Allgäu:Ein Christbaum für 25 000 Euro

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Um Oberstdorf herum sind Bäume keine Mangelware. Der diesjährige Christbaum des Orts kommt dennoch aus dem Hochsauerland. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Oberstdorf stellt am Marktplatz lieber eine sehr teure Tanne auf, die 600 Kilometer durchs Land transportiert wird - anstatt einen Baum im gemeindeeigenen Wald zu schlagen. Warum bloß?

Von Florian Fuchs, Oberstdorf

Es gibt im Allgäu den wunderschönen Brauch des Christbaumlobens. Die Menschen ziehen, meist in Gruppen, durch die Straßen und loben ausgiebig die Christbäume der Nachbarn, zur Belohnung gibt es einen Schnaps. Insofern ist es ganz praktisch, dass der Markt Oberstdorf in diesem Jahr sogar zwei Christbäume hat, einen im Kurpark, einen am Marktplatz. Rein äußerlich gibt es nichts zu beanstanden an den beiden Tannen, wobei es beim Christbaumloben ohnehin darauf ankommt, auch die wenig attraktiven Exemplare in hehren Worten hervorzuheben. In einem Punkt allerdings gibt es für den Baum auf dem Markplatz einfach nichts zu beschönigen, Schnaps hin, Schnaps her: Die Tanne hat den Ort 24 850 Euro gekostet.

Oberstdorf hat sich damit zum Gespött gemacht, so schreiben es lokale Medien, wobei einige Einheimische die Angelegenheit überhaupt nicht lustig finden: Es geht ja nicht nur um den astronomischen Preis, es geht auch um die Umstände. Oberstdorf hat eine Fachfirma beauftragt, die schließlich eine Tanne aus dem Hochsauerland ankarrte, das liegt zwischen Dortmund und Kassel. Dabei besitzt der Markt einen eigenen Gemeindewald. Die Verwaltung hielt es jedoch für unverantwortlich, dass die Angestellten des lokalen Bauhofs einen Baum schlagen und transportieren - aus Sicherheitsgründen. Jetzt haben sie in Oberstdorf nicht nur eine Diskussion über die Kosten, sondern auch eine über Nachhaltigkeit.

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Dabei wollte der Ort ja gerade nachhaltig denken und pflanzte extra eine Tanne im Kurpark, die jährlich zur Weihnachtszeit geschmückt wird - so muss kein Baum mehr gefällt werden. Die Kurpark-Tanne jedoch kam beschädigt an, Verhandlungen mit der Spedition laufen noch. Und dann gab es im Ort auch Stimmen, die einen Christbaum lieber am angestammten Markplatz sähen. Also entschied sich der zuständige Tourismusausschuss im Oktober, kurzfristig eine zweite Tanne zu ordern. Die Kostenschätzung der Verwaltungsvorlage belief sich sogar auf 25 000 bis 30 000 Euro. Der gemeindeeigene Bauhof dagegen war schnell aus dem Spiel: wegen "Unfallverhütungsvorschriften" und weil der Transport neuerdings gegen "die Vorschriften der Straßen-Zulassungs-Ordnung und die Straßenverkehrs-Ordnung" verstoße. "Wir hatten keinen Einfluss, woher der Baum angeliefert wird, das schnürt die Fachfirma", verteidigt eine Sprecherin des Markts den Transport aus dem Hochsauerland. Das sind rund 600 Kilometer Fahrweg, offenkundig ohne rechtlich bedenkliche "Unfallverhütungsvorschriften".

Jetzt ist Oberstdorf nicht der einzige Ort, der Diskussionen um seine Christbäume aushalten muss. In Dresden haben sie eine derartige Hungerfichte aufgestellt, dass sie inzwischen zusätzliche Äste an seinen Stamm angeschraubt haben. Dabei war der tatsächlich außergewöhnlich kahle Baum von der Stadt als Statement gedacht, er sollte den miserablen Zustand der sächsischen Wälder symbolisieren. In Neu-Ulm haben sie auch eine Tanne ausgetauscht - übrigens durch den örtlichen Bauhof -, zu zahlreich waren die Beschwerden. Eine Kostendiskussion gibt es dort allerdings nicht, viele Städte und Gemeinden setzen bei den Christbäumen auf Spenden oder eigenen Baumbestand. Eine fünfstellige Summe für einen Christbaum ist jedenfalls bei Weitem nicht der Normalfall.

Es besteht allerdings Hoffnung, dass auch Oberstdorf mittelfristig eine Diskussion wie in diesem Jahr erspart bleibt. Die Kirche St. Johannes Baptist am Marktplatz hatte bereits vorgeschlagen, eine hochgewachsene Thuja zu fällen und dafür einen Nadelbaum zu pflanzen. Der Ausschuss lehnte dies ab, weil die Kommunalpolitiker keinen gesunden Baum beseitigen wollten. Die Verwaltung wurde aber beauftragt, mit der Kirche im Gespräch zu bleiben, um eine Weißtanne auf Kirchengrund am Marktplatz zu pflanzen. So müsste kein Christbaum mehr aus dem Norden herbei transportiert werden. Und falls keine gravierenden Sicherheitsbedenken auftreten, könnte der örtliche Bauhof eine solche Weißtanne dann schmücken und beleuchten, ohne seine Mitarbeiter oder gar den Verkehr in Oberstdorf in Gefahr zu bringen.

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