Bildungspolitik:Beim G 9 läuft die Zeit davon

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Müssen Schüler in Bayern auch künftig in Deutsch, Mathe und einer Fremdsprache Abitur schreiben? Entschieden ist noch nichts. (Foto: Armin Weigel/dpa)
  • Vom 1. August an gibt es in Bayern offiziell wieder ein neunjähriges Gymnasium.
  • Allerdings sind die Planungen für die Umstellung noch nicht sehr weit: Grundsätzliches über Nachmittagsunterricht, Pflichtfächer im Abitur und Leistungskurse sind noch ungeklärt.
  • Schwierig wird es für die 47 Testschulen, bis zur vollen Umstellung weiter das G 8 anzubieten.

Von Anna Günther

Ein Konzept aus einem Guss wünscht sich Schulminister Bernd Sibler für das neunjährige Gymnasium. Ein Konzept, das "auf breite Zustimmung stößt und zukunftsfähig ist". Er hofft, dass die Jahre des Kampfes vorbei sind. Auch Horst Seehofer setzte auf Schulfrieden vor der Landtagswahl, als er der CSU-Fraktion 2017 das neue G 9 abrang.

Tatsächlich ist es ruhiger geworden, vom 1. August an gibt es in Bayern offiziell wieder ein neunjähriges Gymnasium. Aber die Debatten könnten schnell wieder aufflammen. Bis zum Konzept aus einem Guss gibt es noch viel zu tun und diverse Streitpunkte. Schüler, Lehrer und Eltern setzen Hoffnungen ins G 9, alles kann nicht erfüllt werden. Und Bayern läuft die Zeit davon. 2019 soll das Konzept für die Oberstufe fertig sein. Die von der Fraktion gewünschte Überholspur und die 11. Klasse sollen zuerst stehen. Ideen gibt es, Konzepte noch nicht. Vor der Wahl kann Sibler keinen Ärger brauchen, weder in der Fraktion, noch an Schulen. Die Frage ist also, ob die "breite Zustimmung" der Schulfamilie schwerer wiegt? Oder die der Fraktion?

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Großes Potenzial für neuen Zoff birgt die neue Oberstufe. Lehrer und Schüler wünschen sich Leistungskurse zurück. Beide Gruppen verbanden den Wunsch nach dem G 9 stets auch mit Leistungskurs-Nostalgie (Lehrer) und der Hoffnung auf mehr Zeit für Lieblingsfächer (Schüler). Dagegen löse in der CSU-Fraktion allein das Wort "Leistungskurs" wieder die alte G-9-Blockade aus, sagt einer, der sich auskennt. Kämen diese Kurse, bliebe nichts vom G 8. Dabei war das Ende der Kollegstufe lange vor dem G 8 beschlossen worden. Experten und Ministerium drücken sich folglich schwurbelig aus. Individuelle Interessen der Schüler sollen stärker berücksichtigt werden, heißt es in einem Schreiben des Ministeriums. Der Philologenverband spricht vage von Spezialisierung.

Dabei gilt als sicher: Für Vertiefungskurse muss das Abitur grundsätzlich hinterfragt werden. Schüler haben nur eine Wahl, wenn Mathe, Deutsch und eine Fremdsprache nicht länger als drei der fünf Abiturfächer vorgeschrieben sind. Die Fachschaften dieser Bereiche dürften energisch dagegen protestieren. Stunden abgeben will niemand, aber Vertiefungskurse brauchen mehr Zeit.

Dazu kommen Grundfragen: Welches Fach wird vertieft? Was bringt Bildung: Mathepflicht im Abitur oder die Wahl nach Interessen? Reicht es aus, neun Jahre lang Mathe, Deutsch und Sprachen zu lernen? Das Ministerium bittet um Geduld, Sibler müsse sich einarbeiten und auf die neuen Eckpunkte der Kultusministerkonferenz warten. Die 16 Bundesländer haben sich in Mathe, Englisch, Französisch und Deutsch auf gemeinsame Standards verständigt. Allerdings dürften die Eckpunkte nach dem NC-Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Priorität haben. Die Richter hatten die Aussagekraft des Abiturs angezweifelt.

Vor der Planung der Qualifizierungsphase soll das Konzept für die 11. Klasse stehen. Bisher gibt es nur Ideen, die Arbeitsgruppe aus Ministerium, Schülern, Eltern- und Philologenverband muss sich wieder zusammenfinden. Dazu kommt die Verwunderung von Lehrern und Opposition, was dieses 11. Schuljahr alles leisten soll: mehr Informatik, mehr politische Bildung, wissenschaftliches Arbeiten, Vertiefung, fächerübergreifende Projekte. Zugleich soll die 11. Klasse leicht zu überspringen sein und ist laut Konzept der Staatsregierung ideal für Auslandsaufenthalte.

"Wie kann ein Jahr wichtig und zugleich überflüssig sein?" Wer mit Lehrern spricht, hört diese Frage oft. Fächer wie Chemie oder Biologie klagten in den vergangenen Monaten über Benachteiligung, weil sie im Entwurf der Stundentafel in der 11. Klasse nicht eingeplant sind. Die Befürchtung: Schüler werden Chemie oder Bio nicht für die Kurse vor dem Abitur wählen. Betroffen wären alle, die nicht im naturwissenschaftlichen Zweig sind, also etwa die Hälfte eines Jahrgangs. Die endgültige Entscheidung muss Schulminister Sibler treffen, die Verbandsanhörung ist abgeschlossen. Sein Vorgänger Ludwig Spaenle hatte größere Veränderungen abgelehnt, höchstens würde von einem Jahr ins andere geschoben. Viel Zeit hat Sibler nicht. Die Verlage warten darauf, die Bücher fertigstellen zu können. Werden Fächer verschoben, wirkt sich auch auf die Inhalte der Schulbücher aus.

Auch die Aussicht auf deutlich weniger Nachmittagsunterricht trieb Schüler und Eltern in ländlichen Regionen zum G 9. Zwar war in Entwürfen und im Bildungspaket nur von "Reduzierung in Unter- und Mittelstufe" die Rede. Der Blick auf die Stundentafel zeigt aber, dass es schwierig wird, Nachmittage freizuhalten. In der 9. und 10. Klasse gar unmöglich. Nur wenn in der 6. und 7. Klasse die für Übungen oder Klassenteilungen genutzten Intensivierungsstunden ausfallen, bleiben die Nachmittage der Jüngsten frei. Spätestens in der 9. Klasse ist damit Schluss.

"Wir probieren alles, damit die Unterstufe frei bleibt. Wir stehen im Wort", sagt Edgar Nama, der Direktor des Tassilo-Gymnasiums in Simbach am Inn. "Die Leute hoffen, dass ihre Kinder früher heimkommen als im G 8", sagt auch Heinz-Peter Meidinger, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes und Schulleiter des Deggendorfer Robert-Koch-Gymnasiums. Beide Schulen gehören zu den 47 Gymnasien, die seit 2015 den G-9-Versuch Mittelstufe Plus abwickeln. In Deggendorf haben sich die Gymnasien gleich abgestimmt, damit keines den Nachmittag anbietet und daraus ein Nachteil gegenüber den anderen entsteht.

Die potenziellen Brandherde an den 47 Mittelstufe-Plus-Gymnasien versucht man im Ministerium seit einem Jahr mit Strenge in Schach zu halten. Obwohl das G 9 am 1. August offiziell wieder in Bayern beginnt, obwohl die jetzigen Fünftklässler bereits neun Jahre Zeit bis zum Abitur haben werden, weil sie mit den kommenden fünften Klassen gemeinsam von acht auf neun Jahre umgestellt werden. Das Ministerium bleibt hart: Die Plus-Schulen müssen auch bei den letzten Plus-Jahrgängen einen G-8-Zug erhalten. Extra-Budget gibt es nicht, auch nicht für die letzten, mitunter winzigen, reinen G-8-Abiturkurse, die im Herbst in die Qualifikationsphase eintreten. Winzig bedeutet dann oft auch weniger Auswahl an W- und P-Seminaren oder Budgetknapsen bei anderen Kursen.

"Die Anweisung war klar, Schluss und Aus", sagt ein Schulleiter. Vielen Direktoren ist der Ausbruch eines Beamten im Ministerium noch in Erinnerung. Ein Direktor hatte im Frühjahr 2017 gefragt, ob er angesichts der G-9-Entscheidung überhaupt noch Schüler für den Regelzug brauche. Zurechtgestutzt möchte er darüber nicht mehr sprechen. "Wir sind brav, wir haben noch ein G 8", sagt ein anderer Direktor, der es mit Humor nimmt. Knapp war es auch bei ihm.

Bis Anfang Mai müssen die 47 die Wahlergebnisse des nächsten Jahrgangs melden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Nachfrage an vielen Schulen wieder enorm ist. Die Lösung sind Mischklassen aus Plus- und Regelschülern. Gedehnt wird der Stoff in den Kernfächern, Entlastung sollen Fächer bringen, die mal ein Jahr pausieren. "Aber das führt die Idee der Dehnung in der Mittelstufe Plus ad absurdum", kritisiert Meidinger.

© SZ vom 30.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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