Modellversuch:Wenn Pflege krank macht

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  • Das Projekt "Helfen und selber gesund bleiben" der Bayerischen Staatsregierung erforscht, wie pflegende Angehörige zukünftig besser entlastet werden können.
  • Das auf zwei Jahre angelegte Modellprojekt im niederbayerischen Kelheim wird mit etwa 100 000 Euro gefördert.
  • Träger des Projekts ist die Alzheimer-Gesellschaft für den Landkreis Kelheim.

Von Dietrich Mittler, München

Gerade waren die Sanitäter da, um Magdalena Hirschbauers dementen Mann ins Krankenhaus zu bringen. "Weil er wieder so unruhig ist", sagt die 76-Jährige. Eigentlich wäre er jetzt in der Tagespflege, doch dort haben die Pflegekräfte jegliche weitere Betreuung abgelehnt, weil Hans Hirschbauer (Namen aller Betroffenen wurden geändert) nur noch schreit. "Immerzu meinen Namen", sagt seine Frau. Auch sie findet keine Ruhe mehr.

"Ohne Unterbrechung schreit er: ,Magdalena, Magdalena' - mit einer Stimme wie die eines Automaten, auch nachts." Magdalena Hirschbauer hofft, dass es nun in der psychiatrischen Klinik gelingt, ihren Mann "ruhigzustellen", wie sie sagt, damit sie 14 Tage lang Kraft schöpfen kann. Sie selbst ist völlig am Ende. "Ich bin so fix und fertig, dass ich manchmal abends selber nicht mehr weiß: Habe ich jetzt gerade meine Zähne geputzt, oder nicht?", sagt sie.

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So wie Magdalena Hirschbauer, die am Dienstag gerade im Aufbruch war, um zu ihrem Mann ins Krankenhaus zu fahren, ergeht es vielen, die zu Hause ihre demenzkranken Angehörigen pflegen. "Rund zwei Drittel der dementen Menschen in Bayern werden über lange Phasen der Erkrankung zu Hause versorgt", sagt Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml.

Um die pflegenden Angehörigen künftig stärker entlasten zu können, hat die Ministerin ein auf zwei Jahre angelegtes Modellprojekt im niederbayerischen Kelheim mit einer Fördersumme von rund 100 000 Euro bedacht. Mit Beginn des neuen Jahres startete das Projekt mit dem Namen "Helfen und selber gesund bleiben".

Unter anderem sollen Familienmitglieder von Demenzkranken mit Hilfe von Einzelcoachings lernen, "sich gegen negative Gefühle wie zum Beispiel Scham, Schuld, Angst, Wut oder Niedergeschlagenheit wappnen zu können", wie die Alzheimer-Gesellschaft für den Landkreis Kelheim als Träger des Modellversuchs mitteilte.

Magdalena Hirschbauer, die in einer kleineren Gemeinde in Obernbayern lebt, hat all das durchlebt. Die Scham gegenüber Freunden, die auf die Krankheit ihres Mannes und auf ihre Belastung überhaupt keine Rücksicht nehmen. Die Schuldgefühle, verbunden mit ihrem hohen Ethos, den Mann auf gar keinen Fall in ein Heim zu geben. Die Angst, allem nicht mehr gewachsen zu sein. Die Wut und die Niedergeschlagenheit, wenn er "den ganzen Tag über" ihren Namen schreit.

"Es ist brutal", sagt sie. Sie könne jeden verstehen, "der da durchdreht", man könne da niemanden verurteilen. Sie weiß, wie es ist, an die Grenzen der Belastbarkeit zu kommen. "Ich schreie dann halt richtig", sagt die 76-Jährige.

In Bayern leben derzeit mehr als 230 000 Menschen mit Demenz. Experten, so heißt es aus dem Gesundheitsministerium, gehen davon aus, dass sich die Zahl bis 2020 auf rund 270 000 und bis 2032 auf gar 340 000 Erkrankte erhöhen wird. "Mein Ziel ist es, die Entlastung und Gesunderhaltung häuslich pflegender Angehöriger von Demenzkranken durch eine Erweiterung bereits bestehender Angebote zu fördern", sagt Pflegeministerin Huml.

Dazu gehört auch der Abbau von Hemmschwellen, wenn - wie es auch im Fall von Magdalena Hirschbauer dringend nötig ist - Hilfe von außen gebraucht wird. Auch das soll im Kreis Kelheim nun wissenschaftlich begleitet durchexerziert werden. "Wir unterstützen die Angehörigen dabei, Probleme oder Konfliktsituationen im Zusammenhang mit der Pflegesituation in der Familie zu bewältigen", heißt es dort.

Überdies böten Vorträge, Webseiten, Internetforen sowie auch eine telefonische Anlaufstelle die Möglichkeit, sich über Alzheimer und Demenz zu informieren. Und was für Betroffene immens wichtig ist: sich auch untereinander über ihre Erfahrungen austauschen zu können, damit sie nicht so alleine dastehen, wie Magdalena Hirschbauer. Die sagt resigniert: "Man kann das alles wohl nur verstehen, wenn man es selbst durchgemacht hat."

Huml bringt es so auf den Punkt: "Wer einen Menschen pflegt, stellt seine eigenen Bedürfnisse und Pläne oft hinten an." Magdalena Hirschbauer ist dafür das beste Beispiel. Für sie selbst werden die Erkenntnisse aus dem Kelheimer Modellversuch wahrscheinlich zu spät kommen. Sie hofft, dass es nun wenigstens mit den 14 Tagen Freizeit klappt. Sie will in jenen Kurort fahren, in dem sie - früher in den guten Tagen - gemeinsam mit ihrem Mann die Ferien verbrachte.

© SZ vom 03.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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