Festivals in Bayern:"Bevor wir uns den guten Namen versauen, lieber nicht"

Unwetter in Bayern - Chiemsee-Summer-Festival abgesagt

Ein heftiges Unwetter bereitete dem "Chiemsee Summer" im vergangenen August ein vorzeitiges Ende. Nun gönnen sich die Organisatoren des Open-Airs mindestens ein Jahr Pause.

(Foto: Christian Hartmann/dpa)
  • In diesem Sommer fallen einige Musikfestivals in Bayern aus.
  • Das Rockfestival "Chiemsee Summer" musste im vergangenen Jahr wegen eines Sturms abgebrochen werden und pausiert bis 2019.
  • Auch das "Utopia Island" in Moosburg oder das "Magic Lake" am Ammersee werden in diesem Jahr nicht stattfinden.

Von Michael Zirnstein

Keine Panik. Für Chiemsee-Open-Air-Kapitän Martin Altmann und seine Mannschaft war es in all dem Chaos eine beruhigende Erkenntnis: Gut 30 000 Gäste können ein Festgelände angesichts der drohenden Apokalypse verlassen, ohne durchzudrehen. Sturmböen peitschten Staub und Sand umher, zerrissen Zelte und Pavillons, warfen Stahlzäune um; die Gäste hasteten zu Autos und Shuttlebussen. Dort zitterten sie dicht gedrängt, bis sie sich beruhigt hatte, die berüchtigte Chiemgauer Wetterhex'. Diese grollende Sturmwand über dem Chiemsee hatte das Festival in seiner 22-jährigen Geschichte schon mehrmals geflutet, in ein Schlamm-(Spaß-)Bad verwandelt und so heftig an den großen Zelten gerüttelt, dass das Areal evakuiert wurde.

2017 aber brach der Veranstalter zum ersten Mal komplett ab. Die Bühne und die übrige Infrastruktur waren zu sehr beschädigt, um den letzten Tag noch durchzuziehen. Der Sturm hatte noch mehr verwirbelt - die eingespielte Festivalplanung. In den nächsten Wochen schaffte das Team die Trümmer weg, verhandelte mit der Versicherung, überwies Eintrittsgelder zurück, überdachte das Sicherheitskonzept und verkündete: "Wir brauchen Zeit, uns neu aufzustellen." 2018 wird es erstmals seit dem eintägigen "Chiemsee Reggae Summer" 1995 kein Open-Air in Übersee geben.

Für Festival-Fans eine Hiobsbotschaft, zumal auch einige Alternativen für einen Musikkurzurlaub 2018 ausfallen: "Utopia Island" in Moosburg pausiert, das "Prima leben und stereo" kann wegen der Bauarbeiten an der Freisinger Umgehungsstraße immer noch nicht auf sein Gelände zurück, und nach dem zuschauerschwachen Start des ersten "Magic Lake"-Festivals am Ammersee gibt es einen Neustart frühestens 2019. Mehr Wetterkapriolen durch den Klimawandel, Terrorangst, Behördenstress und Konkurrenzkampf um Bands und Besucher durch immer mehr Festivals - Open-Air-Veranstaltern weht generell ein heftiger Wind entgegen.

Beim Aquapark hinter dem Franz-Josef-Strauß-Flughafen tobte auch ein Unwetter. Normalerweise feiern die Gäste auf "Utopia Island" zu Elektro- und Pop-Klängen bei Sonnenschein am und sogar im türkisfarbenen Wasser eines Baggersees. 2017 kam das Wasser aber von oben, alles verschlammte, die Organisatoren hatten monatelang zu tun, "das Material zu reinigen oder aus dem Boden zu buddeln".

Zudem hatten sich die als "Bewohner" bezeichneten Besucher schon länger bessere Sanitäranlagen gewünscht. Die Event-Agentur Klangfeld und ihr Geschäftsführer Thomas Sellmeir hätten das Ufergelände auch sehr gerne befestigt, Kioskhütten und Servicegebäude errichtet, einen Rundweg um den See angelegt, sogar eine Wasserski-Anlage aufgebaut und somit den Freizeitwert des ganzen Areals gesteigert. Denn die "Utopia Island"-Gesellschafter, die 2003 noch als Verein mit der Beach-Party "Havana Nights" auf dem Sportplatz von Haag begannen, haben das Seegrundstück vor zwei Jahren gekauft. "Deswegen können wir es eigentlich locker angehen", sagt Sellmeir.

Statt der erhofften 3000 Besucher kamen nur 750

Aber für die geplanten Bauten fehlte - und fehlt immer noch - die Genehmigung des Landratsamtes, als man die Künstler hätte endgültig buchen müssen. "In temporäre Lösungen Geld zu investieren, das wir später für die richtigen Baumaßnahmen brauchen, hätte aber keinen Sinn gehabt", sagt Sellmeir. Kurz erwog er, das Team zu verkleinern, 2018 nicht Superstar-DJs mit sechsstelligen Gagen wie Marshmello und Martin Garrix zu engagieren. "Aber bevor wir uns den guten Namen versauen, lieber nicht." Also: erst 2019 in alter Größe, für 15 000 Bewohner, mit neuen Klos - und hoffentlich bei Sonnenschein.

Am Wetter hat es beim "Magic Lake" trotz des für ein Open-Air sehr spät angesetzten Termins im September nicht gelegen. Die Premiere war ein Traum von einem Drei-Tage-Festival: Schon nachmittags sonnte man sich mit Seeblick in den Liegestühlen, die Kinder wurden bespaßt beim Impro-Theaterkurs oder im Spielzelt, Bauchtänzerinnen wackelten, Feenstaub flirrte, Öko-Café duftete, Marusha, Selig und die Bananafishbones gaben beseelte Konzerte. "Wie Tollwood früher", sagten viele entzückt, sehr familiär ging es zu am Ammersee - zu familiär. Statt der erhofften 3000 Besucher kamen nur 750.

Das war doppelt bitter für Veranstalter Tom Bohn, denn wegen ihrer Schätzung hatte die Gemeinde hohe Auflagen gemacht. Die Angst war nach Terror-Anschlägen groß, die Forderungen nach Sicherheitspersonal und Sanitätern dementsprechend groß. Ebenso groß war die Angst der Verwaltung vor Wildbieslern und Falschparkern - die Kosten für Mobilklos und Parkplätze waren immens - doch die gemieteten Wiesen blieben nahezu leer. Vielleicht hätte er mehr Werbung machen müssen, räumte Bohn ein. Doch getragen von der Euphorie der Besucher und Angeboten von Bands wollte er gleich weitermachen. Aber er braucht mehr Zeit und einen anderen Ort. 2019 zieht er in eine nahe Gemeinde um, die er noch nicht nennen darf.

20 000 Euro

lässt sich das Blasmusik-Fest "Brass Wiesn" die Ausfall-Versicherung gegen Unwetter, Terror und Trauerfälle kosten. Nach dem Anschlag im Münchner Einkaufszentrum OEZ hätte sich auch der Preis für das Sicherheitskonzept verdoppelt, sagt Alex Wolff. Billiger werde das nicht mehr werden, weiß der Festival-Leiter. Er finde dies aber auch nicht verkehrt. "Wenn ich daran denke, dass meine Tochter auf einem Open-Air herumspringt, möchte ich sie auch gut beschützt wissen."

Dass es sich lohnen kann, durchzuhalten, sieht man bei der "Brass Wiesn" in Eching. Alex Wolff war nach verdienstvollen Versuchen mit einem charmanten Deutsch-Pop-Festival namens "Sonnenrot" baden gegangen: "Wir waren keine Profis, hatten zu wenige Kontakte, uns ist die Luft ausgegangen." Auch als man 2012 mit einem Open-Air nur für Blasmusik neu an den Start ging, wurden nur 300 Tickets im Vorfeld verkauft.

Nach drei Jahren aber wurde die Brass Wiesn wegen der Zugnummer La Brass Band förmlich überrannt. Es liegt auch daran, dass Wolff an ein mitgealtertes Publikum denkt: Comfort-Camping, viel überdachte Fläche. Zum Fünf-jährigen im August erwartet er 10 000 Besucher. Die Grundkosten, gerade für die Versicherung, seien sehr hoch, sagt er. "Aber es ist auch gut so, dass nicht jeder irgendwo ein Festival aufziehen kann."

Martin Altmann und seine Partner hatten den Chiemsee Summer gut versichert, "um das Festival an sich nie zu gefährden". Er denkt langfristig, hat viel investiert in die Befestigung der auf viele Jahre gepachteten Wiese etwa, und er denkt sich immer Neues aus, zuletzt ein Holzhüttendorf, das längst andere Festivals nachahmen. Aber nach 22 Jahren, findet er, ist es auch mal gut, "den Reboot-Knopf zu drücken", die Geländepläne neu zu zeichnen, das Konzept zu überdenken. Wo Altmann Mitte August in seinem Sabbatical sein wird, steht für ihn fest: "Ich wandere auf den Hochfelln, schaue auf unsere Wiese runter, und freue mich, dass sie Zeit hat, sich zu regenerieren." Hoffentlich spielt das Wetter mit.

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