mehr zugleich in Mathe, Deutsch und einer Fremdsprache Abitur machen müssen.