Digitales Lernen:"Wir brauchen mehr Tablets und weniger Büchertaschen"

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Bislang ist mit dem digitalen Lernen an Schulen oft nur die technische Ausstattung gemeint. (Foto: OH)
  • 50 000 digitale Klassenzimmer sollen in Bayern eingerichtet werden - bislang waren 15 000 geplant.
  • Ministerpräsident Söder will die Kinder und Jugendlichen damit auf die digitalisierte Welt vorbereiten.
  • Allerdings: Es kommt nicht nur auf die Technik an, sondern vor allem auf die Inhalte.

Von Anna Günther, München

Kinder in den Schulen auf Chancen und Risiken der Digitalisierung vorzubereiten, ist eines der Großthemen der Bildungspolitik. "Wir brauchen mehr Tablets und weniger Büchertaschen!", verkündete Ministerpräsident Markus Söder vergangene Woche in seiner Regierungserklärung und versprach, dass an allen Schulen insgesamt 50 000 digitale Klassenzimmer eingerichtet werden. Geplant waren bisher 15 000.

Infrastruktur ist wichtig, ohne schnelles Internet und funktionierende Hardware ist an Digitalisierung in den Schulen nicht zu denken. Aber wie steht es um die Inhalte? Eine mit dem Internet verbundene Tafel ist noch kein digitaler Unterricht. Und lernen Kinder anders an Tablets als mit Büchern? Dazu sagte Söder nichts. Die Ministerien sollen seine Ankündigungen mit Inhalten füllen.

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Schulminister Bernd Sibler betont wie sein Vorgänger Ludwig Spaenle, dass die Pädagogik die Technik bestimme und nicht andersherum. Wie digitale Pädagogik genau aussehen soll, sagt Sibler nicht. Dabei bestimmt dieses Thema derzeit die Kongresse der Lehrerverbände, die Fragen sind zahlreich, die Hilflosigkeit ist groß.

Zwar hatten Spaenle und sein Staatssekretär Georg Eisenreich schon 2015 ein Digitalkonzept aufgelegt, aber es konzentrierte sich ebenfalls eher auf technische Aspekte. Der studierte Lehrer Sibler denkt inhaltlicher, aber es bleiben Ideen. Er denkt über Medienethik als Teil des Informatikunterrichts nach. Online-Systeme könnten Vokabeln abfragen oder Grammatiktests übernehmen. Schüler bekämen prompt Feedback, Lehrer hätten Zeit für anderes.

Den richtigen Weg gibt es noch nicht, bei einem solchen technischen Umbruch ist das kein Wunder. Aber Umbrüche erfordern Mut und Offenheit, auch von Lehrern. An den Schulen laufen bereits zahlreiche Projekte. Manche richten Tabletklassen ein, andere nutzen die Handys der Schüler, um etwa Versuche zu dokumentieren oder Videoprojekte umzusetzen. "Flipped Classroom" dreht den Unterricht um: Die Schüler lernen den Stoff in Mathematik daheim mit Erklärvideos des Lehrers, in der Schule üben sie unter Aufsicht. Pädagogen, die "Flipped Classroom" einsetzen, schwören darauf. Aber sie berichten auch von der Sorge mancher Kollegen, bewährte Methoden ändern zu müssen.

Zwar gibt es eine Fortbildungsoffensive des Ministeriums. Aber es dauert, bis 120 000 Lehrer erreicht und alle Schulen mit schnellem Internet und Hardware ausgestattet sind. Auch weil die Unterschiede in Erfahrung und Ausstattung der 6700 Schulen enorm sind, muss jede Schule ein eigenes Konzept für Mediennutzung und digitalen Unterricht erstellen. Abgabe wäre eigentlich in diesem Sommer gewesen. Aber der Informationsbedarf ist ähnlich groß wie die Ratlosigkeit. Mittlerweile hat das Ministerium reagiert: Auf der Internetplattform des Landesmedienzentrums Mebis gibt es neben digitalen Unterrichtsmaterialien mittlerweile Tipps für diese Medienkonzepte. Die Abgabefrist wurde um ein Jahr bis Sommer 2019 verlängert.

Außerdem ist absehbar, dass es auch an Grundschulen verstärkt digitalen Unterricht geben wird. So forderte Dorothee Bär, CSU-Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt, kürzlich, Informatik und Programmieren in den Lehrplänen von Grundschulen zu verankern. So weit geht man im Münchner Schulministerium nicht: Grundkenntnisse und Fertigkeiten der Informatik seien sinnvoll, damit auch Grundschüler "kompetent und selbstbestimmt" an der medienzentrierten, digitalen Welt teilhaben können.

Nur, wer soll es ihnen beibringen? Bisher gibt es Informatik nur an weiterführenden Schulen. Den Jüngsten müssten die komplexen Inhalte anders vermittelt werden. Ob ein Weg für alle bereits an einer findigen Grundschule umgesetzt wird und wie viel Informatik an der Grundschule sinnvoll ist, soll der Informatik-Didaktiker Peter Hubwieser von der TU München nun bis 2019 herausfinden.

Ute Schmid hätte jetzt schon einige Ideen: Die Professorin für Angewandte Informatik an der Uni Bamberg ist Expertin für künstliche Intelligenz. Seit zehn Jahren forscht sie im Bereich der Elementarinformatik. Schmid hat mit Pädagogen, Erziehern und Psychologen ein interdisziplinäres Zentrum gegründet und Lehrmaterial für Grund- und Vorschulen erarbeitet. Für Schmid ist bei der Digitalisierung "Hysterie" ausgebrochen. "Jetzt wird gefeiert, wenn eine Schule eine Tabletklasse bekommt, aber nicht darüber geredet, was die Kinder lernen."

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Dem "Hype" begegnet die Psychologin mit Rationalität. Digitalisierung als Begriff ist Schmid zu schwammig, sie trennt drei Bereiche: Medienpädagogik, "Computational Thinking" - also ein Problem in kleinere Einheiten zu zerlegen, um es zu lösen - und das Nutzen von digitalen Medien. "Momentan geht das häufig durcheinander, wir müssen uns erst einmal überlegen, was wir in der Grundschule vermitteln wollen", sagt sie.

Ein eigenes Fach hält die Professorin für unnötig, Grundschullehrer seien ohnehin sehr belastet. Recherche am PC und kritisches Hinterfragen von Informationen könnten Zweitklässler im Deutschunterricht lernen. Wie ein Algorithmus funktioniert, sei Stoff für ältere Schüler. Dafür verstünden schon Vorschulkinder den Unterschied zwischen digitalen und analogen Fotos, und was Pixel sind. Dass Fotos aus Kästchen zusammengesetzt sind, könnten sie nachvollziehen, indem sie mit Bausteinen oder Rechenkästchen Bilder gestalten.

Schmid und ihr Team haben eine Experimentierkiste Informatik für Grund- und Vorschüler erstellt. Und, weil die wenigsten Grundschullehrer Informatikwissen haben, eine sehr detaillierte Anleitung für Pädagogen entwickelt. An der Grundschule im oberfränkischen Burgebrach lernen Mädchen und Buben seit Jahren Roboter und einfache Control-Boards zu programmieren.

Die Box der Bamberger Forscher setzt Schulleiterin Edith Kleber seit Herbst ein. Sie ist begeistert. Alle vierten Klassen testeten die Experimentierkiste, Kleber spricht von "leuchtenden Kinderaugen". In Stationen lernten die Schüler Pixelbilder kennen oder wie ein Laptop im Innern aussieht. Braucht es Informatik in der Grundschule? Ja, sagt Kleber. "Das baut aufeinander auf, die Kinder lernen die Grundlagen und digitales Lernen ergänzt Deutsch, Mathe oder Biologie."

© SZ vom 23.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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