Gesundheitspolitik:Zur guten Behandlung von HIV gehört mehr als Medikamente

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Den Patienten wird häufig das Prophylaxe-Medikament PrEP verschrieben. (Foto: imago/Pond5 Images)

Dank moderner Arzneimittel lässt sich eine HIV-Infektion heutzutage recht gut kontrollieren. In Bayern geschieht das nicht zuletzt in 25 spezialisierten Schwerpunktpraxen. Etwas aber hat sich kaum verändert - die Vorurteile gegenüber Patienten.

Von Sophie Burkhart und Lina Krauß und Laura Lehner

Sechs Jahre lang war Martin Tröbs schon bei der Aids-Hilfe in Nürnberg engagiert, verteilte Kondome, klärte über das Infektionsrisiko auf - bis es ihn selbst traf: HIV-positiv.

1994, als Tröbs seine Diagnose erhielt, waren in Bayern laut Robert-Koch-Institut weniger als 5000 Menschen mit dem Virus infiziert. Heute leben ungefähr 12 000 HIV-Positive im Freistaat. In sogenannten HIV-Schwerpunktpraxen überprüfen Ärzte regelmäßig den Gesundheitszustand der Erkrankten und versorgen sie mit Medikamenten. 25 dieser medizinischen Einrichtungen existieren im Moment in Bayern. Allein 40 Prozent der Praxen befinden sich in München, mehr als die Hälfte in Oberbayern. In Oberfranken gibt es dagegen keine einzige Schwerpunktpraxis, in Niederbayern und der Oberpfalz gerade einmal eine. Das geht aus einer Mitteilung des Staatsministeriums für Pflege und Gesundheit auf Anfrage der Grünen hervor. "Insgesamt ist eine flächendeckende Versorgung mit HIV-Schwerpunktpraxen bzw. Ärzten mit HIV-Genehmigung in Bayern gewährleistet", wie ein Ministeriumssprecher informierte. Weiter seien "keine Versorgungsdefizite" an das Ministerium herangetragen worden.

In seiner Praxis in Fürth behandelten Michael Weiß und seine Kollegen rein rechnerisch fast jeden zehnten HIV-Infizierten in Bayern. (Foto: privat)

Michael Weiß leitet eine der wenigen HIV-Schwerpunktpraxen in Mittelfranken und kennt die Voraussetzungen. "Um als HIV-Schwerpunktarzt praktizieren zu können, braucht es neben einer einschlägigen Facharztweiterbildung den Nachweis einer entsprechenden Erfahrung in der Behandlung von HIV", erklärt er. Auch nach der Zulassung müssten HIV-Ärzte regelmäßig an spezifischen Fortbildungen, Kongressen und Qualitätszirkeln teilnehmen. Die Verschreibung des Prophylaxe-Medikaments PrEP sei auch bei anderen niedergelassenen Ärzten möglich, werde aber sinnvollerweise meist in Schwerpunktpraxen durchgeführt. In seiner Praxis in Fürth behandelten Weiß und seine Kollegen rein rechnerisch fast jeden zehnten HIV-Infizierten in Bayern. "Unsere Patienten stammen überwiegend aus dem Großraum Nürnberg. In Richtung Süden reicht unser Einzugsgebiet bis etwa Ingolstadt, Passau oder München. Wir haben auch Patienten, die mehrmals im Jahr aus Mallorca oder Gran Canaria zu uns kommen", erzählt der Internist.

Als möglichen Grund für die wenigen HIV-Praxen im Freistaat führt Weiß den ökonomischen Aspekt an. Es würde sich erst ab einer bestimmten Anzahl an Patienten rechnen, eine Schwerpunktpraxis zu führen. Die geringe Sensibilität im Umgang mit HIV-Patienten liege auch an der mangelnden Ausbildung. "Das Thema HIV ist leider bis heute im Studium und der Facharztweiterbildung ein absolutes Randthema. Oft werden vermeintlich notwendige besondere Hygienemaßnahmen ergriffen, die dann zu einer anderen - oft auch schlechteren - Behandlung führen", sagt Weiß.

Martin Tröbs von der Aids-Hilfe Nürnberg ergänzt: "Es gibt kaum mehr schwere Fälle und wenig Potenzial, sich durch HIV-Forschung zu renommieren." Bemühungen, mehr Schwerpunktpraxen im Freistaat zu etablieren, gibt es laut Staatsministerium nicht. "Es obliegt den Ärztinnen und Ärzten in eigener Verantwortung und Entscheidung, ob sie die erforderlichen Qualifikationen für die Behandlung von HIV-Betroffenen erwerben wollen", sagt ein Ministeriumssprecher.

Die Medikamente gegen das HIV-Virus, die Martin Tröbs in den 1990er-Jahren nehmen musste, hatten massive Nebenwirkungen zur Folge. (Foto: privat)

In den 90ern, als Tröbs seinen Befund erhielt, bedeutete eine HIV-Infektion zwar nicht mehr den sicheren Tod, Lebensmut konnte er in dieser Zeit trotzdem nicht fassen. "Die Nebenwirkungen der Medikamente waren so schlimm, lieber wollte ich sterben, als so zu leben". Zwölf Tabletten musste der damals 31-Jährige - verteilt über den ganzen Tag - einnehmen. Alle fünf Stunden, auch nachts. Der üble Metallgeschmack der Tabletten ließ ihn den Geschmackssinn verlieren, dazu eine dauerhafte Übelkeit, mehrmals am Tag musste er sich übergeben.

Seitdem hat sich viel getan: Moderne HIV-Medikamente haben nur noch wenige Nebenwirkungen und brauchen meist nur einmal am Tag eingenommen werden. Die Präparate blockieren die HIV-Vermehrung im Körper und verhindern, dass sich das Virus zur tödlichen Krankheit Aids entwickelt. Infizierte können die Krankheit dank der Therapie nicht mehr auf andere übertragen und haben eine normale Lebenserwartung.

Dass eine vertrauensvolle ärztliche Versorgung bei HIV-Infizierten trotz dieser Fortschritte immer noch wichtig ist, betont Weiß. "Eine gute Behandlung von HIV ist mehr als die Auswahl des richtigen Medikaments. Wir versuchen, einen geschützten Raum zu schaffen, ohne Vorurteile oder Befremden fürchten zu müssen." Ein respektvoller Umgang mit HIV-Patienten sei jedoch immer noch keine Selbstverständlichkeit. Einer seiner Patienten habe nur wegen seiner HIV-Infektion eine dringend notwendige Herzoperation erst ein halbes Jahr verspätet erhalten. Außerdem berichteten Patienten immer wieder, dass das Krankenhauspersonal Patientenzimmer teils komplett vermummt betrete.

Von Diskriminierungserfahrungen HIV-Infizierter weiß auch Bernd Salzberger. Er ist der Bereichsleiter der Infektiologie des Uniklinikums Regensburg. Seit 2001 leitet er die zuständige Ambulanz und kümmert sich mit seinen Kollegen um ungefähr 400 HIV-Erkrankte. Rund 25 Patienten seien zur Prophylaxe bei ihnen. "Ich habe einen Patienten, der kommt aus einem Dorf, und da darf niemand wissen, dass er mit HIV infiziert ist", berichtet Salzberger. HIV sei noch immer stigmatisiert. Seine Patienten berichteten ihm immer wieder, dass sie mit Vorurteilen konfrontiert würden: Beim Zahnarzt zum Beispiel gebe es eine Behandlung in einem anderen Raum oder Verweise in Rot auf der Patientenakte. "Das ist für die Menschen sehr verletzend", sagt der Arzt. Grundsätzlich schätzt er die Versorgungslage in Deutschland gut ein und meint, dass man das auch von Bayern sagen könne.

Als in den 1980er-Jahren die ersten Menschen an Aids starben, wurde massiv über den angemessenen Umgang mit HIV-Infizierten gestritten. Insbesondere der damalige bayerische Innenstaatssekretär Peter Gauweiler zog wegen seiner Wortwahl den Zorn der Demonstranten auf sich. (Foto: Dieter Endlicher/Associated Press)

Martin Tröbs kennt die Sorgen HIV-Infizierter; er selbst musste bisher noch keine diskriminierenden Erfahrungen machen. "Ich bin aber auch ein selbstbewusster und ehrlicher Mensch", glaubt er den Grund dafür zu kennen. Vielen falle es nicht so leicht wie ihm, über ihre Erkrankung zu sprechen. Vor fünf Jahren erlitt er einen Herzinfarkt. Die medizinische Behandlung sei vorurteilsfrei verlaufen, der Arzt habe ihn lediglich nach der regelmäßigen Einnahme seiner HIV-Tabletten gefragt. Danach sei seine Infektion kein Thema mehr gewesen.

Mehr Aufklärung beim Thema HIV braucht es nicht nur unter Ärzten. Infektiologe Bernd Salzberger schätzt, dass zwischen 300 und 400 Personen pro Jahr in Bayern zu spät einen Befund erhielten und das Immunsystem dadurch bereits schwer angeschlagen sei. "Meiner Meinung nach ist die Bereitschaft, sich testen zu lassen, in Berlin beispielsweise größer als in Bayern. Da geht man mit Themen wie Drogengebrauch und Homosexualität ganz anders um."

Als Anfang der 1980er-Jahre das noch unbekannte HIV-Virus auftauchte, prallten unterschiedliche Meinungen über den Umgang mit Infizierten aufeinander. In Bayern ergriff man Maßnahmen, die bundesweit einmalig waren: Im Februar 1987 verabschiedete die Staatsregierung einen Maßnahmenkatalog gegen HIV. Der Katalog sah Zwangstests, Razzien und Auflagen für Einrichtungen vor. Zu den "Ansteckungsverdächtigen" zählten Prostituierte, Drogenabhängige und Schwule. Wer Beamter werden oder als Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis haben wollte, brauchte ebenfalls einen negativen Test. Der damalige Innenstaatssekretär Peter Gauweiler nannte "Absonderung" als letztes Mittel. Und der spätere Ministerpräsident Horst Seehofer wurde mit dem Plan, Infizierte in "speziellen Heimen" zu "konzentrieren", zitiert. Der Maßnahmenkatalog blieb bis 2001 in Kraft.

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