Wieder gibt es Wirbel um den SPD-Politiker Michael Adam. Der streitbare Landrat des Landkreises Regen legt sich mit dem Chef des Nationalparks im Bayerischen Wald, Franz Leibl, an. In E-Mails und Briefen wirft Adam Leibl "Tricksen, Tarnen, Täuschen" vor und prangert "halboffizielle Hinterzimmerrunden" an.
Außerdem ist Adam mit großem Widerhall dem Anti-Nationalpark-Verein "Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes" beigetreten. In der Region herrscht Entsetzen. "Das darf er als Landrat doch nicht tun", heißt es selbst in Gasthäusern. "Er muss wissen, dass er nur einen neuen Keil in die Region treibt." Der Auslöser von Adams Attacken ist das neue Naturschutzkonzept des Nationalparks.
Urtümliche Fichten- und Buchenwälder, Bäche mit kristallklarem Wasser, verwunschene Hochmoore und prächtige Blumenwiesen, dazu Urwälder wie das Höllbachgespreng oder Mittelsteighütte - der Nationalpark Bayerischer Wald gilt als Inbegriff intakter Natur. Das ist die eine Seite. Die andere sind gigantische Flächen voll grauer Baumleichen am Rachel und am Lusen, wo der Borkenkäfer über die vormaligen alten Fichtenwälder hergefallen ist.
Wälder haben Lebenszyklen
Denn anders als in gewöhnlichen Wäldern bleibt in einem Nationalpark der Wald sich selbst überlassen - selbst wenn Stürme in ihn hineinfahren, Abertausende Bäume umreißen und sich Schädlinge über sie hermachen. Schließlich - so lautet die Philosophie in Nationalparken - haben auch Wälder Lebenszyklen. Auf das oft Jahrzehnte lange Sterben ihrer alten Bäume folgt die Geburt junger, kraftvoller und extrem artenreicher junger Wälder.
Vielen, vor allem älteren Einheimischen im Bayerischen Wald ist das Sterben ihrer alten Wälder aber ein Graus. Sie wollen nicht akzeptieren, dass immer neue Naturzonen eingerichtet werden, in denen nur noch die Natur am Werk ist. Auch Bürgermeister und Gemeinderäte wehrten sich über Jahre hinweg massiv gegen neue Naturzonen. Die Nationalpark-Gegner hatten dabei stets mächtige Unterstützer: Forstminister Helmut Brunner (CSU) etwa, der aus der Region stammt, war in seiner Zeit als Landtagsabgeordneter an ihrer Seite.
Die Staatsregierung steht aber in der Pflicht. Bis 2027 - so hat es der Landtag beschlossen - sollen 75 Prozent des Nationalparks Naturzonen ohne jeden menschlichen Eingriff werden. Dazu wurden bislang im nördlichen Nationalpark jedes Jahr etwa 350 Hektar Wald neu unter Schutz gestellt - zunächst in den tieferen Lagen nahe den Orten Lindberg, Zwieslerwaldhaus und Bayerisch Eisenstein.
Erst von 2020 an sollten die Hochlagen, am Großen Falkenstein zum Beispiel, aber auch am Hochberg bei Bayrisch Eisenstein und in Richtung Tschechien folgen. Die alten Fichtenwälder sind den Einheimischen besonders teuer. Deshalb verpflichteten sich Landtag und Staatsregierung, möglichst lange alles für ihren Erhalt zu tun.
Landtag und Staatsregierung hatten die Rechnung ohne die Natur gemacht. Im Januar 2007 fegte der Orkan Kyrill über den Nationalpark und legte Hunderte Hektar Bergwald um. Damit nicht genug: Kurz darauf fiel der Borkenkäfer über die wenigen Fichten her, die Kyrill verschont hatte. Mit aller Macht und schwerstem Gerät kämpften die Arbeiter in den Jahren darauf gegen den Schädling an.
Um ihn zu stoppen, fällten sie unzählige Fichten. Der Preis dafür ist immens: Wo einst mächtige Wälder in den Himmel ragten, reihen sich nun kahle Grasflächen aneinander. Insgesamt sind es an die 2000 Hektar weitgehend baumloses, verstepptes Land. 2000 Hektar, das entspricht nicht nur 3000 Fußballplätzen. Das sind acht Prozent des 24 000 Hektar großen Nationalparks.
Ausgerechnet diese 2000 Hektar Kahlland sind aber nun die Chance, den Jahrzehnte langen Streit um den Naturzonen im Nationalpark zu befrieden. Geht es nach Nationalpark-Chef Leibl, werden sie noch in diesem Jahr zu Naturzonen erklärt statt erst in der Zeit nach 2020. "Der Borkenkäfer hat dort Tabula rasa gemacht", sagt Leibl. "Wir haben dort keinen Wald mehr, den wir schützen können. Der muss erst wieder wachsen."
"Man darf seine Pläne nicht ausschlagen"
Im Gegenzug für die neuen Naturzonen in den Hochlagen will Leibl aber den Kampf gegen den Schädling in den tieferen Lagen verstärken. "Denn dann müssen wir dort ja nicht mehr 350 Hektar pro Jahr unter strikten Schutz stellen, um die Vorgaben zu erfüllen", sagt der Nationalpark-Chef, "wir kommen mit ungefähr 150 Hektar im Jahr aus."
Die meisten vormaligen Nationalpark-Gegner, unter ihnen Bürgermeister und andere Lokalpolitiker, hat Leibl auf seiner Seite. "Das ist ein wirklich sinnvoller Vorschlag", sagt zum Beispiel Gerti Menigat. Die Bürgermeisterin von Lindberg wehrte sich lange Jahre erbittert gegen immer neue Naturzonen. Nun sagt sie: "Mit seinem Konzept hilft Leibl uns Einheimischen sehr."
Der Forstminister und vormalige Nationalpark-Kritiker Brunner unterstützt die Pläne ebenfalls. "Leibl zeigt, dass er die Sorgen der Bevölkerung ernst nimmt", sagt er. "Man darf seine Pläne nicht ausschlagen." Auch die Naturschützer geben Leibl Rückendeckung - gleich ob es der Bund Naturschutz ist, der Vogelschutzbund LBV oder Greenpeace.
"Wir haben immer verlangt, dass die Hochlagen möglichst rasch Naturzonen werden", sagt der Greenpeace-Mann Volker Oppermann. "Nun passiert es endlich." Natürlich steht auch Umweltminister Marcel Huber (CSU) zu Leibls Konzept: "Das ist ein ganz wichtiger und richtiger Schritt."
Bleibt die Frage, warum Landrat Adam die Pläne des Nationalpark-Chefs strikt ablehnt? Und warum er Politiker, Naturschützer und Einheimische brüskiert, indem er dem Anti-Nationalpark-Verein beigetreten ist. Adam ist für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Das Landratsamt erklärt den Streit kurzerhand zu Adams Privatsache. Nun soll Umweltminister Huber versuchen, Adam von seinen Attacken gegen den Nationalpark abzubringen.