Open-Air in Nürnberg:Rock im Park - besser als Sex

Lesezeit: 3 min

Orgiastisch: Dave Grohl und seine "Foo Fighters" waren ein früher Höhepunkt auf dem Zeppelinfeld. Zweieinhalb Stunden lang begeisterte die US-Band am Freitagabend ihre Fans. (Foto: Joerg Koch/Redferns/Getty)

Die "Foo Fighters" spielen erneut ein legendäres Konzert, einige Gäste frönen dem Luxuscamping und die Aids-Beratung versucht es mit Kondomerziehung. Eindrücke vom Festival.

Von Dirk Wagner

"Ich nehme nur Kondome mit, die noch nicht abgelaufen sind", entgegnet der junge Mann, während er gerade ein Kondom überstülpt. Ob er denn auch das Datum gecheckt hätte, das auf der Verpackung zu lesen sei, hatte ihn Andreas von der Aids-Beratung Mittelfranken gefragt. Doch der junge Mann hat andere Probleme. Schließlich trägt er eine Spezialbrille, die das Sehvermögen eines Betrunkenen vorgaukelt. Unter solchen Bedingungen ist es gar nicht so einfach, noch dazu unter Beobachtung von Freunden und neugierigen Passanten, dieses Teil über einen der Dildos zu bekommen, die, auf einem Stehtisch postiert, die Neugier der Besucher auf dem "Rock im Park"-Festival wecken.

Endlich jubelt der Mann: geschafft! Andreas bestätigt, wie gut das Kondom übergestülpt wurde. Derweil fasst er noch einmal für alle zusammen, worauf man beim Gebrauch eines Kondoms achten muss.

Nürnberg
:"Rock im Park" hat jetzt einen Luxuszeltplatz

450 Euro kostet die Miete für ein Zwei-Personen-Zelt während des dreitägigen Festivals. Die Luftmatratze ist dann schon aufgeblasen.

Von Claudia Henzler

Auf diese Weise gelingt es der Aids-Beratung, Menschen, die gerade vom Zeltplatz zu den drei gleichzeitig bespielten Festivalbühnen gehen, für das Thema Verhütung zu sensibilisieren. Viele nehmen die Kondome mit, die kostenlos verteilt werden. Die kann man später hoffentlich noch gebrauchen. Immerhin herrscht eine ausgelassene Stimmung auf dem Festival, das weitaus mehr ist als nur die Aneinanderreihung großartiger Konzerte.

Allen voran der zweieinhalbstündige Marathon der Foo Fighters, die im wesentlichen ihren legendären Auftritt auf dem Zeppelinfeld 2015 wiederholen. Mit einigen Stücken, die die Band um den ehemaligen Nirvana-Schlagzeuger Dave Grohl damals nicht gespielt hatte. Etwa "The Sky Is A Neighborhood" vom neuen Album, für das das Sextett von einem zusätzlichen Chor begleitet wird. "Heaven Is A Big Band", singt dieser nun, derweil den Festivalbesuchern einmal mehr bewusst wird: Diese "Big Band" ist der Himmel! So klingt das Paradies der Rockfans.

Selbst Klassiker wie "Under Pressure" von Queen und David Bowie, "Under My Wheels" von Alice Cooper oder "Blitzkrieg Bop" von den Ramones werden von den Foo Fighters eindrucksvoll wiederbelebt. Wenn der Keyboarder dann noch die Klavierbegleitung zu John Lennons "Imagine" erklingen lässt, hätten die Zuschauer die Friedenshymne wohl auch artig mitgesungen. Allein, Dave Grohl singt zu jener Melodie nicht minder pathetisch den Text von Van Halens "Jump". Was für ein abenteuerliches Mashup!

Nach solchem musikalischen Wahnsinn fällt der anschließende Auftritt der Gorillaz auf der benachbarten Bühne deutlich gemächlicher aus. Wo die Foo Fighters die Rockmusik regelrecht geatmet hatten, als sei sie lebensnotwendiger Sauerstoff, den man normalerweise nicht bewusst portioniert, präsentieren die Gorillaz um den einstigen Blur-Mastermind Damon Albarn ihre Songs wieder hübsch sortiert. Bebildert mitunter von Videos, die die Band als Comicfiguren zeigen. Damit hätten sie auch gut in den gleichzeitig stattfindenden Comic-Salon im benachbarten Erlangen gepasst.

Weil einige der dargebotenen Songs aber erst auf dem neuen Album Ende Juni erscheinen, etwa "Tranz" vom Beginn des Sets, hat das Publikum diesmal auch nicht die Gelegenheit, Textsicherheit und Sangeslust zu einem so außergewöhnlichen Kollektiverleben zu paaren wie bei den Foo Fighters. Davon abgesehen bleibt aber auch dieser Auftritt ein würdiger Abschluss des ersten von drei herrlichen Festivaltagen. Zumal es für die Hartgesottenen auf der dritten Festivalbühne in der Halle noch einen kräftigen Nachschlag der schwedischen Metalband Meshuggah gibt.

Etwa 80 Bands, von der altgedienten Punkband Bad Religion, deren durchgestrichenes Kreuz als Bandlogo gerade in Bayern eine neue Aktualität erfährt, bis zum britischen Progrocktrio Muse, gestalten ein vielseitiges Programm, das den Begriff Rock nicht so sehr als Musikgenre, sondern vielmehr als ein Lebensgefühl begreift. Das wird dann auch von Hip-Hop-Formationen wie Trailerpark oder Antilopen Gang auf sehr unterschiedliche Weisen freigesetzt.

Einige lassen sich solches Lebensgefühl allerdings für zusätzlich zum Eintrittspreis zu zahlende 480 Euro und mehr versüßen, weil sie dafür ein bereits aufgestelltes Doppelzelt mit Luftbetten und Campingmöbeln, Frühstück, Duschen und echten Toiletten statt der Dixi-Klos in einem bühnennahen Terrain mit W-Lan erhalten. Zudem bekommen sie dafür ein Einlassbändchen, das ihnen den Zugang zu den ersten beiden Wellenbrechern vor den Bühnen garantiert. Insofern die Klientel, die solches Luxusangebot bedient, andernfalls ein Hotelzimmer gebucht hätte, ist der Aufpreis übrigens gar nicht so hoch.

Allerdings spaltet solches Angebot auch eine Rockgemeinde, die über zahlreiche Festivals zusammengewachsen ist. Denn natürlich stößt es einigen Besuchern auf, wenn sie nicht die kürzeren Wege zu den Bühnen nutzen dürfen, die nur privilegierten Besuchern zur Verfügung stehen. Und es ärgert einige, wenn diese nun mit ihren Einlassbändchen vorbeigelassen werden, derweil die Ordner die anderen Besucher aus Sicherheitsgründen nicht mehr in die vorderen Bereiche lassen dürfen.

Zum Glück ist solcher Ärger aber schnell verpufft. Mitarbeiter der mobilen Jugendarbeit der Stadt Nürnberg achten zudem darauf, ob junge Menschen Hilfe brauchen. An ihrer eigenen Bar serviert die mobile Jugendarbeit alkoholfreie Cocktails zu geringen Preisen. Gerade solche Unterstützung, die die Festivalbetreiber von der Stadt erhalten, trägt zur friedlichen Gesamtstimmung bei.

© SZ vom 04.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Festivals in Bayern
:"Bevor wir uns den guten Namen versauen, lieber nicht"

Erstmals seit 1995 gibt es am Chiemsee kein Pop-Open-Air. Es ist nicht das einzige Festival in Bayern, das in diesem Jahr ausfällt.

Von Michael Zirnstein

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: