Es ist ein wüstes Gerangel: Ein großer, breiter Mann hat den Unterarm von Florian Lahner umfasst. Der hält ein Messer in der Hand und versucht, auf den Gegner einzustechen, der ist einen Kopf größer. Lahner erwischt ihn mit der Klinge am Oberschenkel und am Oberkörper. Blut strömt aber keines. Lahner ist Sicherheitstrainer und Rettungssanitäter, sein Messer ist aus Gummi, sein Gegner ein Sparringpartner. Die Deutsche Polizeigewerkschaft hat Lahner an diesem Abend nach Regensburg eingeladen, um mit praktischen Übungen der Frage nachzugehen: "Wie nah ist zu nah?"
Was eigentlich ein Fachthema für die Sicherheitsbranche ist, beschäftigt seit dem 30. April 2009 viele Menschen in Regensburg. Damals wurde der Musikstudent Tennessee Eisenberg von zwölf Polizeikugeln getötet - weil sich die Beamten von dem Messer bedroht fühlten, das der Student in der Hand hielt.
Eisenberg war mit seinem Mitbewohner in Streit geraten, die gerufene Polizei forderte Eisenberg wohl vergeblich auf, das Messer wegzulegen. Die Beamten setzten Pfefferspray ein, einer schlug Eisenberg auf den Arm. Eisenberg soll gerufen haben: "Schießt doch!" Zwei Beamte schossen schließlich. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein, die Beamte hätten in Notwehr gehandelt. Die Familie legte Verfassungsbeschwerde ein, über die noch nicht entschieden ist.
Auch für die Polizeigewerkschaft ist der Fall noch immer nicht abgeschlossen. Auch manche Beamten hätten ein falsches Bild von der Gefährlichkeit von Messerattacken, sagt Bezirkschef Michael Hinrichsen bei der Veranstaltung, an der die Führung des Polizeipräsidiums Regensburg teilnimmt. 40 Messerangriffe auf Polizisten hat es im vergangenen Jahr laut Hinrichsen gegeben. Die seien sofort lebensgefährlich, weil schwere Blutungen entstehen könnten, sagt Lahner. Dabei sei die Entwaffnung schwierig. Selbst wenn ein kräftiger Beamter die Messerhand packe, werde er bei einem Gerangel wohl innerhalb von Sekunden geschnitten und müsse loslassen - wie vorgeführt. Pfeffersprays würden irritieren, aber einen Täter kaum abhalten.
Elektroschocker, Taser genannt, seien schwierig in der Bedienung. Ein Schlagstock schaffe nicht genügend Distanz zum gestreckten Arm eines Gegners. Und bei einer Entfernung von nur wenigen Metern reiche selbst eine Polizeipistole nicht, einen entschlossenen Angreifer zu stoppen. "Es kann sein, dass ich ihn noch mit der Schusswaffe treffe, aber er erwischt mich trotzdem noch mit dem Messer lebensgefährlich am Oberkörper, wenn er auf mich zuläuft", warnt Lahner.
Polizei: Schusswaffe am sichersten gegen Messerangriffe
Trotzdem sei die Schusswaffe am besten geeignet, um einen Messerangriff abzuwehren. Beim Einsatz im Falle Eisenberg, der den Beamten bei ihrem Rückzug durch das Treppenhaus gefolgt sei, "hätte ich auch geschossen", sagt Lahner. Dass Eisenberg dabei das Messer wohl an der Seite führte und nicht auf die Beamten richtete, habe keinen Unterschied in der Risikobewertung gemacht. Die Verwunderung über die vielen Schüsse hält er für nachvollziehbar, aber er begründet sie. Zum einen falle eine Hemmschwelle, wenn in einer Ausnahmesituation geschossen werde. "Dann schieße ich und schieße ich", sagt Lahner. Zum zweiten gelte eine Gefahr erst als gebannt, wenn der Täter am Boden liege.
Und wie sieht der Trainer die letzten, unmittelbar tödlichen Schüsse, die wohl erst nach einer Pause auf den nur noch humpelnden und bereits schwer verletzten Eisenberg abgefeuert wurden? "Mitunter gibt es eine Pause, dann realisiere ich die Situation und fühle plötzlich Todesangst", sagt er. Und dann falle plötzlich noch ein Schuss. Er könne stressige Trainingssituationen erzeugen, wo die Teilnehmer ähnlich reagierten. Dieses Szenario halte er für wahrscheinlicher als jegliche These, der Student sei durch die Polizei hingerichtet worden.