Die Fichte? Matthias Wurmer und Bernd Vetter schauen weit hinauf. 35 Meter werde sie hoch sein, sagt Vetter. Der mächtige Baum würde sich aus Sicht des Försters auch gut für einen Dachstuhl eignen, doch unten am Stamm hängt auf Brusthöhe ein metallenes Schild. Es erinnert an Erika und Max Mustermann, die nach vielen Jahren als beispielhafte Bürger in Vorlagen und Formularen hier endlich ihre letzte Ruhe gefunden zu haben scheinen.
Ihre Fichte trägt die Nummer 352, von hier geht der Blick zwischen ein paar anderen Stämmen hinaus auf eine alpine Buckelwiese, Schloss Elmau spitzt hervor und dahinter ragt das Wettersteinmassiv majestätisch in den Himmel. Doch selbst im Tod müssen die Mustermanns bloße Platzhalter bleiben. Matthias Wurmer wird bald Menschen zu dieser Fichte führen, die sich für einen Platz im "Stillen Wald Mittenwald" interessieren - dem ersten Begräbniswald der Bayerischen Staatsforsten, der am kommenden Montag eröffnet wird.
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Wurmer kennt sich aus mit Holz, der 46-jährige Mittenwalder war Schreiner und ist nun Kundenbetreuer im Stillen Wald. Eine Woche lang ist er mit einer Kollegin durch fünf Hektar Wald gestreift, hat Bäume mit Würde und Charakter markiert und seine Schablone angelegt, um zu prüfen, ob es ab einem wurzelschonenden Mindestabstand von 1,50 Meter zum Stamm Platz für ein paar Urnen gibt. Wenn Wurmer sein Tablet herausholt, kann er darauf alle 352 erfassten Bäume einzeln antippen und nachschlagen, ob sie für einzelne Tote und Paare, für bis zu zehn Mitglieder einer Familie oder als "Gemeinschaftsbaum" für bis zu 20 einzelne Urnengräber gedacht sind. Und ob der Baum reserviert ist, denn das werde wohl der Normalfall sein: Dass jemand nicht in einem akuten Trauerfall anruft, sondern sich selber einen Baum aussucht und öfter mal vorbeischaut, um zu Lebzeiten etwas Ruhe und Frieden zu finden.
Wurmer, der das zuletzt mehrmals geübt hat, wird die Menschen bei der Auswahl ihres Baums beraten und sie samt Tablet in den Wald begleiten. Es könne sich aber jeder auch erst allein umsehen, denn der Wald wird für alle zugänglich bleiben. Die freie Nutzung der Mautstraße, die hier heraufführt, gibt es aber nur in seiner Begleitung oder nach Vertragsabschluss.
Man werde weder Wild noch Wanderer aussperren, sagt Bernd Vetter, der von Haus aus Förster ist und in der Regensburger Staatsforsten-Zentrale praktisch alles verantwortet, was nicht direkt mit Jagd und Holz zu tun hat. Das Staatsunternehmen hatte schon länger erste Pläne für einen Begräbniswald gemacht, doch zunächst wollte der Freistaat davon wenig wissen. Den Auftrag vom Landtag habe man 2012 erhalten, sagt Vetter.
Den Trend weg vom Friedhof und zurück zur Natur gab es da schon eine ganze Weile, die privaten Platzhirsche "Friedwald" und "Ruheforst" bedienten längst die wachsende Nachfrage nach postmortaler Waldromantik. Sie kooperieren im Franchise-System mit privaten und öffentlichen Waldbesitzern und haben heute jeweils etwa 70 Wälder im Angebot.
Angesichts dieser beiden Marken sei für die Staatsforsten auch die Namensfindung "eine gewisse Herausforderung" gewesen, räumt Bernd Vetter ein. Der "Stille Wald" in Mittenwald sei nun aber nicht nur das eigene Pilotprojekt, sondern auch der allererste Begräbniswald im bayerischen Alpenraum. Der zweite Stille Wald entsteht im Königsholz im mittelfränkischen Schnaittach. Ein dritter soll folgen, dann wollen die Staatsforsten ihren neuen Geschäftszweig bewerten. Denn etwas Geld sollen die Stillen Wälder auch abwerfen, wenn sie schon der Holznutzung entzogen sind. Gefällt werde nur, was eine echte Gefahr für die Menschen auf den Wegen darstellt, versichert Vetter.
Matthias Wurmer hat die ersten 352 Begräbnisbäume ohnehin nicht nur nach Größe und Charakter ausgesucht, sondern auch nach Standfestigkeit. Es können noch viel mehr werden, denn insgesamt haben die Staatsforsten hier 31 Hektar Wald stillgelegt. Auf das Elmauer Tal fiel die Wahl laut Vetter wegen der vielen schönen Bäume in reizvoller Landschaft. Bis auf einen mit Lärchenschindeln gedeckten Pavillon für die Begräbnisfeiern und einige mit Rindenmulch angelegte Pfade soll alles bleiben, wie es ist. Doch die exklusive Lage in der Nähe des berühmten G-7-Hotels in Elmau kostet natürlich. Beim Preis pro Baum orientieren sich die Staatsforsten an der privaten Konkurrenz, die gut vierstellige Beträge verlangt. Insgesamt wird das Preisniveau in Mittenwald laut Vetter aber etwas höher, schließlich befinde sich auch der Wald auf 1000 Metern. Die Wege würden das ganze Jahr über freigehalten, obwohl hier sechs oder sieben Monate Schnee liegt. Die Einheimischen scheint das nicht zu schrecken, denn die meisten der vielen Voranfragen kämen bisher aus der Region.