Politik:Fast die Hälfte hört auf

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Ihrem Parteitag im März dieses Jahres gab die SPD den Titel Fortschrittsparteitag. (Foto: Leonhard Simon)

In der neuen SPD-Fraktion im Landtag gibt es einen großen Umbruch. Wie werden sich die Neuen positionieren?

Von Lina Krauß und Johann Osel

Die Konstituierung der neu gewählten SPD-Fraktion vor fünf Jahren hat die heutige Generalsekretärin Ruth Müller mal auf einem Parteitag mit dramatischen Worten beschrieben. Aus der Rolle der Oppositionsführung heraus war die SPD 2018 auf ein historisch schlechtes Ergebnis gefallen, 9,7 Prozent. Als sich die Fraktion im Maximilianeum erstmals traf, seien das plötzlich 20 Leute weniger gewesen als zuvor, der Saal viel zu groß, man sei sich "gedemütigt und amputiert" vorgekommen. Jetzt nach der Wahl am Sonntag wird die SPD-Fraktion laut letzten Umfragen - das genaue Ergebnis steht noch aus - womöglich ähnlich groß oder etwas kleiner. Kein großer Schockeffekt wie 2018. Und dennoch wird vieles anders sein: Neun der jetzigen 21 SPD-Abgeordneten hören auf, sind nicht mehr angetreten zu dieser Wahl, fast die Hälfte - ein Umbruch. Es ist auch ein Generationenwechsel. Und natürlich geht stets zum Ende einer Wahlperiode dem Landtag Kompetenz verloren; gerade wenn sich Politikerinnen und Politiker verabschieden, die über viele Jahre Expertise in einem Gebiet aufgebaut haben.

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Darunter ist die frühere Landeschefin Natascha Kohnen aus dem Landkreis München. Es ist selten in der Politik, dass sich jemand mit Anfang 50 quasi zum älteren Eisen zählt - Kohnen tat dies, als sie 2021 die SPD-Spitze freigab für Jüngere. Ein Parteitag wählte dann als Nachfolge die Doppelspitze aus Florian von Brunn, der heute auch Fraktionschef ist, und Ronja Endres. Jetzt mit Mitte 50 verabschiedet sich Kohnen auch im Landtag. Wer mit ihr spricht in diesen Tagen, den beschleicht irgendwie das Gefühl, dass sie einfach die Schnauze voll hat vom Politikbetrieb. Zum Jahresende will die studierte Biologin festlegen, wo es sie beruflich hinzieht.

Natascha Kohnen (Foto: Sebastian Gabriel)

Zentrales Thema ihrer politischen Arbeit war Wohnen. Nicht, weil es sich so hübsch auf ihren Nachnamen reimt, sondern weil sie die soziale Brisanz des Themas erkannte, als andere noch wenig davon sprachen, und weil sie tief in der Materie steckt. Glücklos blieb sie mit diesem Schwerpunkt indes in ihrer Kampagne 2018 als SPD-Spitzenkandidatin, einem Wahlkampf, der damals überlagert war von der Migration. Aber auch ihr Stil - sachlich, moderierend - ist wohl nicht jedermanns Sache. Wobei sie dem Moderieren neulich im SZ-Interview (mit ihrem lokalen CSU-Abgeordnetenkollegen Ernst Weidenbusch, der ebenfalls ausscheidet) positive Aspekte abgewann. Eine Situation durchzumoderieren und damit auszusitzen, könne auch dem Erfolg dienen. Aber: "Ich halte wenig davon, auf den Tisch zu hauen und zu sagen: Da geht es lang!" In dem Gespräch stellte sie übrigens auch klar: "Das Letzte, was jemand braucht, ist eine Ex-Vorsitzende, die vom Spielfeldrand rein ruft, was zu tun ist und was nicht."

Harald Güller (Foto: Klaus Rainer Krieger/imago/reportandum)

Nicht mehr für den Landtag kandidiert hat auch - um nur einige der neun Abgeordneten zu nennen - zum Beispiel Harald Güller aus Augsburg, mit einer Unterbrechung seit 1994 im Landtag, als Profi für den Haushalt breit anerkannt. Zwei Mal saß Güller im Vorsitz von Untersuchungsausschüssen. "Der Kampferprobte" nannte ihn mal die Bayerische Staatszeitung. Oder der Münchner Florian Ritter, der in Bayern zu den besten Kennern der rechtsextremen Szene zählt, im Kampf gegen Demokratiefeinde engagiert ist. "Grundgesetz und bayerische Verfassung sind antifaschistische Verfassungen und die SPD eine antifaschistische Partei", so begründet er seinen Antrieb. Den Satz hat "der rote Ritter" auf seinem X-Account angeheftet.

Klaus Adelt (Foto: Lino Mirgeler/dpa)

Oder da wären zwei einstige Bürgermeister, die der SPD im Landtag kommunalpolitischen Sachverstand bescherten. Klaus Adelt einerseits, er sagt: Seine zehn Oppositionsjahre im Landtag seien ein großer Gegensatz zu seinen 24 Jahren als Bürgermeister der Stadt Selbitz in Oberfranken gewesen. Dort war er in der Macher-Rolle, im Parlament sei das anders: "Wenn jeder Antrag der Opposition abgelehnt wird, macht das mürbe." Der Grund, warum er nicht mehr zur Wahl antritt, ist aber: "Es ist an der Zeit, den jungen Leuten Platz zu machen." Ganz mit Politik aufhören? Adelt möchte im Kreis- und Stadtrat bleiben. "Die SPD aufrecht zu erhalten ist wichtiger denn je", sagt der 67-Jährige, in dieser Zeit, wo man einen Rechtsruck spüre.

Andererseits Inge Aures, ehemals Vizepräsidentin des Landtags und von 1995 bis 2007 Oberbürgermeisterin von Kulmbach, auch sie will Platz machen für die Jugend - sie habe ein erfülltes Politikerinnenleben gehabt. Sie sei 67, es solle nicht dazu kommen, dass Leute fragen "Was will die Alte da noch?", sagt sie lachend. "Eine hüpfende Henne ist besser als eine hockende." Sie will sich ebenfalls weiter auf lokaler Ebene engagieren. Gleichwohl stehen einige profilierte Kommunalpolitiker nun zur möglichen Nachfolge auf den SPD-Wahllisten. Die kommunale Anbindung gilt in der SPD traditionell viel, aus Themen am Ort werden oft Oppositionsanträge. Im Wahlkampf hatte die SPD zudem versucht, die gut 200 SPD-geführten Rathäuser in Bayern als Pfund auszuspielen, Motto: "Lokal vertraut Ihr uns ja auch!"

Noch offen ist die Frage, was die umgekrempelte Fraktion für die Führung bedeutet. Brunns Wahl zum Fraktionschef 2021 war knapp, die Fraktion teilte sich fortan in Vertraute und Kritiker, manche sahen gar eine "Eiszeit" zwischen den Lagern. Wie werden sich die Neuen positionieren? Wer sich in der SPD umhört, bekommt zwei Prognosen. Die eine: Das schlechte Ergebnis, seine überschaubare Beliebtheit, Fehler in der Kampagne wie die Fixierung nur auf den Spitzenkandidaten - da werde Brunn sich kaum halten können. Die andere: Vielleicht biete gerade die erneuerte Fraktion und die Lage der SPD - die Wahl, der Bundestrend, die Bredouille des linken Lagers in Bayern - eine Chance auf Zusammenhalt. Und auf einen Neustart mit Brunn an der Spitze. Manche empfehlen auch, nicht zu rasch einen Chef zu wählen: Die Staatsregierung habe laut Verfassung vier Wochen Zeit zur Koalitionsbildung, da dürfe sich wohl auch eine Fraktion erst mal ein Weilchen beschnuppern.

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