Polizeigewalt bei Einsätzen:Platzwunden, Prellungen, Schüsse

Immer wieder eskalieren Polizeieinsätze. Beamte schlagen zu oder schießen - doch die Ermittlungen gegen sie werden meist rasch eingestellt. Fälle aus Bayern.

Lisa Sonnabend

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(Foto: Privat)

Rambos in Grün: Immer wieder eskalieren Polizeieinsätze. Auch Beamte schlagen zu oder schießen - doch die Ermittlungen gegen sie werden meist rasch eingestellt. Süddeutsche.de hat gewalttätige Polizeieinsätze aus Bayern zusammengetragen. Notwehr oder Gewaltexzess? "23-Jährige randaliert in Polizeiinspektion" - unter dieser Überschrift berichtet die Münchner Polizei Anfang Februar von einer jungen Frau, die wegen Körperverletzung, Widerstand und Beleidigung gegen Polizeibeamte angezeigt wurde. Wer allerdings in der Haftzelle der Inspektion 21 in der Au ausgerastet ist, darüber scheiden sich die Geister. Fakt ist, dass die 23-Jährige die Zelle mit gebrochener Nase und gebrochenem Augenhöhlenbogen verlassen hat und von einem Notarzt zur Behandlung in ein Krankenhaus gebracht werden musste. Als sie mit nach hinten gefesselten Händen auf der Holzpritsche in der Zelle gelegen hatte, hat ihr ein 33-jähriger Polizeihauptmeister ein oder zwei Faustschläge ins Gesicht versetzt. "Aus Notwehr", sagt er. "Ein Gewaltexzess", sagt der Anwalt der Frau. Nun hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Polizisten erhoben. Am 6. August steht der Mann in München vor Gericht.

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(Foto: dapd)

Prügelnder Polizeichef Er schlug den Kopf eines gefesselten Schülers gegen die Wand, trat und ohrfeigte ihn: Das Landgericht Traunstein hat den vom Dienst suspendierten Rosenheimer Polizeichef deshalb im November 2012 zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt. Damit behält der 51-Jährige seinen Beamtenstatus. Der Vorfall, über den verhandelt wurde, hatte sich an einem Samstagabend auf dem Rosenheimer Herbstfest im Sommer 2011 zugetragen. Der 15-jährige Florian K. (Name geändert) hatte zusammen mit zwei Freunden eine Gruppe von Volksfestbesuchern angepöbelt und auch tätlich angegriffen. Zwei Polizeibeamte nahmen ihn fest und fesselten ihm die Hände auf dem Rücken. In dieser Situation schaltete sich Polizeichef Rudolf M. persönlich ein und führte zusammen mit einem Kollegen den Jungen zur Wiesenwache. Dort traktierte er den Jugendlichen mit Kniestößen ins Gesäß und versetzte ihm zwei Ohrfeigen. Was sich danach auf der Wiesenwache abspielte, wurde vom Angeklagten und dem Geschädigten vor Gericht ganz unterschiedlich geschildert. Der Ex-Polizeichef sagte, er habe dem Jungen lediglich einen leichten Stoß in den Rücken versetzt, damit der sich auf die Bank setzen sollte. Dabei sei Florian K., von ihm völlig unbeabsichtigt, mit dem Gesicht gegen die Wand geprallt. Der Jugendliche dagegen berichtete, er habe schon auf der Bank gesessen, als M. ihn an den Schultern hochgerissen, ihn umgedreht und mindestens dreimal mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen habe. Unbestritten waren nur die Folgen: Ein Schneidezahn brach ab, die Lippe platzte auf, Florian K. blutete stark.

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(Foto: dpa)

Widerstand gegen Beamte oder brutale Polizisten? Es passiert am 15. November 2010 in einem Mietshaus in Pfaffenhofen am Inn, einem Ortsteil von Schechen. Zwei Zivilbeamte suchen nach einem Mann, der zu einer psychiatrischen Untersuchung vorgeführt werden soll. Doch er ist nicht da. Die Polizisten fragen daraufhin im Haus nach, auch bei Familie B. An der Wohnungstür kommt es zu einer Auseinandersetzung, nach und nach stoßen acht weitere Polizeibeamte dazu. Sandra B. und ihr Ehemann werden überwältigt, so schildert es die Familie. Als ihre Eltern Josef und Aloisia E. dazukommen, ein Foto machen (siehe Bild) und der Tochter helfen wollen, werden auch sie gefesselt. Die Ärzte stellen bei ihnen Bauchtraumata, Verstauchungen, Prellungen und Schürfwunden fest. Es kommt zum Prozess - angeklagt wird allerdings nicht die Polizei, sondern die Familie. In der Anklage heißt es: Sie habe sich unkooperativ gezeigt, die Beamten geschubst und sich heftig zu Wehr gesetzt. Am Ende wird derr Prozess wegen geringer Schuld der Angeklagten überraschend eingestellt.

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(Foto: Johannes Simon)

Folgenreiche Polizeikontrolle Die Gymnasiallehrer Martina und Günter F. (Namen geändert) aus Aschaffenburg fahren am 7. Oktober 2010 nach einem Restaurantbesuch mit dem Auto nach Hause. Eine Polizeistreife stoppt sie, Verkehrskontrolle. Günter F. muss blasen. Mehrmals, doch es erscheint kein Wert auf dem Display. Der Mann bekommt Atemnot, er ist Asthmatiker. Doch die beiden Polizisten glauben ihm nicht - so schildert es das Ehepaar. Martina F. ist erbost, sie erkundigt sich nach den Namen der Beamten und kündigt an, sich zu beschweren. Schließlich nennen die Polizisten ihre Nachnamen und setzen sich in den Streifenwagen. Als Martina F. ihnen hinterhergeht, um auch die Vornamen zu erfahren, steigt einer plötzlich aus, stößt Martina F. die Faust in den Bauch und nimmt sie in den Polizeigriff. Dann fahren sie mit ihr in Richtung Revier. An den Haaren sollen die Beamten Martina F. dort aus dem Auto gezerrt haben. Als sie wieder nach Hause darf, ist die Hose kaputt, der Mantel zerrissen. Ein Arzt notiert am folgenden Tag, sie sei schwer traumatisiert  und haben "massive Schwellungen an der Halswirbelsäule". Die Ermittlungen der Aschaffenburger Staatsanwaltschaft sind bald beendet. Die beiden Polizisten sagen, sie seien von einer sehr alkoholisierten Frau angegriffen worden. Martina F. sagt, sie hatte an dem Abend zwei kleine Gläser Wein getrunken. Noch heute nimmt sie Tabletten gegen ihre Angstzustände.

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(Foto: N/A)

Gewalt am Feringasee Karfreitag 2009, ein sonniger Tag: Jan A. grillt mit seiner Familie am Münchner Feringasee - wie viele andere auch. Im Verbotsbereich allerdings. Eine Ismaninger Polizeistreife macht darauf aufmerksam, wird aber von den Grillern ausgelacht. Deswegen ruft sie das Unterstützungskommando USK. Der angeheiterte Jan A. weigert sich, den Beamten den Ausweis zu zeigen. Als ein Beamter in seine Hosentasche langen will, um den Geldbeutel zu suchen, schubst Jan A. ihn weg. Daraufhin werfen sich vier Polizisten auf den Griller, brechen ihm einen Finger und fügen ihm Prellungen zu. Jan A. versucht sich zu wehren und biegt einem Polizisten den Daumen um. Die Szenen sind auf einem Video der Polizei festgehalten (siehe Foto). Im Februar 2011 wird Jan A. verurteilt zu einer Geldbuße von 1500 Euro: wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung. Der Vorsitzende Richter sagt: "Wenn man die Polizei verarscht, zahlt sich das nicht aus." Die Anwälte von Jan A. haben die Polizisten ebenfalls wegen Körperverletzung angezeigt, die Verfahren sind eingestellt worden.

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(Foto: privat)

Zwölf Schüsse auf einen Studenten Am 30. April 2009 gerät der Musikstudent Tennessee Eisenberg aus Regensburg mit seinem Mitbewohner in Streit. Dieser rennt aus der Wohnung und setzt einen Notruf ab, Eisenberg wolle sich umbringen. Als die Polizisten die angelehnte Wohnungstür öffnen, tritt der 24-Jährige mit einem Messer in der Hand aus der Wohnung. Die Beamten fordern ihn auf, das Messer wegzulegen. Dann setzen sie Pfefferspray ein, doch es wirkt nicht. Einer schlägt Eisenberg auf den Arm. Der Student ruft angeblich: "Schießt doch!" Zwei Beamte schießen schließlich. Sie treffen Eisenberg - nicht mit einer Kugel, sondern mit zwölf. Er stirbt eine Stunde später im Krankenhaus. Die Ermittlungen gegen die Polizei werden eingestellt, die Beamte hätten in Notwehr gehandelt. Warum so viele Schüsse gefallen sind? Eisenberg sei nicht gleich zu Boden gefallen, heißt es von der Polizei. Zudem falle die Hemmschwelle, wenn in einer Ausnahmesituation geschossen werde. Mittlerweile hat die Familie Verfassungsbeschwerde eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

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(Foto: oh)

Gewalt auf dem Revier Eine 59-jährige Frau betritt am Rosenmontag 2011 die Polizeiinspektion am Münchner Hauptbahnhof, sie soll dolmetschen. Zwei Stunden später verlässt sie die Wache wieder - mit einer Verletzung (siehe Foto). An der Stirn hat sie eine große Beule, ihre Hose ist nass, ein Arzt diagnostiziert danach eine Schädelprellung, Verstauchungen, Schleudertrauma, Hämatome. Haben die Polizisten sie misshandelt oder hat die Frau sich unkooperativ verhalten und Widerstand geleistet? Was genau geschehen ist, ist strittig. Die Dolmetscherin sagt, sie sei ohne Grund misshandelt worden von überforderten Polizisten. Die Polizei wiederum wirft der Frau vor, sich Anweisungen widersetzt und sich ihre Verletzung selbst zugefügt zu haben. Die Dolmetscherin und die Polizisten zeigen sich gegenseitig an. Die Ermittlungen gegen die Beamten wurden eingestellt. Die Frau mus sich 2012 vor Gericht verantworten. Das Verfahren wird eingestellt - wegen Einstellung wegen geringer Schuld. Da die Zeugenaussagen der Polizisten aber so eklatant voneinander abweichen, wird nun doch noch gegen die Beamten ermittelt.

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(Foto: SZ)

Angriff auf Fußballfans Die Atmosphäre ist hitzig am 9. Dezember 2007 beim Amateurderby im Grünwalder Stadion zwischen dem TSV 1860 und dem FC Bayern. Die Polizei verhängt deswegen eine Blocksperre für die Löwen, um die Fangruppen auseinanderzuhalten. Nach Öffnung des Blocks ist der Andrang am Ausgang groß. Augenzeugen berichten, USK-Beamte seien plötzlich auf die Fans losgegangen. Sie sollen Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt haben - wahllos. Zahlreiche Fans tragen Verletzungen davon. Mehrere Anzeigen gegen unbekannt gehen ein. Doch es gelingt nicht, die schwarzgekleideten Schläger unter den Helmen zu identifizieren, niemandem kann konkret eine Körperverletzung nachgewiesen werden. Drei Jahre nach den Übergriffen auf die Fußballfans wird das Ermittlungsverfahren eingestellt. Merkwürdig bleibt: Die Videos der Polizei sind an einigen Stellen offenbar lückenhaft. Wurden Szenen herausgeschnitten?

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(Foto: Bongarts/Getty Images)

Gewalt im Stadion Zahlreiche Ultra-Fans der SpVgg Greuther Fürth treffen am 10. Februar 2010 in Fröttmaning bei der Allianz-Arena ein. Ein DFB-Pokal-Spiel gegen den FC Bayern steht an (siehe Foto). Doch einige bekommen von der Partie nichts mit: Vor und im Stadion gehen USK-Beamte mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen sie vor. Die Polizei sagt, sie sei "mit massiver körperlicher Gewalt" angegriffen worden. Die Fürther Fans berichten: Die Polizei sei "mit unverhältnismäßigen Mitteln vorgegangen". Welche Version stimmt, ist bis heute nicht geklärt. Für vier Polizisten hat das Fußballspiel allerdings Konsequenzen. Im Oktober 2010 werden zwei versetzt, bei zwei weiteren stand ohnehin eine dienstliche Veränderung an, heißt es.

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(Foto: dpa)

Bewährungsstrafe für Pfefferspray-Polizist Im Februar 2011 randaliert ein betrunkener 22-Jähriger in einer Regensburger Gaststätte und wird von Polizisten in eine Arrestzelle gebracht. Dort läutet der 22-Jährige ständig die Notrufglocke, weswegen der diensthabende Polizist offenbar die Nerven verliert und den Inhaftierten durch die Gitterstäbe hindurch mit Pfefferspray attackiert. Er schließt die Türe wieder, ohne medizinische Hilfe für den Inhaftierten zu holen. Im Februar 2012 muss sich der Polizist vor dem Amtsgericht Regensburg verantworten. Der Richter sieht es als erwiesen an, dass der Beamte Pfefferspray einsetzte und den Inhaftierten 20 Minuten lang ohne medizinische Betreuung in der Zelle zurückgelassen hat. Er bekommt zehn Monate auf Bewährung sowie 2000 Euro Geldstrafe. Zwölf Monate hätten den Verlust des Beamtenstatus bedeutet.

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(Foto: dpa)

Tödlicher Schuss Im November 2011 kommt es in München-Großhadern zu einem tödlichen Polizeieinsatz. Eine Frau hat bei einer psychiatrischen Einrichtung, bei der sie eine Zeitlang Patientin war, angerufen und ankündigt, ihre Tochter umbringen zu wollen. Die Polizei rückt zu ihrer Mietswohnung an. Da die Frau nicht öffnet und die Tür nicht aufzubrechen ist, wird ein 26-jähriger Polizist mit einer Drehleiter auf den Balkon gehoben und schlägt mit einer Feueraxt das Fenster zur Wohnung ein. Die Frau sei daraufhin mit erhobenem Küchenmesser auf den Beamten zugegangen. Dieser habe die 49-Jährige mehrmals aufgefordert, das Messer wegzulegen - vergebens. Auch das Pfefferspray, das der Polizist anschließend einsetzt, habe keine Wirkung gezeigt. Als die Frau sich auf etwa eineinhalb Meter genähert hat, schießt der Polizist. Die Kugel durchschlägt ihren Oberkörper unterhalb des Schlüsselbeins und zerfetzt eine Arterie. Das Opfer stirbt kurze Zeit später im Krankenhaus. Die Oberstaatsanwältschaft und die Polizei erklären am folgenden Tag, dass sich der Schütze nach den bis dahin vorliegenden Erkenntnissen in einer Notwehrsituation befunden habe. Der Beamte habe Lebensgefahr für sich gesehen, auf dem Balkon habe er nur schwer ausweichen können. Er habe zudem einkalkulieren müssen, dass die Tochter, die allerdings nicht in der Wohnung gewesen ist, verletzt sei und möglicherweise verblute.

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(Foto: dpa)

Ruhestörung mit Folgen Es geht um Ruhestörung - nicht zum ersten Mal in der Wohnung in der Truderinger Straße in München: Eine Polizeistreife klingelt bei Familie L., einem Ehepaar mit drei Söhnen. Elke L. öffnet, es kommt zu einem Wortwechsel, die Beamten des USK rücken zur Verstärkung nach. Insgesamt sind nun neun Polizisten an der Wohnungstür. Der 18-jährige Sohn des Ehepaars beleidigt die Polizisten und schmeißt mit einem Gegenstand. Da werfen die Beamten den geistig behinderten Sohn zu Boden. Seine Eltern wollen ihn schützen, auch sie werden zu Boden geworfen. "Weil sie sich gewehrt haben", so die Polizisten bei der Gerichtsverhandlung im Oktober 2011 - bei der die Familie angeklagt ist, nicht die Polizei. Der Vater wird schließlich verurteilt - wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, er muss 225 Euro Strafe zahlen. Der Grund: Er soll einen Polizisten geschubst und am Arm festgehalten haben. Seine Verteidigung sagt: Er habe lediglich die Hände nach vorne gestreckt. Er ist blind. Foto: Symbolbild

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