Nürnbergs Ex-OB Ulrich Maly:Vom Wiedergewinnen des Nichtstuns

Lesezeit: 4 min

Ulrich Maly schaut jetzt gerne dem Grünspecht im Garten zu. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Nürnbergs früherer Oberbürgermeister Ulrich Maly übt den Ruhestand und ist offenbar schon ganz gut darin. Den Titel der Kulturhauptstadt hätte er gerne noch mitgewonnen, aber sonst hält er sich fern von Politik.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Seit sechs Monaten ist Ulrich Maly, 60, Pensionär. Ein Gespräch mit dem ehemaligen Oberbürgermeister von Nürnberg über Kinderzimmerrückbau, den SPD-Bundesvorsitz und Grünspechte.

SZ: Herr Maly, bei der Vereinbarung des Gesprächs haben Sie gerade Lampen im Dachboden aufgehängt. Wie darf man sich die Tage des Ulrich M. vorstellen?

Ulrich Maly: Es ist pandemiebedingt natürlich auch bei mir anders gekommen als geplant. Ich hatte ja auf die Freiheit gehofft, endlich in Galerien und Theater gehen und auf Berge steigen zu können, diese Freiheit gibt's gerade nicht. Also habe ich das vorgezogen, was eigentlich später drangekommen wäre - das, was 18 Jahre lang liegen geblieben ist im Haus: Kinderzimmerrückbau, Dachboden streichen, solche Sachen.

Und sonst?

Viel im Garten, viel Sport, viel Lesen, auch die SZ selbstverständlich. Es ist alles etwas entschleunigt, es ist selbstbestimmt und wunderbar: die Freiheit des Ruhestands.

Nürnberg
:Dann halt Kulturhauptstadt der Herzen

"Das ist ein harter Schlag in die Magengrube": Nach dem Scheitern gegen Chemnitz ist in Nürnberg die Enttäuschung riesig. Kultusminister Sibler verspricht, dass trotzdem einige der geplanten Projekte verwirklicht werden sollen.

Von Clara Lipkowski

Im Ernst: Es fehlt Ihnen nichts?

Nein, bis jetzt nicht. Wobei man zugeben muss, dass die ersten Monate noch kein Normalzustand sind. Es ist nicht so, dass man nach 18 Jahren fünfmal ausschläft und dann ist alles überstanden. Wenn Politik eine Droge ist, dann ist das ein Stück Entzug - auf den man sich aber einstellen kann. Und das habe ich getan, es war immerhin ein selbst gewähltes Schicksal. Wäre wohl anders, wenn man sich als Abgewählter damit auseinanderzusetzen hätte.

Gibt's Strategien?

Schon. Ich habe anfangs konsequent social distancing zum Rathaus betrieben, bin ganz bewusst nicht ständig ums Rathaus geschlichen oder habe im alten Büro vor der Tür gelauert. Um die Menschen vor mir zu schützen - aber schon auch, um mich selbst zu schützen vor Trauer oder Romantik, alle wiederzusehen. So langsam stellt sich nun, hoffe ich, der Normalzustand ein.

Der tägliche Applaus, das Wohlwollen von Bürgern - geht einem das nicht ab?

Na ja, es kommen schon noch Reaktionen, wenn ich durch die Stadt gehe, trotz Maske. Sind alle immer noch sehr freundlich, äußern Verständnis und Bedauern. Streicheleinheiten gibt's also noch. Diese sind sicher ein berauschender Teil der Droge Politik, auch das Wichtigsein und das Gepampert-Werden - sprich: keinen Parkplatz suchen zu müssen. Von alledem sich loszulösen, erfordert Konzentration. Am meisten fordert mich das Koordinieren des Kalenders, obwohl nicht mehr viel drinsteht.

Wie sieht's in Ihrem Keller aus?

Scheiße. Ich habe ja oben angefangen, im Dachboden.

Nun haben Sie aber doch noch bei der Kulturhauptstadtbewerbung mitgeholfen, unter anderem an der Präsentation. Wie weh tut es, nicht gewonnen zu haben?

Es war schon schmerzhaft, in verschiedenen Dimensionen. Da steckt eine irrsinnige Arbeit drin, von vielen Leuten. Geld steckt auch drin. Und ich glaube einfach, nachdem ich alle Bewerbungsbücher gelesen habe, dass unsere Bewerbung schlicht die beste war. Man wird die Motive einer Jury nie wirklich wissen, das ist die Ohnmacht dabei. Dass die Entscheidungskriterien nicht offengelegt werden, führt natürlich zu einem Gefühl der Hilflosigkeit. Wenn man so will, war das die schmerzhafteste Niederlage meiner Amtszeit. Auch wenn sie sich erst danach eingestellt hat. Es wäre ein wahnsinnig wichtiger Kick für die Kulturstadt Nürnberg gewesen.

Angeblich soll die Jury gefragt haben, was Leni Riefenstahl mit Nürnberg zu tun hat.

Es ist nicht erlaubt, über die Fragen zu reden. Aber wenn Sie mich damit konfrontieren: Genau diese ist gestellt worden, ja.

Zeugt, gelinde gesagt, nicht von besonders profunder historischer Kenntnis.

Schon, aber ich wäre da freundlicher zur Jury. Das sind zwölf Menschen mit sehr unterschiedlichem Erfahrungshorizont. Auch solche, die sich aufgrund ihrer Herkunft wohl weniger mit NS-Geschichte auseinandergesetzt haben als wir. Es gab Jurymitglieder, die signalisierten: In der Bewerbung geht's zu wenig um die NS-Zeit. Andern war genau das zu viel. Uns ging es um die Ästhetik der Inszenierung von Diktatur, das ist dann wohl auch verstanden worden. Trotzdem: Die Nürnberger Sicht auf diesen Ort der Täter ist nicht so leicht zu vermitteln.

Es gab wohl auch die Erwartung, Nürnberg hätte sich dezidiert europäischer aufstellen müssen - weniger "international".

Wir haben versucht, den Blick auch von außerhalb des verfassten Europas auf Europa zu richten. Unsere Haltung war: Wir sind europäisch, aber nicht eurozentrisch. Ist vielleicht nicht bei jedem gut angekommen. Wir hatten in unserer Präsentation auch den Satz: Europa ist mehr als die Jury zur Bestimmung der Kulturhauptstadt.

Nürnberger Humor.

Sie können sich in etwa vorstellen, wer das gesagt hat. Mit freundlichem Lächeln wohlgemerkt. Man sieht dann die briefmarkengroßen Gesichter. Die eine Hälfte lacht. Die andere schaut finster. Es ist, wie es ist.

Womöglich hätte ein Triumph ohnehin zu einer Identitätskrise geführt - zu triumphieren gehört in Nürnberg ja eher nicht zu den emotionalen Kernerfahrungen.

Glaube ich nicht. Weil die harten Auseinandersetzungen über das Erbe der NS-Zeit wären ja weitergegangen. Siehe Regenbogenbemalung der Zeppelintribüne.

Apropos! Ist das so ein Moment, in dem man sich denkt: Oh, wie schön, dass ich jetzt nicht mehr verantwortlich bin.

Nö. So nah bin ich noch dran, dass ich mich in solchen Momenten frage: Was hätte ich getan? Ich hätte wohl genauso reagiert, also die Farbe entfernen lassen. Da wird unter der Fahne der Freiheit der Kunst gesegelt, aber einer selbsternannten Freiheit. Was soll ein Graffiti-Künstler sagen, wenn man das eine lässt und das andere nicht? Im öffentlichen Raum, zumal auf dem früheren NS-Parteitagsgelände, muss Kunst kuratiert sein. Nicht jeder ist ein Banksy.

Wie arg vermissen Sie die Dauerfrage nach dem möglichen SPD-Landesvorsitz?

Gar nicht.

Oh, so unemotional?

Ich bin eben mittlerweile von Mutter-Theresa-hafter Geduld. Kommt nicht infrage.

Gab's kein Bitten der Partei, sich jetzt mehr in ihren Reihen zu engagieren?

Zur SPD auf Landesebene gibt es wenig Kontakt. Aber es gab Anrufe aus der SPD, als es um die Mitgliederbefragung für den SPD-Bundesvorsitz ging. Auch da aber war klar: Ich kandidiere nicht.

Markus Söder hatte Sie kurz vor der OB-Wahl zu einem richtig guten SMS-Partner erklärt. Meldet er sich noch?

Nein, er hat nun wirklich genug zu tun. Und ich bin ein Austragsmodell.

Oh weia.

Ganz nüchterne Feststellung, frei von Ironie. Und warum sollte ich ihn belästigen?

Klingt souverän.

Mir geht's gut. Draußen im Garten ist gerade ein Grünspecht unterwegs. Wenn wir fertig sind mit dem Gespräch, werde ich dem Grünspecht so lange zuschauen, bis er wieder wegfliegt. Früher hätte ich den gar nicht gesehen. Das Wiedergewinnen des Nichtstuns - das muss man genießen.

Bei Ihrer frühsommerlichen Abschiedsrede haben Sie dem Stadtrat mitgeteilt, dass Sie jetzt heimfahren und einen kühlen Weißwein im Garten trinken, während die Räte noch Stunden im Saal sitzen.

Und dann kam der Wettersturz. Ich konnte aber drüber lachen. Und den Wein habe ich trotzdem getrunken. Nur halt drinnen.

© SZ vom 13.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusInterview
:"Es geht nicht um den Eintrag im Geschichtsbuch"

Ulrich Maly war 18 Jahre lang Oberbürgermeister von Nürnberg - nun tritt er ab. Ein Gespräch über die Lernfähigkeit von Alpha-Tieren, mögliche eigene Fehler und die Frage, warum er Markus Söder schätzt.

Interview von Olaf Przybilla

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: