80 Meter breit ist der Lech hier, ein paar Meter entfernt von der Staustufe Merching kurz vor Augsburg. "Ein Kilometer breit war er mal", sagt Eberhard Pfeuffer, Naturschützer und Autor mehrerer Bücher über den Fluss. Huchen schwammen im Wasser, die Augsburger angelten pro Jahr 40 000 bis 50 000 Nasen heraus, ohne dass es den Fischbeständen geschadet hätte. Das gebe es heute nicht mehr, bedauert Pfeuffer. "Der Lech, das muss man leider so sagen, ist eine Flussruine."
Umso größer sind die Erwartungen an das Projekt "licca liber", das dem Fluss unter anderem ab hier in Richtung Augsburg auf einer Länge von rund zehn Kilometern wieder einen Teil seines ursprünglichen Charakters als Wildfluss zurückgeben soll. Die Dimension des Renaturierungsprojekts ist "bayernweit einzigartig", sagt Projektleiterin Simone Winter vom Wasserwirtschaftsamt Donauwörth. Der Fluss darf auf 130 Meter anschwellen, zahlreiche Uferverbauungen werden rückgebaut, eine neue, sogenannte Sekundäraue entsteht, ein besonders wertvoller Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Seit 2013 läuft das Verfahren, wie in keinem anderen Gewässerprojekt im Freistaat wurden Bürger in einem Flussdialog genannten Forum in die Planungen einbezogen. Ende des Jahres soll die Feinplanung stehen, 2023 das Wasserrechtsverfahren beginnen.
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Wichtige Eckpfeiler des Projekts hat Winter nun direkt am Ufer des Flusses aufgezeigt: Vor allem mehr Dynamik soll der Lech wieder bekommen, der wie kein anderer Fluss in Bayern durch Wasserkraftwerke verbaut und somit eigentlich nur noch eine Aneinanderreihung von Stauseen ist. Fische können deshalb nicht mehr wandern, der Huchen etwa wird künstlich eingesetzt. Zahlreiche Fischarten finden auch keine Kiesbänke mehr im Wasser, um zu laichen. Im Augsburger Stadtgebiet liegt bereits der sogenannte Flinz frei, die Bodenschicht, die in intakten Flüssen eigentlich gut mit Kies bedeckt ist. Eberhard Pfeuffer warnt vor einem Sohledurchschlag, der Lech würde dann im Grundwasser verschwinden, was wiederum die Trinkwasserversorgung um Augsburg herum beeinträchtigen würde. "Auch wasserbaurechtlich haben wir großen Handlungsbedarf", warnt Pfeuffer deshalb.
Die flussnahen Kommunen sollen besser vor Hochwasser geschützt sein
Nach den Renaturierungsmaßnahmen, bestätigt Winter, werde der Grundwasserstand stabilisiert und somit auch die Zukunft der Trinkwasserversorgung gesichert. Anwohner fürchten seit jeher die Hochwasser des früher reißenden Flusses, der auch aus diesem Grund eingebaut und somit gezähmt wurde. Winter versichert, dass die bebauten Gebiete, etwa in der nahen Kommune Kissing, von der Sanierung des Flusses sogar profitieren werden: Gerade bei Hochwasserereignissen würden sich die Grundwasserstände teils sogar verringern. Die rückgebauten Uferbegrenzungen sollen zu weichen, naturnahen Ufern werden. Wo es nötig ist, sollen unter Kies versteckte Sicherungen die anliegenden Siedlungen vor dem Wasser des Lechs schützen.
Gerade die Trinkwasserbrunnen und Naturschutzgebiete rund um den Flussverlauf im zu sanierenden Gebiet haben den Experten vom Wasserwirtschaftsamt die Planungen erschwert. Teils dürfen Bäume nicht abgeholzt werden, die der Fluss benötigt, um wieder breiter und wilder zu werden. Teils durfte nicht in Trinkwasserversorgungsgebiete eingegriffen werden. "Wir haben Lösungen gefunden", sagt jedoch Winter. Es können sogar vier von sechs sogenannten Absturzrampen im Fluss abgebaut werden, die eine weitere Vertiefung des Flussbetts verhindern. Die verbleibenden beiden Bauwerke sollen so umgebaut werden, dass Fische sie durchwandern können. Der Fluss, so lautet der Plan, soll sich sein Gebiet selbst wieder zurückerobern, sobald die Uferverbauungen weg sind. Der Lech soll auch wie früher wieder Nebenarme erhalten, die den Fluss an die neue Aue anschließen und bei Hochwasser wichtige Rückzugsorte etwa für Fische sind.
Lech:Am Fluss der Extreme
Der Lech ist das steilste, ökologisch wichtigste und artenreichste unter den größeren Fließgewässern Bayerns - und wird dennoch geschunden und verbaut. Nun soll dem Fluss geholfen werden.
"Wir werden Geduld brauchen", sagt Winter. Sie meint damit nicht nur die Verwaltungsprozesse. Noch ist etwa unklar, ob Klagen gegen die Renaturierung eingereicht werden und das Projekt verzögern. Selbst wenn das Vorhaben abgeschlossen ist, wird der Fluss 20 bis 30 Jahre benötigen, um sich zu verbreitern und sein Ufer neu zu gestalten. Die neu geschaffene Aue wird dann regelmäßig überschwemmt, der Fluss mäandert wieder, er bildet mal hier und mal dort eine Kiesbank und verändert dann erneut alles. Der Kies wird künstlich beigegeben werden müssen, allerdings wird nach den Bauarbeiten auch mehr als genug davon zur Verfügung stehen: Rund um das Ufer herum planen Winter und ihr Team eine 95 Hektar große Fläche - das sind etwa 133 Fußballfelder -, um teils bis zu zwei Meter abzutragen. "Ich kenne aktuell kein Projekt, das so eine Fläche bearbeitet", sagt Winter.
Einst, sagt Naturschützer Pfeuffer, war der Lech wegen seines hohen Gefälles der reißendste Wildfluss Bayerns. Noch immer ist der Fluss ökologisch bedeutend, weil er die Naturräume Alpen und Alb verbindet. Trotz seiner Verbauung ist er auch noch immer artenreich, bei Untersuchungen im Zuge der Planungen haben Fachleute seltene Arten wie den Kreuz-Enzian, Hummelragwurz, Gelbringfalter und Windelschnecken entdeckt. "Der natürliche Lech, wie er vor 100 Jahren existierte, kommt nicht wieder", sagt Pfeuffer. Wie er vor 100 Jahren reißend und bei Hochwasser zerstörerisch durch die Landschaft floss, das ist mit moderner Zivilisation nicht mehr vereinbar. "Aber wir sollten ihm doch einen Teil seiner Natürlichkeit wieder zugestehen."