Oberstdorf:Geister-WM statt Gäste-Magnet

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Schöne Schanzen aber keine Zuschauer in Oberstdorf. (Foto: Sven Simon/Imago)

In Oberstdorf beginnt kommende Woche die Nordische-Ski-WM - wegen der Corona-Pandemie ohne Zuschauer. Gastwirte und Händler haben nichts davon, Kritiker fürchten steigende Infektionszahlen.

Von Florian Fuchs, Oberstdorf

Wenigstens die Fernsehbilder sollen schön werden. Gästedirektorin Petra Genster hat einen Aufruf an die "lieben Oberstdorfer*innen" gestartet, dass sie ihre Häuser und Schaufenster schmücken sollen, mit internationalen Fahnen und Bannern. "Lasst die Häuser glänzen und erstrahlen", schreibt Genster. In Wirklichkeit strahlt natürlich gar nichts; die Läden hinter den Schaufenstern haben pandemiebedingt geschlossen. Zuschauer sind zur Nordischen Ski-WM, die nächsten Dienstag startet, nicht erlaubt. Und weil das alles so trostlos ist, sollen nun wenigstens die Rahmenberichte in den Medien rund um Oberstdorf "wunderschöne Impressionen" liefern.

So eine Großveranstaltung soll ja immer auch Werbung für einen Ort sein. Oberstdorf lebt von Touristen wie kaum ein zweiter Ort: 2,7 Millionen Übernachtungsgäste im Jahr zählt die Kommune normalerweise, bei 10 000 Einwohnern. "Wir sind Deutschlands Touristendestination Nummer eins", sagt Bürgermeister Klaus King. Aber die Touristen müssen draußen bleiben, nun kommen nur Sportler, Betreuer und Volunteers, die den Sportbetrieb während der Wettkämpfe aufrecht erhalten. Eine Geister-WM haben sie sich in den Ort geholt, dabei hätten sie ein Wintermärchen haben wollen, wie 2005, damals mit 350 000 Zuschauern. Und deshalb brodelt es in Oberstdorf: Die einen wollten die WM vergeblich absagen, sie beklagen Umsatzverluste und befürchten steigende Inzidenzwerte durch den Auflauf an Sportlern und Betreuern. Die anderen wollen das Beste draus machen und als Ausgleich bald wieder eine WM ausrichten. "Die Stimmung", sagt nicht nur SPD-Gemeinderätin Kathrin Bäuerle, "ist nicht gut."

Sportpartys mit vielen Fans wurden hier schon viele veranstaltet, sei es im Skisprungstadion oder beim Langlauf. (Foto: Imago)

Die "modernsten Anlagen der Welt" hat sich Oberstdorf laut Bürgermeister King für die WM hingestellt. Die Modernisierung der Skisprungschanzen und die Baumaßnahmen am Langlaufzentrum Ried haben etwas mehr als 40 Millionen Euro gekostet. Vieles fließt über Förderungen, Oberstdorf muss vier Millionen davon schultern. "Unternehmerisch betrachtet ist der Gegenwert sehr gut, den wir mit zehn Prozent Eigenmitteln erhalten", so rechnet King. Der Riesenstreit wie bei der WM im Jahr 2005 um die Finanzierung, als sich Oberstdorf auf Jahre hinaus verschuldete und ein Firmengeflecht entstand, in dem politische und private Interessen nicht mehr voneinander zu trennen waren, ist tatsächlich ausgeblieben. Zumal Oberstdorf eine Betriebskostenausfallversicherung abgeschlossen hat: Die Kosten, die dem Ort während der WM entstehen, sind abgedeckt, womit das Problem der fehlenden Ticketeinnahmen gelöst ist. Der Gemeinderat streitet heute eher über den Preis für die neue Therme: Baukosten 32,6 Millionen Euro, das teuerste Einzelprojekt, das es in Oberstdorf jemals gab.

Im Ort aber machen sie sich Sorgen um all die Händler, die Gastwirte, die Leute hinter dem Tresen, die mit so einer WM Reibach machen - die gehen nun leer aus. Es kommen keine Gäste, die Geld im Ort lassen. Und da setzen nun die Kritiker der Geister-WM an. Eine Petition wurde gestartet, die fordert, dass die WM bald wieder stattfindet, als Entschädigung für Oberstdorf sozusagen. SPD und Freie Wähler wollten gerade ein Ratsbegehren initiieren, das die Bürger für eine weitere WM abstimmen lassen sollte. "Nicht, weil wir skeptisch gegen eine weitere WM wären, sondern weil wir ein Zeichen der Unterstützung setzen wollten", sagt SPD-Gemeinderätin Bäuerle. Die Olympischen Spiele, die Fußball-EM im vergangenen Jahr, alles konnte man verschieben. Aber bei der Ski-WM soll das nicht möglich sein?

Darüber sind einige Oberstdorfer sauer. Sie fürchten Auswirkungen auf den Tourismus, wenn es pandemiebedingt wieder losgeht: Was, wenn die 4500 Sportler, Betreuer und Volunteers die Inzidenzzahlen in die Höhe treiben. Wenn die WM trotz Zuschauerverbots zum Superspreadingevent wird und Oberstdorf dann bei anstehenden Corona-Lockerungen der Staatsregierung das Nachsehen hat? Der Staatsregierung übrigens, deren Ministerpräsident Schirmherr der Ski-WM ist. Markus Söder hat deshalb in jüngster Zeit einige böse Briefe aus dem Allgäu erhalten. Ein Kreisrat hat die Absage gefordert, auch die Unterstützer der Petition bringen den Punkt der Ansteckungsgefahr ins Spiel. In Worte gekleidet hat diese Befürchtung auch Hotelier Jürnjakob Reisigl und damit einige Tage die Schlagzeilen in der Heimatzeitung bestimmt. Er sagt: "Existenzen gehen kaputt ohne Ende, aber eine Sportveranstaltung machen wir schon."

Bürgermeister Klaus King verteidigt die Ausrichtung der "Geister-WM." (Foto: Privat)

16 000 Gästebetten habe Oberstdorf, nun kommen mehr als 4000 Leute, rechnet Reisigl vor. Da sei der Ort schon gut voll. Oberstdorf dürfe unter einer Sportveranstaltung nicht wirtschaftlich leiden, durch Corona bestehe diese Gefahr nun aber. "Das hat in dieser Form keinen touristischen Werbewert", sagt der Hotelier, der in andere Wintersportorte schaut, die vor kurzem Großevents hatten. Berchtesgaden etwa mit der Bob-WM. "Da gingen die Inzidenzzahlen rauf", kritisiert Reisigl.

Über diese Argumentation regt sich Bürgermeister King mächtig auf. "Wir haben unser Hygienekonzept gerade noch einmal verstärkt", was Oberstdorf zwei Millionen Euro kostet, die es nach momentanem Stand selbst tragen muss. Alle Beteiligten müssen sich alle 48 Stunden testen lassen, sonst gibt es keine Akkreditierung und keinen Zugang zu den Sportstätten. Die Teilnehmer verschiedener Nationen sollen strikt getrennt bleiben. Zumal laut King nie 4000 Sportler und andere Beteiligte gleichzeitig im Ort seien. Die Sorge einer Ansteckungsgefahr sei unbegründet.

Wirtschaftlich leide der Ort unter Corona, nicht wegen der WM ohne Zuschauer, sagt King. 50 Millionen Euro Umsatz mache Oberstdorf in den starken Wintermonaten Januar und Februar. "Die machen wir normal auch ohne WM, weil wir da voll sind. Da käme auch mit Zuschauern nichts oben drauf." Und auch den Werbewert will sich King nicht wegdiskutieren lassen. Wieso aber ein Ort wie Oberstdorf dann überhaupt eine Ski-WM braucht, wenn ohnehin alles ausgebucht ist und sich die Diskussion im Sommer schon wieder darum gedreht hat, dass die Berge von Gästen überrannt werden? "Wer oben bleiben will, muss sich präsentieren", sagt King, der sich deshalb ebenfalls dafür einsetzen will, dass bald wieder eine Weltmeisterschaft in Oberstdorf stattfindet. "Aber da sind wir auf den Skiverband angewiesen."

Nur eine Einschränkung lässt King gelten, der für ein Bündnis unter anderem aus CSU und Grünen zur Wahl angetreten war. Für das neue Langlaufzentrum wurden Flächen versiegelt, so etwas soll in Zukunft für sportliche Großveranstaltungen nicht mehr passieren. "Wenn wir uns wieder bewerben, dann nur mit unserem Bestand."

© SZ vom 19.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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